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«Ich will ja etwas bewegen»

Leben

«Ich will ja etwas bewegen»

  • Text & Video: Stephanie Hess; Schnitt: Olivia Sasse; Foto: Vera Hartmann 

Hannah Pfalzgraf ist mit 21 das jüngste Mitglied des Kantonsparlaments in Zürich. Eigentlich spricht sie nicht wahnsinnig gern vor Publikum. Doch sie findet: «Politik braucht nun mal Durchhaltevermögen.»

Sie sitzen seit Januar als Vertreterin der Juso im Zürcher Kantonsparlament. Die bisher grösste Erkenntnis?

Hannah Pfalzgraf: Es klingt vielleicht desillusioniert, aber ich musste seither einsehen: Diskutieren wirkt nicht immer. Spreche ich mit gewissen Leuten, zieht mich das viel mehr runter als dass es mich auf neue Gedanken bringt. Beispielsweise wenn es um Migrantinnen und Migranten geht. Grundhaltungen sind nu nmal sehr schlecht verhandelbar. Ich muss also schlicht auf der gesetzlichen Ebene bleiben und mich da durchargumentieren.

Lag Ihnen das schon immer am Herzen, das Parlieren und Diskutieren?

Ehrlich gesagt ist reden vor anderen Menschen nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Aber wenn ich mein Votum übe und mich darauf einstelle, dann geht es. Dennoch bleiben diese Ängste, dass meine Stimme am Rednerpult versagt oder zittert.

Man muss also nicht die geborene Rednerin sein, um in die Politik einzusteigen?

Es gibt bestimmt Leute, denen das in die Wiege gelegt wurde. Aber ich bin nicht so. Ich zweifle auch daran, dass es den anderen im Rat so geht. Spontane Voten kommen selten vor.

Sie sind mit 21 Jahren die jüngste Kantonsrätin, die Zürich je hatte. Weshalb gingen Sie so früh in die Politik?

Ich hatte früh meine eigene Meinung, zuhause diskutierten wir oft. Als 2014 die Masseneinwanderungsinitiative zur Abstimmung kam und ich mit damals 17 Jahren noch nicht abstimmen durfte, entschied ich mich, etwas zu unternehmen und Mitglied der Juso zu werden. Ich wollte auch als junger Mensch nach einer Abstimmung sagen können, dass ich es wenigstens versucht habe.

Sie unterstützen Wahl- und Stimmalter 16?

Ja, junge Menschen verdienen eine stärkere Stimme in der Gesellschaft. Ausserdem sind 16-Jährige weit länger von politischen Entscheiden betroffen als ihre Eltern und Grosseltern.

Sie sind weiblich und jung – eine doppelte Minderheit im durchschnittlich 50 Jahre alten Zürcher Kantonsrat, der zu 66 Prozent aus Männern zusammengesetzt ist. Inwiefern ist das ein Hindernis für Sie?

Ich glaube, ich muss tatsächlich mehr dafür kämpfen, ernst genommen zu werden. Ich wurde nie schlecht oder von oben herab behandelt. Ich habe keine konkreten Beispiele. Aber ich spüre, dass gewisse Zuschreibungen gegenüber jungen Frauen noch immer tief verwurzelt sind. Wenn ich merke, dass mich das verunsichert, halte ich mir vor Augen: Du hast ein Stimm- und Wahlrecht, du bist gewählt worden, du hast deine Haltung und deine Lebenserfahrung – die zwar bisher nur 21 Jahre schwer ist, aber genauso wichtig ist wie die der anderen.

Auch in Ihrer politischen Haltung sind Sie in der Minderheit. Die Mehrheit der Sitze gehört den Bürgerlichen. Wie setzen Sie sich durch?

Ich bin voller Elan. Ich will ja etwas bewegen für die Menschen, die mich gewählt haben. Aber natürlich habe ich auch gemerkt: Wenn ich etwas durch den Rat bringen will, das cool ist, ist das ganz schön schwierig.

Welche Anliegen meinen Sie damit?

Fünf Tage mehr Vaterschaftsurlaub für die kantonalen Angestellten beispielsweise. Das ist ja noch immer viel zu wenig, finde ich. Aber das Parlament hat nicht mal fünf Tage gutgeheissen. Oder auch eine Frauenquote auf den Wahllisten der Parteien, dass also alle 50 Prozent Frauen auflisten müssen, das findet im bürgerlich dominierten Rat leider kaum eine Mehrheit.

Braucht es Ihrer Meinung nach ein stärker durchmischtes Parlament?

Absolut. Ein Parlament soll die Bevölkerung repräsentieren. Und diese besteht nun mal nicht zum grössten Teil aus älteren Männern, sondern ebenso aus Frauen und jungen Menschen. Und auch aus Leuten ohne Schweizer Pass, deshalb bin ich auch für ein Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer.

Weshalb bringen sich viele junge Leute politisch so wenig ein?

Ich glaube, viele sind desillusioniert. Das hat sich bei den Abbaumassnahmen an den Kantonsschulen im Kanton Zürich gezeigt. Viele gingen auf die Strasse. Als sie merkten, dass das nichts ändert, flaute das politische Engagement wieder ab. Aber Politik braucht nun mal Durchhaltevermögen. Veränderung gibt es nur in ganz kleinen Schritten.

Hannah Pfalzgraf (21) ist in Mettmenstetten aufgewachsen. 2014 trat sie der Juso bei. 2015 schaffte sie auf Anhieb das drittbeste Resultat auf der SP-Liste im Bezirk Affoltern. Sie studiert an der Kunstfachschule Basel Vermittlung von Kunst und Design. Sie ist Wochenaufenthalterin in Basel und lebt am Wochenende in Mettmentstetten. Seit Januar ist sie Kantonsrätin.
 

 

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