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«Pick me Girls»: Warum mich Sophie Passmanns Buch zum Weinen brachte

Zeitgeist

«Pick me Girls»: Warum mich Sophie Passmanns Buch zum Weinen brachte

Autorin Karin Zweidler hat gemischte Gefühle, wenn es um Feministin Sophie Passmann geht. Warum Passmanns neues Buch «Pick Me Girls» ihr dann doch die Tränen in die Augen trieb? Eine persönliche Buchkritik.

Zwischen Sophie Passmann und mir war es bis anhin, naja, sagen wir: kompliziert. Und das, obwohl die Voraussetzungen auf den ersten Blick stimmen: Eine junge, eloquente Feministin, die sich mit Themen auseinandersetzt, die auch mich bewegen – das müsste doch matchen, dachte ich mir immer wieder. Und wurde trotzdem nur punktuell warm.

Ihr Auftritt in der «Sternstunde Philosophie» begeisterte mich, das Buch, das sie dort promotete, legte ich jedoch nach ein paar Seiten gelangweilt weg. Ihren vermeintlich unperfekten Körper, mitten im doch eher normschönen Mediendeutschland, fand ich erfrischend und empowernd, ihr von Schönheitseingriffen zunehmend verändertes Gesicht – ich gebe es zu – irritierte mich. Mit ihren mehr als fragwürdigen Aussagen in diesem Interview, das ihr auch zügig einen Shitstorm bescherte, war bei mir dann Schluss. Mein Urteil war gefällt: Zwischen uns war es gelaufen.

Aus dem Hinterhalt erwischt

Dafür verantwortlich, dass ich ihr neustes Buch «Pick me Girls» dann doch aufgeschlagen habe, war eine Kolumne in der «Zeit», basierend auf ebendiesem. Passmann schreibt im Text über ihre Schönheitseingriffe und die Vorwürfe, die sie sich deswegen schon anhören musste: «Ausgerechnet du?!», wird sie oft gefragt. Ja, auch sie. Denn: «Frauen haben keine Wahl», so Passmanns gewagte These. Ich fühlte mich erstmal ertappt. Und dann: war ich hooked.

Drei Stunden und einen Buchhandlungstrip später sass ich vor dem aufgeschlagenen Buch und wischte mir bereits zum zweiten Mal die Tränen aus dem Gesicht. Sophie Passmann hat mich aus dem Hinterhalt erwischt: Während ich ziemlich erwartungslos zu lesen anfing, warf sie mir, schneller als ich in Deckung gehen konnte, schonungslose Ehrlichkeit und radikale Verletzlichkeit entgegen. Volltreffer.

Was, wenn das Patriarchat nicht wäre?

«Pick me Girls» – so nennt das Internet Frauen, die sich auf der Suche nach männlicher Anerkennung grosse Mühe geben, sich von anderen Frauen abzugrenzen. So betonen «Pick me Girls» zum Beispiel gerne, nur mit Männern abzuhängen und/oder weniger dramatisch, zickig und kompliziert zu sein als «all die anderen» Frauen. Dafür witzig, locker, cool, halt eher wie – zumindest so das misogyne Klischee – ein Mann. Gründe für dieses Verhalten gibts verschiedene: Das Bild, das unsere Gesellschaft von der stereotypen Frau hat, hilft wohl aber schon mal nicht, dringend eine sein zu wollen.

Passmann hat ihr Buch nach dem Phänomen benannt und fragt sich darin zu Beginn erstmal, welche Version von Frau sie denn wohl sein würde, wenn sie nicht im Patriarchat sozialisiert worden wäre. Nicht schon als Jugendliche gelernt hätte, so zu sein, wie Frauen halt eben zu sein haben. Auf der Suche nach Antworten erzählt sie in den folgenden Kapiteln zwar von ihren ganz persönlichen «Pick me Girl»-Momenten, vor allem aber von ihrem Frauwerden – und legt mit ihren Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen den Finger direkt in die Wunde. In ihre, meine, und wohl die von unzähligen anderen Flinta-Personen.

Witze über ihren «pummeligen Mädchenkörper»

Passmann schreibt von Scham als dem vorherrschenden Gefühl ihrer Kindheit und Jugend. Von Körperkommentaren, Witzen über ihren «pummeligen Mädchenkörper». Davon, wie sie sich viel zu früh viel zu sehr antrainierte, ihre eigenen Gefühle zurückzustellen – und mitzuspielen: Alles immer witzig, völlig klar! Sie erzählt aber auch vom Schweigen über ihren Körper, das oft ohrenbetäubend laut im Raum hing und es teilweise auch heute noch tut, zum Beispiel, wenn Stylist:innen wortlos versuchen, ihren Körper in offensichtlich zu enge Kleider zu zwängen.

Sie erzählt von ihrem Nicht-Erfüllen der Attribute, die Mädchen im Patriarchat halt eben zu erfüllen hätten: «zart, still, niedlich, zerbrechlich». Dem alles prägenden Gefühl des Anders- oder eben, denn das geht Hand in Hand, des Falsch-Seins: «Ich begann, die Schuld bei mir zu suchen. Irgendetwas an mir musste kaputter, falscher, alberner sein als an allen anderen um mich herum.» Und weiter: «Wer sich schämt, hält still, egal, wie schlecht er oder sie behandelt wird, denn es fühlt sich an wie die gerechte Strafe für das, was ja so offensichtlich falsch an einem ist.»

Die erste Diät mit elf

Als sie vom ersten Diätversuch erzählt, den sie mit elf Jahren startet, denke ich an mich, wie ich in wohl knapp demselben Alter abends in meinem Kinderbett lag und mir zum ersten Mal vornahm, ab morgen nur noch Salat zu essen, weil ich immer mehr realisierte, dass ich grösser, breiter und weniger dürr war als meine Freundinnen. Und dass das auf keinen Fall so bleiben durfte, weil es sich falsch anfühlte, ich mich falsch anfühlte.

Ich denke daran, wie viel Zeit und Energie es mich gekostet hat, ein gesundes Essverhalten zu etablieren und mich heute endlich in und mit mir wohlzufühlen. Ich denke aber auch an all die anderen unzähligen Frauen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Daran, wie wenige von ihnen ein wirklich unbeschwertes, entspanntes Verhältnis zu ihren Körpern und dem Thema Essen hatten – und haben. Und frage mich jetzt selber: Wie wären wir alle, wenn das Patriarchat nicht existieren würde?

Ein Mindestmass an Respekt

Passmann erzählt im Buch von ihren Lipfillern, Augenring-Unterspritzungen und Liftings – und haut raus: «Ich habe viel Geld dafür ausgegeben, so auszusehen, wie ich heute aussehe, und ich wäre heute nicht so zufrieden, wie ich es bin, wenn ich es nicht getan hätte.»

Und sie zieht die Verbindung zwischen Macht und Aussehen: «Es gibt immer diese rührenden Momente, in denen jungen Frauen geraten wird, auf den ganzen Kram zu verzichten und einfach zu erkennen, dass sie schön sind. … Es gibt einen von Wunschdenken durchzogenen Nachbau der echten Welt, in der es klappen könnte, dass Frauen all das lassen, so sehr, dass sie vergessen, dass die Frage, wie einfach und glücklich ihr Alltag verläuft, unendlich viel damit zu tun hat, als wie sexuell verwertbar Männer sie einschätzen.»

Es gehe um ein Mindestmass an Respekt. Darum, zum Beispiel, ob Männer einem während einer Unterhaltung ins Gesicht schauten, wie freundlich man im Restaurant bedient werde oder darum, ob man Jobs bekomme oder doch eher Hasskommentare. Passmann sagt sogar: «Mein Leben ist einfacher, weil ich anders aussehe als noch vor ein paar Jahren.»

Sie zeigt schmerzlich ein Paradox auf, das in unserer Gesellschaft herrscht, dem auch ich schon auf den Leim gegangen bin: Frauen sollen bitte hübsch und jung sein (oder zumindest so aussehen), um Anerkennung und Respekt zu bekommen, aber, Gott bewahre, ja nicht zu viel dafür tun. Natürliches Make-up, Gesichtsmaske, Waxing: Es lebe Selfcare! Schönheitseingriffe? Erbärmlich.

Wir sollen bitte alle dünn und in Shape sein, um uns wirklich mit uns wohlfühlen zu dürfen, aber eben auch nicht verbittert an Gemüsesticks knabbern oder allzu versessen ins Fitnessstudio rennen. Immer schön locker bleiben. Und hot.

Wirr, aber mutig

Nicht mit allem in Sophie Passmanns Buch kann ich mich gleich identifizieren, nicht mit allem bin ich gleich einverstanden (das Herbeisehnen von sexueller Belästigung, weil gleichgesetzt mit Aufmerksamkeit, ist zwar schonungslos ehrlich, aber definitiv streitbar). Muss ich aber auch nicht. Denn «Pick me Girls» ist ein Memoir. Heisst: Es geht um Passmanns Erfahrungen und Erlebnisse.

Das wiederum heisst in diesem konkreten Fall auch: Beim Erzählen verliert sich Passmann von Zeit zu Zeit, beim Lesen verirrt man sich in den – teilweise widersprüchlichen – Gedanken der Autorin. Bis zum Ende bleibt für mich unklar, was das Buch und sein Titel mir zusammengefasst denn jetzt eigentlich genau sagen wollen: dass die Autorin früher ein Pick me Girl war? Dass sie immer noch eins ist? Dass wir es alle manchmal sind, weil uns das Patriarchat dazu macht? Oder bündelt es am Ende einfach nur verschiedene schlaue Gedankengänge, die ihre übergeordnete Form nicht so richtig finden?

Schlussendlich ist das zwar ein bisschen schade – aber auch ein bisschen egal. Denn was sich durch das ganze Buch zieht, ist: Mut. Passmann liefert zwar weder Lösungsansätze für die unzähligen Dilemmas, die das Patriarchat uns vorsetzt, noch ein Patentrezept, um die «Autoaggression, mit der Frauen sich selbst in ihrer Weiblichkeit abwerten, um Männern besser zu gefallen» aufzulösen. Aber sie lässt Leser:innen so nah an ihre eigene Scham ran, dass es wehtut.

Und genau das ist so heilsam: Es ist eine Scham, die wahrscheinlich die meisten von uns in irgendeiner Form kennen. Passmann selber beschreibt es so: «Dieses Buch hier will gar nichts besser wissen. Es will nur das tun, was Männer seit Generationen tun: gemeinsame Erfahrungen archivieren.» Und das berührt. Ganz unabhängig davon, wie man zu der Sophie Passmann steht, die das Patriarchat aus ihr gemacht hat.

«Pick me Girls» von Sophie Passmann, Kiepenheuer & Witsch, ca. 34 Franken

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Hedi

Als ich jung war,war ich so ein zart, still, niedliches Mädchen,das tatsächlich gut bei Männer jeden Alters ankam. Nicht das ich es wollte, da einfach nur grussig! Als ich fülliger wurde,fing ich an mich sexier zu stylen, weil mir die Anerkennung fehlte und ich mich nicht mehr wohl fühlte. Jetzt mit 40+ ist mein Style wieder wie früher.kein Make up oder sexy Kleidung. Die Blicke sind wieder da. Imho hatte es nie mit dem BMI zu tun. Ich war in dieser Zeit (20-30) einfach total überfordert vom Leben und unglücklich. Es mag zwar gut sein und die schuld zu geben, aber erwachsen werden ist nicht einfach, ob für Frau oder Mann.