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Roni Horn – Bilder aus der Einsamkeit

Kultur

Roni Horn – Bilder aus der Einsamkeit

  • Text: Dietrich RoeschmannBilder: Roni Horn

Sie ist die grosse Poetin des Wassers und des Wetters: Die US-Künstlerin Roni Horn stellt in Bregenz aus.

Als das New Yorker Whitney Museum im letzten November seine grosse Roni-Horn-Retrospektive eröffnete, brachte das Fashion-Magazin «W» eine zehnseitige Homestory über die Künstlerin, aufgemacht mit einem Starporträt von Juergen Teller. Das Foto zeigt Roni Horn auf der Dachterrasse ihres Ateliers in Chelsea. Die 54-Jährige sitzt breitbeinig an einem Holztisch und schenkt sich ein Glas Rotwein ein. In ihren ausgebeulten Jeans, den alten Männersandalen und ihrer nachlässigen Haltung sieht sie aus wie ein Kerl – würden unter der offenen Jacke nicht wie selbstverständlich ihre nackten Brüste hervorschauen. Für einen kurzen Moment ist man irritiert. Ist das wirklich Roni Horn, die kontrollierte Meisterin der reduzierten Eleganz? Die stille Poetin des Wassers und des Wetters? Botschafterin der Sehnsucht in der rauen Landschaft Islands?

Nein, ist sie nicht. Das hier ist Roni Horn, die vor Juergen Tellers Kamera posiert und dabei genau weiss, was sie tut. Denn nichts treibt diese Künstlerin mehr um als die Frage nach ihrer Identität. 1955 als Tochter jüdischer Eltern geboren, wuchs sie in einem Schwarzenviertel von Harlem auf. Die Idee, dass Buben und Mädchen grundverschieden sein sollten, fand sie schon als Kind abwegig. Deshalb tauschte sie ihren Geburtsnamen Rose kurzerhand gegen den geschlechtsneutralen Namen Roni. Schnappschüsse aus dieser Zeit zeigen ein aufgewecktes Mädchen, das keck in die Kamera lächelt. Für ihre Fotoarbeit «a. k. a.», die in einer Einzelschau im Kunsthaus Bregenz zu sehen ist, hat Roni Horn diese Aufnahmen mit aktuellen Selbstporträts zu einer Serie von 15 Bildpaaren arrangiert. Sie erzählen die Geschichte einer erstaunlichen Verwandlung: Man muss schon sehr genau hinsehen, um in der Person, die da mit grauem Kurzhaarschnitt, markanter Brille und Herrenhemd neben der jungen Roni posiert, noch das Porträt einer Frau zu erkennen. Und doch steht ausser Frage, dass die Erwachsene und das Kind auf diesen Bildern dieselbe Person sind.
Diese Inszenierung von Androgynität und Wandel am eigenen Leib ist für Roni Horn alles andere als ein lässiges Rollenspiel und nur nebenbei ein politisches Statement. Im Kern geht es der New Yorkerin darum, unsere Wahrnehmung für die Vielfalt der Erscheinungen zu schärfen. Sie will Zweifel sähen, wo wir die Wirklichkeit mit unserem Blick fest im Griff zu haben glauben. Und sie tut das seit über dreissig Jahren auf selten verführerische Weise.

In Bregenz entfaltet sich der ganze sinnliche Reichtum ihrer Kunst. Erstmals zu sehen ist hier ihre jüngste Werkgruppe «Well & Truly», ein Ensemble aus zehn massiven Glasskulpturen. Das Licht, das durch die hochglanzpolierten Oberseiten mit ihren weichen Konturen einfällt, bringt sie zart zum Leuchten. Wie von Zauberhand aus einem Teich geschnitten scheinen hier Wasserblöcke frei im Raum zu stehen.

Für Roni Horn ist Wasser untrennbar mit der Frage nach Identität verknüpft. Seit je bildet es das Grundrauschen ihres Werks, rieselt als Metapher durch ihre Texte, Zeichnungen und Objekte. In umfangreichen Serien fotografierte sie die Oberfläche der Themse oder des isländischen Flusses Skaftá, fing die Tönungen von milchig Grün bis metallisch Grau ein, das Kräuseln und Wiegen der Wellen, die stumpfe oder brillante Tiefe und führte mit jedem Bild neu vor: Wasser kann die unterschiedlichsten Gestalten annehmen und bleibt sich doch immer gleich. Das macht es für Roni Horn zum idealen Rohstoff für ihre meditative Konzeptkunst des Übergangs.

Konsequent sucht die New Yorkerin deshalb die Einsamkeit. Sie lebt zwar in Greenwich Village, und ihr Studio liegt im Herzen der New Yorker Galerienszene, doch die Inspiration findet sie in Island. 1975 war sie zum ersten Mal dort, allein. Sie war überwältigt von der physischen Gegenwart der kargen Landschaft und des ständig wechselnden Wetters. Seither hat Island sie nicht mehr losgelassen. «Die Insel ist gross genug, um mich zu verlieren, aber klein genug, um mich zu finden», sagt sie. Jahrelang arbeitete sie hier unter anderem an ihrem Buchprojekt «To Place», mit dem sie ihren internationalen Durchbruch hatte. Sie nennt es ihre «Enzyklopädie der Identitäten»: neun Bände, voll mit Zeichnungen von Lavabrocken und Eisformationen, befremdlich dreinschauenden Vogelporträts oder Fotos von bemoosten Felsen und schweflig verkrusteten Wasserlöchern, oft zu fast identischen Motivpaaren geordnet. Was Horn hier dokumentierte, war keine Landschaft, sondern die tiefe Sehnsucht, dass es so etwas wie unverstellte Erfahrung geben könnte – frei von Definitionen und Bedeutungen und deshalb offen für alles.
«Island hat mich Erleben gelehrt», sagt Roni Horn. Dafür ist sie dankbar, auch wenn der zunehmende Adventure-Tourismus auf der Insel ihre Liebe etwas abgekühlt hat. In Stykkisholmur, einem 1000-Seelen-Kaff an der Nordwestküste, hat sie dem Land ihrer Inspiration vor drei Jahren mit der «Library of Water» ein Denkmal gesetzt. In der ehemaligen Gemeindebibliothek stellte sie 24 raumhohe Glaszylinder auf, gefüllt mit dem jahrtausendealten Wasser von Eisblöcken aus den rasant schmelzenden Gletschern der Insel. Der Boden der Dauerinstallation ist übersät mit Wortfetzen aus Interviews, in denen die Bewohner des Orts der Künstlerin detailliert Auskunft über ihr Verhältnis zum Wetter gaben.

Die Kunst, aus kleinen Beobachtungen vielschichtige Bildräume zu zaubern, teilt Roni Horn mit einer ihrer grössten Heldinnen, der US-Dichterin Emily Dickinson. Drei Jahrzehnte lang hatte die legendäre Lyrikerin ihr Haus nicht mehr verlassen, bevor sie 1886 starb, ohne je eine Zeile veröffentlicht zu haben. «Wenn ich Emily Dickinson lese», sagt Roni Horn, «erinnere ich mich plötzlich an Dinge, die ich nie erlebt habe.» Als Hommage hat sie der Dichterin die Arbeit «White Dickinson» gewidmet, eine Serie aus matt polierten Alu-Vierkantstäben, die in Bregenz nun wie Massstäbe zur Vermessung unserer Einbildungskraft an der Wand lehnen. In weissen Buchstaben tragen sie Zitate aus Emily Dickinsons Briefen. Eines lautet: «Fascination is portable», Faszination ist übertragbar. Es könnte für Roni Horn geschrieben sein.

Roni Horn, Kunsthaus Bregenz, 24. 4. bis 4. 7.

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