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Editorial von Silvia Binggeli: Ein Teppich aus Inspirationen

Leben

Editorial von Silvia Binggeli: Ein Teppich aus Inspirationen

  • Foto: Margret Binggeli

annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli berichtet über ihre Erfahrungen in Marrakesch, wie Kulturen aufeinanderprallen und sich ergänzen, und über die Inspirationen, die sie mit nachhause nimmt.

Ich habe gute Nachrichten für alle, die Vergangenem nachtrauern. Die Vorzüge der Gegenwart kommen unverhofft: In meinem Fall scheint vierzig das neue zwanzig zu sein – jedenfalls auf dem Souk, dem orientalischen Markt, wo ein Kräuter- und Gewürzspezialist eben zweihundert Dromedare für mich geboten hat.

Wenn Frauen in Dromedaren aufgewogen werden, sind wir aber weit in die Vergangenheit gereist, finden Sie? Stimmt! Immerhin: Der Interessent hat gar nicht erst nach meinem Vater gefragt, sondern direkt mit meiner Mutter verhandelt.

Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus Marrakesch, von einer schon länger geplanten Reise und nun willkommenen Abwechslung. Wir mussten uns vor kurzem von meiner geliebten Grossmutter, dem Brösmeli, verabschieden, einer grossartig starken Frau, von der ich sehr viel gelernt habe.

In Momenten des schweren Herzens wirkt alles verschwommen. Und gleichzeitig glasklar. Beim Wandeln durch ein Labyrinth aus engen Gassen, das seit je Händler und Suchende anzieht, entdecke ich hinter alten Mauern überraschend Farbiges, grandiose Hamams, Restaurants, Bibliotheken und Kunstsammlungen. Kulturen prallen aufeinander und ergänzen sich doch. Ich muss an die Geschichte über das italienische Dorf Riace in dieser Ausgabe denken, wo ein findiger Bürgermeister seine aussterbende Heimat belebt und gleichzeitig Flüchtlingen hilft. Den Männern, die hier in Teehäusern unter sich bleiben, möchte ich einen Kurs in Geschlechtervielfalt verpassen, wie ihn Sandra Ondraschek, ebenfalls in dieser Ausgabe, beschreibt. Am Ende werde ich einen Teppich aus 1001 Inspirationen mit nachhause nehmen.

Sollten Sie allerdings in der Nähe von Bern demnächst eine Herde Dromedare entdecken, hab ichs mir anders überlegt. Dann wirke ich vorerst in einem Kräuter- und Gewürzladen in Marrakesch. Die Geschäftsführung übernehme ich natürlich selbst.

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