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Meinung: Warum wir mit Freund:innen mehr streiten sollten

Body & Soul

Meinung: Warum wir mit Freund:innen mehr streiten sollten

Autorin Angelika Imhof hatte letztens eine Beziehungskrise – mit ihrer besten Freundin. Ihr wurde klar: Wir sind es uns nicht gewohnt, mit unseren Freund:innen konfrontative Gespräche zu führen. Dabei wäre das so wichtig.

Wenn ich versuche, mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal eine gröbere Auseinandersetzung mit einer Freundin hatte, muss ich weit zurückgehen. Und lande in der Kindheit. Damals gab es viele Meinungsverschiedenheiten, die direkt und ungefiltert ausgetragen wurden – und auch mal in einer Schlammschlacht endeten.

Ich erinnere mich an eine Phase in der sechsten Klasse, als wir Mädchen in der Pause die Köpfe zusammensteckten und jede Einzelne im Plenum besprachen. Wir tauschten uns offen darüber aus, was wir an den anderen mochten und was weniger. Ein solches Setting ist unter Erwachsenen kaum vorstellbar – oder wenn, dann rutscht es sofort in die Fühlsch-mi-gspürsch-mi-Ecke. Man stelle sich nur mal acht Arbeitskolleg:innen vor, die in ihrer Kaffeepause besprechen, was sie aneinander mögen und was nicht.

Freundschaften als sicherer Hafen

Spätestens in meinen 20ern wurden die freundschaftlichen Konfrontationen immer seltener. Das scheint erstmal nichts Schlechtes zu sein. Man wird reifer. Erwachsener. Hat genug andere Sorgen. Zum Beispiel Dating- und Beziehungshöhen und -tiefen, unfaire Arbeitgeber:innen, schwierige Kolleg:innen … Das Leben fordert Energie und man ist froh, wenn sich wenigstens die Freundschaften entspannt und stressfrei gestalten. Die besten Freund:innen – die fürs Leben – sind in den meisten Fällen bereits gefunden, man kennt sich gut und liebt sich auf eine unaufgeregte, innige Art.

Manchmal kommen neue Freundschaften hinzu und bäumen sich kurz auf wie ein Sommerflirt. Die meisten dieser Bekanntschaften schaffen es jedoch nicht, sich in etwas Beständiges zu entwickeln. Ohne viel Aufhebens lösen sie sich durch das Ausbleiben von Whatsapp-Nachrichten wieder auf und verschwinden so unprätentiös, wie sie begonnen haben.

Wendepunkt

Doch dann kommt irgendwann der Moment, wo man mit seiner besten Freundin wieder einmal aussergewöhnlich viel Zeit verbringt. Ein gemeinsames Wochenende vielleicht oder eine mehrmonatige Reise. Und plötzlich realisiert man, dass es da einige Dinge gibt, die sich nicht gut anfühlen. Vielleicht sind es Verhaltensmuster und Dynamiken, die sich während der langjährigen Freundschaft eingespielt haben, und die einem jetzt widerstreben. So erging es zumindest mir.

Ich habe einige Tage überlegt, ob ich die Thematik ansprechen soll oder nicht – und mich dafür entschieden. Ich schrieb ihr, dass ich gerne etwas mit ihr besprechen möchte, das mir auf dem Herzen liegt. Die vage Vorwarnung war mir wichtig, damit sie sich immerhin ein bisschen auf das Gespräch einstellen konnte. Mehr wollte ich nicht schreiben, weil solche Dinge immer besser mündlich besprochen werden. Einen Tag später sass sie bei mir auf der Couch.

Freundschaftskummer

Was dann kam, war vor allem eins: akward. Ich musste feststellen, dass ich auch nach unzähligen Beziehungsgesprächen mit (Ex-)Partnern überhaupt keine Erfahrung mit Beziehungsgesprächen unter Freund:innen mehr hatte. Das Gespräch mit meiner besten Freundin wurde schnell emotional und fühlte sich sehr viel grösser und schwerer an, als es eigentlich war – nur weil wir beide so überfordert und befremdet von der Situation waren.

Die Angst schwang mit, dass nach Ende des Gesprächs alles anders sein würde als vorher und die Freundschaft für immer beschädigt war. Plötzlich war unsere langjährige, innige Freundschaft ein ziemlich fragiles Konstrukt. So geübt wir als Freundinnen darin waren, externe Krisen aufzufangen, so unbeholfen waren wir jetzt im Umgang mit der Krise aus dem eigenen Kern.

Doch nicht nur das Gespräch war unangenehm und ungelenk, auch die Zeit danach fühlte sich ein bisschen an wie Liebeskummer. Wobei Konflikte in romantischen Beziehungen aus meiner Erfahrung meistens relativ schnell ausdiskutiert werden und schon am nächsten Tag halb vergessen sind. Nach dem Krisengespräch mit meiner besten Freundin war das anders. Wir gingen erst einmal auf Distanz und tauschten uns mit anderen Bezugspersonen aus. Nach knapp zwei Wochen waren wir beide bereit für ein zweites, versöhnlicheres Zusammentreffen.

Viele Tränen und Umarmungen später ist meine Freundschaftskrise mittlerweile überwunden. Es ist fast alles wie vorher. Wir gehen noch etwas vorsichtiger miteinander um. Manche Dinge, die das Gespräch ausgelöst hat, können wir in Zukunft vielleicht vermeiden und dadurch gegenseitige Verletzungen verhindern. Würde ich es wieder tun? Vermutlich schon – aber nicht in den nächsten zehn Jahren. Das Gespräch und die Tage danach hatten an meiner Substanz gezehrt.

Konstruktive Konflikte gehören dazu

Hätten wir alle öfter Beziehungsgespräche mit unseren besten Freund:innen, in denen wir die Problemzonen unserer Freundschaften thematisieren, wären sie gar nicht erst so einschneidend und schmerzhaft. Vielmehr wären sie dann natürlicher Bestandteil einer gesunden, lebendigen Freundschaft – genauso wie konstruktive Konflikte zu jeder intakten Paarbeziehung gehören.

Wir sollten solch schwere, aber aufrichtige Gespräche als Chance sehen, die Freundschaft langfristig zu stärken. Möglicherweise lernt man seine beste Freundin noch einmal ganz neu kennen und schätzen. Und schliesslich ist ein solches Beziehungsgespräch ja eigentlich der allergrösste Freundschaftsbeweis – denn nur in eine Freundschaft, die einem wirklich etwas bedeutet, ist man überhaupt bereit, so viel Energie zu investieren.

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