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Postkarte aus Washington D.C., USA: Hello Mr. President

Stil

Postkarte aus Washington D.C., USA: Hello Mr. President

  • Text: Roman Elsener; Fotos: Susana Raab

In Washington begegnet man fast zwangsläufig einem Präsidenten. Und fühlt sich wie in einem Politthriller.

Capitol Hill, am späten Nachmittag. Für viele Politiker in Washington beginnt der Feierabend bei einem Drink im «Monocle». Das griechisch-amerikanische Restaurant liegt nur fünf Minuten von der Union Station entfernt; jener prächtigen Bahnhofshalle, die schon Kulisse für Hollywoodthriller wie «Hannibal» oder «Collateral Damage» bot. John F. Kennedy habe die Roastbeefsandwichs des Lokals so sehr gemocht, dass er sie immer ins Oval Office bestellte, schwört «Monocle»-Manager Nick. Er lässt sich schnell in eine Diskussion über die Eurokrise verwickeln und weiss auch, wie er diese lösen würde: «Europa sollte sich Amerika zum Vorbild nehmen», brummt er. Aha, denken wir.

Vor dem Restaurant erhebt sich das mächtige Capitol, dahinter erstreckt sich die National Mall, wo Martin Luther King am 28. August 1963 seinen Traum verkündete – und wo sich am 20. Januar 2009 zwei Millionen Menschen zur Amtseinführung von Barack Obama versammelten. Der Präsident mag seither an Popularität verloren haben, was nicht heisst, dass er populäre Orte meidet. Kürzlich soll er seine Michelle zum Dinner ins Restaurant Mintwood Place im angesagten Stadtteil Adams Morgan ausgeführt haben. Was das Paar bestellte, behält Chefkoch Cedric Maupillier für sich. Uns empfiehlt er die schottische Taube und warnt, sie sei in kleinen Stücken zu geniessen – er selbst habe schon auf eine Schrotkugel gebissen. Nicht anzunehmen, dass sich die Obamas solchen Gefahren aussetzten.

Livemusik und Drinks


Auch Maupilliers Tipp für gute Livemusik und einen späten Drink ist nichts für amtierende Präsidenten: «Madam’s Organ» (ein derbes Wortspiel mit dem Quartiernamen Adams Morgan) heisst seine liebste Soulfoodkneipe (2461 18th Street NW). Sie ist vollgestopft mit Haien, Gämsen, Hirschen, Vögeln und anderen toten Tieren, während die wild gewordene Bluegrassband um ihr Leben spielt. «Deine innere Stimme hat immer recht», steht auf Roach Browns Visitenkarte. Der ältere schwarze Herr sitzt unter einem Foto von Präsident Obama in «Ben’s Chili Bowl», wo wir am nächsten Morgen deftig amerikanisch frühstücken: «Ich sitze jeden Tag hier», sagt er. Für den Präsidenten würde er den Platz sofort freigeben. «Aber nur für ihn.» Immerhin war Obama schon mal hier, wie ein Video auf der Website des Lokals bezeugt.

Roach Brown wurde vor über vierzig Jahren zu lebenslänglicher Haft verurteilt, dann aber von Präsident Ford begnadigt. Seither leitet er den Verein The Inner Voices und führt als Lebensberater seine Mitmenschen auf den «richtigen Pfad». Uns gibt er ein Rätsel auf den Weg: Zu welcher Erkenntnis gelangt man, wenn man alle 44 US-Präsidenten versammelt sieht? Eine kryptische Frage, grübeln wir und konsultieren das Kramerbooks & Afterwords Café am Dupont Circle.

Der Buchladen mit Restaurant gilt als Pickup-Place für Literaten und ist übers Wochenende 24 Stunden geöffnet. Neben dem Weissen Haus biete einzig die National Portrait Gallery (8th/F Street NW) eine komplette Sammlung aller Präsidenten, lesen wir in einem Buch zur Stadtgeschichte. Aller Präsidenten? Ein Augenschein vor Ort zeigt: Barack Obama fehlt. «Das ist auch gut so», erklärt ein Aufseher trocken. «Wäre Obama hier, hiesse das, dass Mitt Romney die Wahlen gewonnen hätte. Solange sie ihr Amt ausüben, wandern unsere Präsidenten nämlich nicht ins Museum.» Das kann aber nicht die präsidiale Erkenntnis sein, die uns Roach Brown beim Frühstück prophezeit hatte, sinnieren wir unten an der Waterfront in Georgetown.

M Street

An dieser Flussstelle legten schon vor 4000 Jahren Indianer mit ihren Kanus an, heute vermietet das Thompson Boat Center Paddelboote an Freizeitsportler. Imposant präsentiert sich auch die jüngere Geschichte: Die aus dem Abhörskandal um Präsident Nixon bekannten Watergate-Gebäude liegen, dunkelgrau, nur ein paar Hundert Meter flussaufwärts. Zwei Strassen weiter treffen wir ganz unverhofft unsere US-Präsidenten wieder. Diesmal nicht in der offiziellen Portrait Gallery, sondern auf der M Street, der hippen Shoppingmeile von Georgetown. Unweit bekannter Läden wie der exklusiven Boutique Hu’s Wear & Shoes hängen in der Galerie P&C Fine Art zwei Gemälde. Das eine zeigt die republikanischen Präsidenten an einem Billardtisch, das andere die Demokraten.

Eine junge Frau, die mit uns durchs Schaufenster blinzelt, meint lächelnd: «Wird Zeit, dass hier endlich mal eine Frau mitspielt.» Wir nicken und erkennen: Das ist es wohl, was uns Roach Brown sagen wollte.

Obamas Hotdog

Nie habe ihm ein Hotdog besser geschmeckt, habe der damalige Senator Obama nach seinem ersten Besuch in Ben’s Chili Bowl» geschwärmt, erzählt Toni, der seit zwölf Jahren hier arbeitet. Das mag auch mit der Atmosphäre in der kleinen Wurstbude zu tun haben, die sich preist, seit 1958 von Afroamerikanern geführt zu werden: Soulmusik fetzt aus den Boxen, Fotos bedeutender schwarzer Persönlichkeiten hängen an den Wänden. Der Stolz auf den ersten schwarzen Präsidenten ist hier riesig, sein Porträt prangt grossformatig an der Wand.
Ben’s Chili Bowl, 1213 Union Street NW
 

The Donovan House

Ein modernes Boutique-Hotel der angesagten Kimpton-Kette im Herzen der Stadt, zehn Gehminuten von vielen Museen entfernt. Auch das Nachtleben am Dupont Circle und weiter nördlich in Adams Morgan ist von hier aus schnell zu erreichen. Hier ist man frei von der Patina der Geschichte der Vorväter. Die eleganten Suiten mit muschelähnlichen Badezimmern mitten im Raum unterstreichen, dass Washington keine Beamtenstadt, sondern eine moderne Metropole sein will. Empfehlenswert ist das dem Hotel angegliederte Restaurant Zentan, das asiatisch-amerikanische Fusionküche in gediegenem Ambiente auftischt.

The Donovan House, 1155 14th Street NW, DZ ab 156 Franken (ohne Frühstück). Buchen bei Travelhouse/Skytours, Tel. 058 569 95 08, www.travelhouse.ch

 

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1.

21. Januar 2013: Barack und Michelle Obama an der Vereidigungsparade – auf dem Weg ins Weisse Haus

2.

Kramerbooks & Afterwords Café, 1517 Connecticut Avenue NW
 

Buchtipps:
David Baldaccis Thriller «The Camel Club», in der ein paar alte Washingtonians krumme Geschäfte von Regierungsmitgliedern aufdecken.
Gore Vidals Epos «Washington, D. C.»: ein fesselnder Roman, der vor einer fiktionalen Handlung die wahre Geschichte der Hauptstadt übeleuchtet.
George Pelecanos’ Krimi «A Firing Offense»: schonungslose Milieu- Abrechnung aus der Feder des Mitbegründers der TV-Serie «The Wire».
 

3.

An Georgetowns Shoppingmeile, der M Street, befinden sich die Edelboutiquen von Marlene Hu Abada. Wer zum Inaugurationsball der Obamas eingeladen war, dürfte sich hier eingedeckt haben. Tipp: Kerzen für 85 Dollar aus der ältesten Zieherei der Welt.
— Hu’s Wear & Shoes, 3005 M Street NW

4.

Dupont Circle

5.

Köstlichkeiten aus Mintwood Place im angesagten Stadtteil Adams Morgan

6.

Nicht nur John F. Kennedy liess es sich hier schmecken: An den Wänden des legendären «Monocle» hängen Porträts von Politikern unterschiedlichster Couleur. In einem sind sich die sonst so zerstrittenen Parteien einig: Das Steaksandwich hier ist das beste.
— The Monocle, 107 D Street NE

7.

National Portrait Gallery

44 Präsidenten haben die USA in den vergangenen 237 Jahren regiert. Fast alle haben in der Hauptstadt ihre Spuren hinterlassen – und Geheimnisse, die Stoff für Dutzende von Politthrillern bieten.