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Sophie Passmann: «Ich kann Bücher schreiben und gleichzeitig ein süsses Foto posten»

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Sophie Passmann: «Ich kann Bücher schreiben und gleichzeitig ein süsses Foto posten»

Sophie Passmann ist Autorin, Influencerin und neu auch Schauspielerin. Ein Gespräch darüber, wer wir als Frauen sein müssen.

Vor vier Jahren sprach ich zum ersten Mal mit Sophie Passmann. Damals war sie ein Social-Media-Phänomen, das sich mit Polit-Satire innerhalb kurzer Zeit 30 000 Follower ertwittert hatte. Ich erreichte sie über ihre Handy-Nummer, heute hat sie ein Management.

Es ist viel passiert in ihrem Leben: Drei Bücher hat sie geschrieben, die mit dem Grimme-Preis prämierte Sendung «Männerwelten» und mehrere Popkultur-Podcasts moderiert. Und nun ist die 28-Jährige auch Schauspielerin. Spielt in der Amazon-Prime-Serie «Damaged Goods» die Hauptrolle, während sie als Journalistin für das Feuilleton der «Zeit» mal über Gucci, mal über die Ikonen des Selbstmarketings, die Kardashians, schreibt.

In Followern gemessen hat sich ihr Erfolg verzehnfacht: 300’000 folgen ihr auf Instagram, wo sie nun auch ihre Outfits oder einen Besuch bei der ästhetischen Hautärztin postet. Ich will mit ihr über diesen sehr gegenwärtigen Job reden. Über die Vermischung von Influencerin und Schreiberin. Und darüber, wer wir Frauen sein müssen für Instagram.

Eine Begegnung in Sophie Passmans Stammbar Freundschaft in Berlin-Mitte, wo wir eine Flasche Riesling trinken und auf einen grossen roten Kugelschreiber schauen, der über der Bar hängt.

annabelle: Es ist Donnerstag. Sophie Passmann, hast du die aktuelle Folge «The Kardashians» schon gesehen?
Sophie Passmann: Nein. Ich hatte irgendwie abgespeichert, dass die immer mittwochs kommt, mir gestern also Essen bestellt, mich aufs Bett gesetzt und dann geärgert, als ich gesehen habe, dass die erst um Mitternacht, also heute kommt. Aber wenn ich später zuhause bin, wird es das Erste sein, was ich mache.

Was magst du an den Kardashians?
Zum einen, und das ist, glaube ich, das Wichtigste, mag ich diesen aufrichtig liebevollen Umgang, den die miteinander haben. Der hat natürlich auch etwas L.A.-Oberflächliches, aber ich nehme es Kris Jenner total ab, dass sie ihre Kinder vergöttert. Ich mag, wie sie sie unterstützt und in den richtigen Momenten kritisiert. Es rührt mich. Innige Familiengeschichten rühren mich immer. Und darüber hinaus finde ich, was die Karriere angeht, hat vor allem Kim alles richtig gemacht, sie hat jahrzehntelang wirklich hart für diesen Erfolg gearbeitet. Ich bewundere auch – also natürlich mit dem Abstrich, dass es sich um Reality-TV handelt, sie also die Kontrolle darüber hat, was sie zeigt und was nicht –, dass sie in Momenten, in denen sie stark unter Beschuss steht, so eine seltene Grandezza hat, an der alles abprallt. Nur so konnte sie so weit kommen.

«She’s a boss. She’s a babe. And she works really hard», sagt eine Redaktorin der «Sports Illustrated» über Kim in der Serie. Ist Arbeit auch für dich identitätsstiftend?
Nein, in dem Sinn brauche ich Arbeit nicht. Ich bin sowieso vermutlich die schlechteste Ansprechpartnerin, wenn es um Arbeit geht und welchen Stellenwert sie im Leben haben sollte, da ich natürlich den albernsten und gleichzeitig entspanntesten Job aller Zeiten habe. Der paradoxerweise immer noch entspannter wird, je härter ich arbeite. Aber ich mag dieses «She works really hard» – um jetzt in diesem seltsamen Anglizismen-Sprech zu bleiben –, bezogen auf die Extra Mile, die man gehen kann. Die ich gehe. Ich bin immer ein bisschen besser vorbereitet, gebe ein bisschen schneller ab, bin noch ein bisschen pünktlicher und abends oft noch eine Stunde länger am Schreibtisch, als ich müsste. Denn ich überrasche andere gern damit, besser vorbereitet zu sein, als sie dachten. Und ich geniesse es, den Ruf zu haben, immer pünktlich zu sein. Gerade weil ich mittlerweile an einem Punkt bin, an dem ich es mir erlauben könnte, es nicht zu sein. Wäre ich zu diesem Interview eine halbe Stunde zu spät erschienen, hätten alle auf mich gewartet. Mein Anspruch ist aber: Je mehr ich mir rausnehmen kann, desto weniger möchte ich mir rausnehmen.

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«Ich gehe die Extra Mile. Ich bin immer ein bisschen besser vorbereitet, ein bisschen pünktlicher»

Mit dem Fernsehkritiker Mathias Kalle hattest du mal den Podcast «Die Schaulustigen», in dem ihr über Serien gesprochen habt. Nun bist du selbst Teil einer Serie – «Damaged Goods» –, in der du eine Podcasterin spielst. Ist es angenehm, sich selbst zusehen zu können?
Nicht wirklich. Also ich tue es nur, wenn ich muss. Obwohl ich auch gemerkt habe, dass es mir viel weniger Ärger und Schmerzen bereitet, mich in einer Rolle zu sehen, als zum Beispiel Fotos von mir selbst zu sehen, weil ich in der Rolle eben nicht mich sehe, sondern Nola. Wenn ich sie bin, fallen die Eitelkeiten von mir ab. Denn wenn mir etwas nicht gefällt, denke ich: Das wurde so entschieden, dass die das so anzieht. Wenn ich mich aber selbst für ein Outfit entscheide und mich in diesem Outfit mit meiner eigenen Attitüde irgendwo sitzen sehe, kommt die innere Kritikerin raus. Aber die ist heute auch schon milder als noch vor zwei, drei Jahren.

Siehst du Serien nun mit anderen Augen?
Ja, ich weiss jetzt, unter welchen Bedingungen Serien entstehen, warum gewisse Entscheidungen getroffen werden. Kann eher unterscheiden, ob eine Serie gut gemacht ist, weil sie gut geschrieben, gut gespielt oder gut geschnitten ist. Sachen, für die ich Serien früher im Gros kritisiert habe, könnte ich nun spezifizieren als: Das ist an dieser und jener Stelle handwerklich nicht gut gemacht. Aber ich glaube auch, dass ich keine Serien mehr rezensieren werde. Weil ich immer häufiger merke, dass ich zu weit weg bin vom Fachjournalismus. Das fängt schon ganz banal mit solchen Dingen wie Schenkungen an. Die sind als Person des öffentlichen Lebens völlig okay. Aber kann ich als Beschenkte journalistisch unabhängig über diese Marke schreiben?

Diese Vermischung von Rollen finde ich interessant. Gerade weil durch Social Media die Grenzen zwischen dem, was Autor:innen oder Journalist:innen sind, und dem, was Influencer:innen sind, immer öfter verschwimmen. Da man, besonders als junge Frau, um eine Marke zu sein, am besten viele Follower haben sollte, die man auf Instagram primär durch sogenannte glamour labour bekommt. Ein Begriff, den die Soziologin Elizabeth Wissinger geprägt hat: Frauen machen sich im Internet – nach dem Vorbild der Kardashians – zu Produkten des öffentlichen Konsums. Haben dort ein ansprechendes Bild von sich abzugeben, das ihr eigentliches Arbeiten kontextualisiert. Eines Tages tritt bei reichweitenstarken Frauen womöglich der Effekt ein, dass sie das, was sie eigentlich gearbeitet haben, gar nicht mehr unbedingt machen müssen, weil es reicht, ihre Weiblichkeit ästhetisch darzustellen.
Den Begriff glamour labour finde ich einerseits grossartig, andererseits: Ist das nicht einfach Marketing? Ein Plattenleger, der besonders gutes Marketing macht, muss doch auch nicht weniger Platten legen, um seine Rechnungen zu bezahlen. Und ich muss auch nicht aufhören, Bücher zu schreiben, nur weil ich zwischendurch mal ein süsses Foto hochlade. Aber im Bezug auf unglamourous labour kann ich nun outsourcen. Also eine tolle Stylistin kann mir ein Outfit besorgen, früher habe ich das selber machen müssen. Der Öffentlichkeitsjob wächst, während mein Aufwand schrumpft. Und ich glaube auch, dass man glamour labour nicht machen muss. Es gibt doch ganz viele junge Autorinnen, die das überhaupt nicht machen. Helene Hegemann fällt mir gerade ein. Die ist auch eine Marke…

…die durch einen Skandal bekannt wurde. Sie hatte Teile aus ihrem Debüt- Roman «Axolotl Roadkill» beim Blogger Airen entlehnt, ohne das kenntlich zu machen. Und ihren Vater, den deutschen Dramaturgen und Autor Carl Hegemann, darf man als Wahrnehmungshilfe auch nicht vergessen.
Auch wenn du mich schon vorher, über Twitter, auf dem Schirm hattest, würde ich sagen, dass auch meine Karriere mit einem Skandal anfing. Mein erstes Buch «Alte weisse Männer» wurde wochenlang – ähnlich wie «Axolotl Roadkill» – im Feuilleton diskutiert. Mit Antworten auf Antworten auf Antworten. Mir wurde von einer Seite vorgeworfen, dass ich berechnend, zynisch und antifeministisch sei. Aber ich glaube, dass ich mich sehr schnell davon freigeschaufelt habe, weil dann schon ein neues Buch und «Männerwelten» kamen. Also, ich glaube nicht, dass ich glamour labour betreiben muss, um Bücher veröffentlichen zu können. Dafür muss ich schreiben und auf Lesereise gehen. Denn «Alte weisse Männer» konnte ich schliesslich auch ohne jegliche glamour labour veröffentlichen.

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«Ich habe meine Eitelkeit immer dementiert, weil ich dachte, das passt nicht zu meinem Job»

Du hattest dir innerhalb kurzer Zeit eine grosse Followerschaft auf Twitter erarbeitet, wo du vor allem durch funny Headlines zu Politiker:innen-Fotos aufgefallen bist. Nun bist du eher zu Instagram umgezogen, wo du, der Bildsprache der App entsprechend, Selfies, Outfits und Wochenrückblicke postest. Wenn man mit Social Media arbeitet, lässt man dann zu einem gewissen Grad den Algorithmus die Regie über die eigene Karriere übernehmen?
Wie gesagt: Ich empfinde glamour labour nicht als etwas, das ich machen muss. Im Gegenteil – es ist etwas, auf das ich Lust habe. Von Twitter habe ich mich aus psychohygienischen Gründen etwas zurückgezogen. Die Irrelevanz des deutschsprachigen Twitters hat mich einfach zunehmend aufgeregt. Und natürlich kann sich niemand von der Architektur der sozialen Netzwerke freimachen. Ich bin also nicht gefeit vor der Konditionierung durch die Serotoninausschüttung bei vielen Likes. Aber meine Follower kreiden es mir eher an, wenn ich zu oberflächlich werde. Ich bekomme tatsächlich mehr positives Feedback zu meinen Büchern und Feuilletontexten als zu einem Outfit-Post. Es hat mich Überwindung gekostet, das zu ignorieren. Ich habe diesen Aspekt meines Lebens lang nicht öffentlich gemacht, weil ich dachte, das passt nicht.

Was passt nicht?
Ästhetik und Oberflächlichkeit zu Intellektualität. Ich habe dann aber irgendwann gemerkt, dass es im Prinzip nur ein Weiterspinnen eines sexistischen Klischees ist: Nämlich alles, was Schönheit ist, ist Weiblichkeit, und alles, was weiblich ist, kann nicht intellektuell sein. In den letzten zwei Jahren habe ich mich also gezwungen, zu machen, worauf ich Bock habe: eher glamourös als cool auszusehen. Und nicht mehr ironisch über den roten Teppich zu gehen, so wie man das vielleicht von einer Autorin erwarten würde: weisses Hemd zu schwarzer Hose, dazu Doc Martens. Um einmal von unten so zu den Fotografen hochzuschauen und dann weiterzugehen. Ich erlaube mir jetzt, den roten Teppich geil zu finden. Ich habe vierzehn High-Fashion-Ideen, und in acht davon passe ich rein, also setze ich sechs davon um. Denn am Ende meines Lebens werde ich keinen Preis dafür bekommen, dass irgendwelche Feuilleton-Boys sagen: Sie ist real geblieben. Das ist mir völlig egal. Ich würde eh sagen: Ich bin heute realer und glücklicher als noch vor fünf Jahren.

Du meinst, wenn eine junge Frau als intellektuell wahrgenommen werden möchte, sollte sie möglichst kein Makeup benutzen?
Ich bin nur geringfügig jünger als Helene Hegemann, aber der geringe Unterschied hat insofern gereicht, als dass ich sie damals noch in meinem Elternhaus als Gast in der «Harald-Schmidt-Show» gesehen habe und dachte: Boah, wie cool, wie abgehangen und unbeeindruckt ist die denn? So muss man das machen. So muss man aussehen. Heute habe ich erkannt: Ich bin so gar nicht. Ich habe da etwas imitiert, von dem ich dachte, dass ich es zeigen müsste, um ernst genommen zu werden. Aber ich bin in ganz vielen Bereichen einfach: die eitle Frau, die Klischees bedient, die man intellektuell vielleicht nicht bereichernd findet, aber ich habe wirklich schlechte Laune, wenn ich aus dem Haus gehe und mein Pony nicht sitzt. Und natürlich hat das was mit dem Patriarchat zu tun. Wir könnten hier jetzt diese Schleife machen, in der wir uns gegenseitig beweisen, dass wir die gleichen Bücher lesen, aber es würde alles nichts an diesem einen Punkt ändern: Ich bin eitel. Und ich habe das immer dementiert, weil ich dachte, das passt nicht zu meinem Job. Deswegen habe ich mir jetzt einfach selbst einen Job gebaut.

Dass deine Follower dir Outfit-Posts, wie du sagst, ankreiden, kannst du das nachvollziehen? Also, um bei unserem Beispiel Helene Hegemann zu bleiben, wenn die sich nun – ich hoffe, sie liest das nicht – Po und Lippen aufspritzen lassen würde, um dann aufreizend im Bikini zu posieren, würde sie das natürlich keinen Grad weniger genial machen, aber es wäre eine Nachricht, die ich – so wenig sie mich auch angeht – trotzdem nicht mit Jubel aufnehmen würde. Da es meinen Eindruck verstärken würde, dass sich der medial stattfindende Frauentypus optisch in Richtung male-gaze-bedienender Normschönheit angleicht.
Was du sagst, erinnert mich an die Kommentarspalte unter dem sogenannten Glow-up-Foto von Sängerin Adele nach ihrer Scheidung. Da hatte sie, wahrscheinlich aus Kummer und «Ich werde es ihm zeigen»-Gründen, mit einem Personal Trainer dreissig Kilo abgenommen und unter dem Foto las man Kommentare mit dem Tenor: Ich bin voll enttäuscht. Weil die Fans in ihr nun eben keine Sängerin mehr hatten, die sie sich anschauen konnten mit dem Gedanken: Entgegen des Schlankheitsideals im Pop hat sie es geschafft. Als ich diese Kommentare sah, habe ich bemerkt, dass ich in meiner Karriere eigentlich immer viel Beinfreiheit haben werde, denn mein Körper ist mein Unique Selling Point. Wenn ich jetzt anfangen würde, mir die Lippen aufspritzen zu lassen, dann könnten die Leute sagen: Ich finde es intellektuell schwierig, dass sie das nicht reflektiert. Aber ich werde dennoch eine Sonderfigur bleiben. No pun intended. Das, von dem ich in meiner Jugend immer dachte, es wäre mein grösster Makel, ist eigentlich mein grösstes Karriereglück. Denn Frauen finden es spannend, Körper wie meinen in den Medien zu sehen, weil sie das eben nur so selten dürfen.

Du hast mal gesagt, dass du sanfter geworden bist, was die Beurteilung von Menschen in der Öffentlichkeit angeht, da du selbst viel vernichtende Kritik hast einstecken müssen. Was hat man dir vorgeworfen?
Die Passmann, das ist doch eine neoliberale Bitch, die alles, was sie sagt, nur sagt, um noch mehr XY zu erreichen. Das hat mit «Alte weisse Männer» angefangen. Noch schlimmer war es aber nach «Männerwelten», als alle Frauen, die mitgewirkt haben, so stolz waren auf das Medienecho, und dann, innerhalb dreier Tage, war sich eine gewisse Bubble auf Twitter einig: «Sophie Passmann, dieses privilegierte Bürgerkind, …» – wo ich sagen würde, das stimmt, aber alles, was dann nach dem Komma kam, da bin ich nicht mehr einig mit dir. Das hat mir viele Nerven und viel Schlaf geraubt. Eine Journalistenkollegin hatte damals getwittert, sie würde sich wünschen, dass Kritik nicht einfach «wegreflext» würde. Das ist mir damals sehr nah gegangen, weil ich dachte: Alter, jetzt kann ich mich nicht mal mehr verteidigen, ohne dass Menschen sagen, dass ich intellektuell erhaben auf alles eingehe, was man mir vorwirft, egal wie schäbig es ist. Mittlerweile nehme ich aber an, was Menschen mir sagen, die mich trösten wollen: Die ist nur neidisch. Das ist natürlich nicht immer, aber tatsächlich öfters wahr. Andere Bücher schreibende Feministinnen gehen mich gar nicht deswegen an, weil sie wirklich glauben, dass alles, was ich schreibe, das Schlimmste auf der Welt ist, sondern weil sie insgeheim hoffen, dass wer sich als anti-passmann positioniert, eine Passmann-Karriere machen kann.

«Ich habe mich aus dem Politik-Scheiss komplett rausgezogen. Es bringt einfach nichts»

Hilft dir der Gedanke, dass es dabei eigentlich nicht um dich als Person geht, sondern um dich als Marke? Dass du eine Projektionsfläche für bestimmte Attribute bist, an denen andere sich abarbeiten? Oder wie gehst du damit um?
Nach «Alte weisse Männer» habe ich eine Zeit lang versucht, zu beweisen, dass ich überhaupt nicht anfällig bin für all diese Denkfehler, die sie mir vorwarfen, weil: Ich habe Philosophie und Politikwissenschaft studiert – im Gegensatz zu vielen anderen. Meine Kritker:innen sind oft gleichzeitig Fans der Autor:in Hengameh Yaghoobifarah (nonbinäre Kolumnist:in der deutschen Tageszeitung «TAZ» und Autor:in von «Ministerium der Träume», Anm. d. Red.). Mit Hengameh habe ich lustigerweise zusammen studiert. In Freiburg. Wir haben die gleichen Seminare belegt. Waren eine Zeit lang sogar befreundet. Ich habe also lang versucht, die Leute zu überzeugen, dass ich die gleichen Bücher gelesen habe, dass ich nur vielleicht auch mal einen Witz über deren Inhalte mache, weil ich eben Comedy-Autorin bin. Ich komme ja nicht von Homer, nicht von Cervantes, sondern von Böhmermann und Schmidt! Ich habe also versucht, die Selbstkritische zu werden, nach ein paar Jahren aber gemerkt: Ich kann sagen, was ich will, es wird die vorgefertigte Meinung dieser Bubble nicht ändern. Es ging so weit, dass ich in einem Interview auf Kritik mit etwas reagiert habe, das sie wohl nicht auseinandernehmen konnten. Da kam dann der Vorwurf: Ach, jetzt plapperst du PoC*-Feminist:innen nach. Und ich denke mir so: Nein. Ich plappere meinen Seminar-Leiter 2014 aus Freiburg nach und den Büchern, die sowohl er als auch ich gelesen haben. Ich kann es euch nicht recht machen. Also bin ich jetzt wieder das freche Bürgi-Kind. Das Feuilletonist:innen natürlich lieber interviewen, weil es sie an ihre eigenen Töchter erinnert. Und jetzt denke ich nicht mehr an sie. Also – ausser in Interviews.

Das Schlimmste am Internet sei, dass wir die Repräsentation einer Sache mehr schätzen als die Sache selbst, sagt Jia Tolentino.
Das ist eigentlich schon zu offensichtlich richtig. Es ist eine Binsenwahrheit wie: Sprache schafft Wirklichkeit. Natürlich. Im Internet geht es darum, dass man dabei gesehen wird, wie man als Person eine Sache repräsentiert. Was nur dazu führt, dass die bestehenden Strukturen weiter zementiert statt dekonstruiert werden. Plakatives Beispiel: Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine Schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird: Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein? Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben. Ich habe mich deswegen vor zwei Jahren aus dem Politik-Scheiss komplett rausgezogen. Es bringt einfach nichts, ausser dass ich ordentlich Bücher verkaufe. Und das ist selbst mir zu unehrlich.

Aber warum bringt das nichts? Einen abstrakten Missstand in einem Interview aufzuführen, der nur durch Gefühle und Erfahrungen belegt ist?

Die einzelne Aussage mag nicht viel bewegen, aber vielleicht die daraus entstehende Debatte. Durch #MeToo beispielsweise hat sich einiges verändert…
… aber #MeToo ist doch auf einer ganz anderen Landkarte. Die Repräsentanz, auf die Jia Tolentino abzielt, meint, dass eine Einzelperson als Angehörige einer identitätspolitischen Gruppe etwas darstellt, für das sie ungefragt die ganze Identitätsgruppe in Mithaft nimmt, weil sie sagt: So sind wir. Das sind unsere Erfahrungen. Da ist meiner Meinung nach der Erkenntniswert gleich null. Der Erfolg von diesen Interview-Reihen und Büchern hat damit zu tun, dass Journalist:innen an irgendeinem Punkt entschieden haben, dass Erfahrungen gleichwertig sind mit Fakten. Der Hashtag #MeToo aber war eine aktivistische Aktion, die etwas angeprangert hat. Menschen, denen etwas passiert ist, sprachen darüber, was ihnen passiert ist. Die repräsentierten niemanden.

Wenn wir uns einig sind, dass Twitter ein anstrengender Ort ist: Was sind denn gute Orte im Internet?
Die «For You»-Page auf Instagram ist toll, wenn man sie sich richtig trainiert hat. «Farfetch» und «Mytheresa» sind sehr gute Orte. Auf «Highsnobiety» kann man gute Sachen lesen. Und der neue Blog von Leandra Medine Cohen, die früher «Man Repeller» gemacht hat, ist auch sehr gut. Und ich liebe Youtube-Kanäle (lacht) von alten Männern, die irgendwo in ihren Wohnzimmern im Südbadischen sitzen, Wein trinken und sagen: Das ist aber eine schön integrierte Frucht! Es ist im Internet wie überall: Man muss Orte finden, an denen man mehr von dem findet, was einen interessiert. Dafür – und das ist leider ein grosses, anerzogenes Frauenproblem – muss man aber auch wissen, was einen interessiert. Mädchen wird oft nicht beigebracht, dass es sich für sie lohnt, Interessen zu haben, weil Interessen immer mit Eigenheiten und Eigeninitiative zu tun haben, die kulturell gesehen nicht mit Weiblichkeit assoziiert werden. Das heisst, junge Mädchen spielen mit 13 nicht Fussball, sondern schauen sich eher Tiktok-Tutorials an, in denen sie lernen, wie man sich schminkt und die Haare macht. Was bis zu einem gewissen Grad auch Hobby sein kann, wenn man sich eben über diese Anleitung hinaus für diese Themen interessiert.

«Wir brauchen Vorbilder, die eine coole, selbstbestimmte Form von Weiblichkeit repräsentieren»

Eine 13-Jährige, die verinnerlicht hat, normschön sein zu müssen, um geliebt zu werden, muss natürlich viel Zeit an Orten verbringen, die ihr dabei helfen, eine Normschönheit herzustellen. Und – zack! – schon hat sie neben Schule, Essen, Schlafen keine Zeit mehr für andere Hobbies.
Natürlich sind wir alle Opfer der patriarchalen Umstände, aber diese intellektuelle Schleife hilft keiner 13-Jährigen dabei, weniger zu leiden. Ästhetik wird immer ein Aspekt von Weiblichkeit sein und hoffentlich ein Feld, das auch von immer mehr Jungen erschlossen wird. Der Kreislauf wird nicht dadurch durchbrochen, dass Frauen anfangen, weniger schön zu sein, sondern dadurch, dass wir anfangen, interessanter zu sein. Die meisten Frauen um mich herum haben keine Hobbies. Die meisten Männer schon. Und wenn es nur Fussballspielen mit den Freunden ist. Die Frauen um mich herum hörten auf, Hobbies zu haben, sobald sie geschlechtsreif wurden. Wir brauchen Vorbilder, die eine coole, selbstbestimmte Form von Weiblichkeit repräsentieren.

Und da schliesse ich den Kreis und nehme dich, stellvertretend für uns alle, in Haft: In dem Moment, in dem du imitierst, was du siehst – also glamour labour auf Instagram –, werden deine Followerinnen eher dazu verleitet, Kleidung zu kaufen, anstatt zu googeln: Welcher Wein hat eine gut integrierte Frucht?
Das Stichwort ist Selbstbestimmung. Das Traurige ist doch, dass ich mit 22 gedacht habe, dass es nur einen sehr engen Korridor gibt, auf dem ich als intellektuelles Wesen akzeptiert werde. Und das ist das Problem. Dass Frauen vielschichtig sind, muss anerkannt, muss vorgelebt werden.

Und wenn man erkennt, dass man bestimmte Dinge nur tut, weil sie im patriarchalen System von einem erwartet werden, soll man nicht versuchen, dieses Verhalten zu ändern?
Tut mir leid, aber jetzt sind wir knietief in Heidegger. Willkommen im Drittsemester Philosophie in Freiburg! Kein Mensch kann doch wissen, warum er gewisse Dinge möchte! Das können Männer doch auch nicht. Und wenn ich mir jetzt – wie zu Beginn meiner Karriere – weiterhin verbiete, eitel zu sein, und du das dann einen Systemdurchbruch nennst, ist das schlicht ein Kategoriefehler. Du setzt System und Systemumfeld gleich. Ich kann das System nicht durchbrechen, aber mein Umfeld, das kann ich verändern. Es ist doch albern, zu verleugnen, wer man ist. Dass man im Jetzt lebt, sowohl mit gewissen ästhetischen als auch popkulturellen Prägungen sowie einer Gender-Prägung. Ich bin der Mensch, der ich bin, mit den Erfahrungen, die ich gemacht habe, mit dem Alter und dem Elternhaus, das ich habe. Wenn ich vorlebe, dass ich bin, wie ich bin, und auf genau dieser Grundlage versuche, ein bisschen besser zu sein als die, die zeitlich vor mir waren, dann ist das die einzige Form von Empowerment, die wirklich funktionieren kann. Und genau das kann man sich bei mir abschauen und nachmachen.

*PoC: People of Color (im Singular Person of Color) ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren.

Me too: Die Phrase «Me too» geht auf die Schwarze US-Aktivistin Tarana Burke zurück und wurde 2017 als Hashtag populär, der Betroffene dazu ermutigte, auf erlebten sexualisierten Missbrauch und Übergriffe aufmerksam zu machen.

Auf Amazon Prime Video: «Damaged Goods». Drama-Serie in acht Folgen, in der Sophie Passmann als Podcasterin ihr Schauspieldebüt gibt

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Rike

Tolles Interview!!

Fa

„Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine Schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird: Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interview-Mikrofon hinein?“ – Wer bitte sonst? Der „alte weiße Mann“ oder die junge, hippe im Herzen katholische Bayerin. Das manchen ihr internalisierter Rassismus nicht mal auffällt, wenn sie ihn laut und deutlich artikuliert lässt mich immer wieder kopfschüttelnd zurück…

Jajay

Nein, MEHR PoC Personen, die von Ihren Erfahrungen berichten. Die Unterrepräsentation von PoC Menschen in den Medien ist das Problem. Sobald mehr PoC repräsentiert werden, desto mehr Erfahrungsberichte, desto mehr Sprachrohre sollte es geben, die dringend gebraucht werden. Es kann nicht nur die eine Erfahrung des einen Sprachrohrs geben, das wäre auch unfair für die ganzen Menschen, die von Rassismus betroffen sind, da sich davon nicht jeder repräsentiert fühlen wird.

Pat

Ich verstehe nicht so ganz den Unterschied zwischen #MeToo und den Büchern etc von BlPoCs. Die Erfahrungen, die die Frauen bei #MeToo haben sind doch nicht qualitativer als Erfahrungen, die Schwarze Frauen machen, es sind alles Fakten. Das anzusprechen halte ich für gemeingefährlich, ignorant und patriarchalisch. Sophie Passmann spricht außerdem zu abgehoben, man muss einen gewissen Intellekt voraussetzen, um sie zu verstehen. Wen will sie damit denn erreichen? Das ist Feminismus für Privilegierte!

Anna

Solche Antworten kann auch nur eine Person von sich geben, die noch nie von Rassismus betroffen war… Was sind das bitte für Antworten? Wer spricht hier? Ein alter weisser Mann?
Passmann glaubt zudem wohl, sie sie die einzige Frau auf diesem Planeten, die Intellekt mit Sexiness verbindet. WIe abgehoben kann mensch sein. Bäh.

Kaja Sturmfels

Einige sehr interessante Punkte. Vor allem die Tatsache, dass es nichts bringt, sich selbst zu verleugnen, nur weil Teile einer selbst durch Patriarchat-Prägung kommen oder eventuell kommen – es ist ja absolut unmöglich, das wirklich festzustellen. Solange Menschen Spaß an etwas haben (und damit niemand anderem schaden), sollen sie es einfach machen. Reflexion ist dabei natürlich immer eine gute Ergänzung.
Wobei ich mich frage, ob die Frage am Ende nicht so gemeint war, dass, wenn wir feststellen, dass wir Dinge nur aus gesellschaftlichen Gründen machen und eigentlich gar keinen Spaß daran haben, damit nicht aufhören sollten, das würde ich dann eindeutig bejahen.
Was ich mich frage, ist, was Sophie Passmann mit Weiblichkeit meint. Vor allem bei Aussagen wie “Ästhetik wird immer ein Teil von Weiblichkeit sein”. Wieso? Wenn Stereotype wie das “schöne Geschlecht” ausgemerzt sind, sollte sich die Rolle, die Ästhetik im Leben von Frauen spielt, doch nicht davon unterscheiden, welche Rolle Ästhetik im Leben von Männern spielt. Ästhetik wird wohl immer eine Rolle bei Menschen spielen, wir finden nunmal bestimmte Anblicke schön, ob das jetzt ein Sonnenuntergang ist oder ein Mensch, an dem wir sexuell interessiert sind. Aber was daran jetzt spezifisch weiblich sein soll, verstehe ich nicht.
Und dann eben noch die Grundfrage, was ist Weiblichkeit. Für mich gibt es Weiblichkeit und Männlichkeit gar nicht. Es gibt verschiedene Definitionen für die Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Legitim finde ich dabei biologisch (Chromosomen, Geschlechtsteile und Hormone), körperlich (eine Transfrau, die geschlechtsangleichende Operationen hat vornehmen lassen, ist zum Beispiel körperlich weiblich oder auch Inter-Menschen mit weiblichem Phänotyp; wobei hier etwas unterschiedliche Definitionen und Differenzierungen möglich sind, also ob jetzt etwa ein Transmann ohne Penoid-Operation körperlich männlich ist oder nicht) und identitär (jemand fühlt sich als Mann oder Frau). Und alles andere sind Stereotype, welche m. E. abgeschafft werden sollten.
Ich bin absolut gegen dieses “neue Männlichkeit, neue Weiblichkeit”-Gerede. Ich finde, wir sollten darüber reden, wie wir alle die Menschen sein können, die wir sein wollen, ohne dass uns dabei Steine in den Weg gelegt werden bzw. wir sogar beschimpft, bedroht, verprügelt oder umgebracht werden.
Vorher müssen wir allerdings vielleicht darüber reden, wie wir respektvoll miteinander reden können …