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Tod der ersten Liebe: Wie geht es danach weiter?

Zeitgeist

Tod der ersten Liebe: Wie geht es danach weiter?

Luana Heim ist 23, als ihr Freund tödlich verunglückt. Wie verändert dies ein so junges Leben?

«Das letzte Mal sah ich ihn zwei Tage vor dem Unglück. Ich war mitten in meinem Spitalpraktikum, hatte Spätdienst und wollte ausschlafen. Er ging früh zuhause weg, ich verabschiedete mich spärlich. Dass ich nicht aufgestanden bin, ihm nicht ordentlich ‹Tschüss› gesagt habe, das beschäftigt mich bis heute.

Luca war 22 Jahre alt, als er beim Bergsteigen verunglückte. Und ich, ich verlor mit 23 Jahren plötzlich meinen Anker, der mich auch in stürmischen Zeiten fest am Boden hielt. Meine erste grosse Liebe. Luca war ein gebürtiger Österreicher, studierte Mathematik an der ETH in Zürich. Ich war Pflegestudentin im zweiten Jahr. Durch gemeinsame Freunde lernten wir uns kennen. Sein lebensfrohes und humorvolles Wesen fesselte mich. Er war mein Gegenpol, immer aktiv und abenteuerlustig – ein leidenschaftlicher Alpinist. Abends im Bett zeigte er mir begeistert Fotos, die er auf seinen Touren gemacht hatte. Jeden Gipfel konnte er benennen.

Luca stürzte in die Tiefe, als sich am Berghang ein Schneebrett löste. Sein Kollege blieb dank des Sicherheitsabstandes unversehrt und alarmierte die Rettungskräfte. Beide waren erfahren, kannten sich aus in den Bergen und trafen stets alle Vorkehrungen. Es war einfach ein riesengrosses Pech. Die intensive, mehrtägige Suche blieb erfolglos. Das Gelände war unpassierbar, die Witterung zu schlecht. Über ein halbes Jahr verging, bis sein Körper endlich gefunden wurde.

Hoffnung

Mit seinem Tod versank ich in tiefster Trauer, spürte mich nicht mehr. Tage und Monate zogen unbemerkt an mir vorbei. Es hatte sich ein dunkler Schleier über mein Leben gelegt. Einstige Leichtigkeit wich anhaltender Schwermut. Schmerz, Angst und Besorgnis wurden zu ständigen Begleitern. Am Alltag nahm ich nur noch passiv teil. Es war – und ist teilweise immer noch – ein Überlebenskampf. Zuvor hatte ich nebst unserer Beziehung viele andere Interessen. Studium, Freunde, Hobbies. Von der Trauer überschattet, spielte das alles plötzlich keine Rolle mehr. Mit ihm starb auch ein Teil von mir.

Hatte er Schmerzen? Fühlte er sich einsam? Wo ist er jetzt? Diese Fragen plagen mich jeden Tag. Irgendwann musste ich lernen, den Körper von der Seele zu unterscheiden. Früher dachte ich, mit dem Tod käme das Nichts. Eine Ansicht, vor der mir mittlerweile graut. Der Gedanke, dass er nun anderswo seine Wege geht, dass es ein Leben fern ab von dieser Erde gibt, macht diese Sinnlosigkeit tragbar.

Die Hoffnung, dass das alles nur ein riesiger Irrtum ist, bleibt aber. Wenn ich Velokuriere sehe – er jobbte nebenher als Bote bei einer Restaurantkette – schaue ich immer zweimal, ob sich nicht doch sein Gesicht unter dem Helm verbirgt. Und manchmal, da stelle ich mir vor, dass er einfach keine Lust mehr hatte auf den Alltag und heimlich verreist ist.

Verlorene Zukunft

Um mich mit anderen Hinterbliebenen auszutauschen, besuchte ich kurz nach seinem Tod eine Trauergruppe. Die meisten Teilnehmenden waren viel älter als ich, abgesehen von der 34-jährigen Mara. Schon während des ersten Treffens merkte ich, dass mit den Generationen auch Wertvorstellungen, Lebenssituationen und Fragen stark variieren. Viele sorgten sich um die Bewältigung des Haushaltes, um den Verdienst des Lebensunterhaltes und um den Verlust jahrelanger Routinen. Ich haderte derweilen vielmehr mit der verlorenen Zukunft. Der seinen, der unseren.

Statt zur Gruppe zu gehen, sehe ich Mara oft privat. Wir sprechen über Erlebnisse, die uns mit unseren Partnern verwehrt blieben, über intime Bedürfnisse und Möglichkeiten einer neuen Liebe. Denn früher oder später wird der Zeitpunkt vielleicht kommen, in dem der Wunsch nach Nähe und Sexualität wiederkehrt. Dass meine Liebe für Luca dadurch schwinden wird, bezweifle ich. Vielmehr sehe ich meine Zukunft aus einer polyamoren Perspektive. Die Liebe wird nicht weniger, sie erweitert sich.

Oft überlege ich, was Luca mir wohl raten würde, wenn ich mich wieder mal in Gedanken und Hoffnungslosigkeit verliere. ‹Tu dich nicht so verkopfen, das bringt nichts›, würde er mir lächelnd zuflüstern, mich fest in die Arme nehmen.»

Dieser Text stammt aus der aktuellen annabelle-Sonderausgabe zum Thema Tod. Das Spezialheft ist am Kiosk erhältlich.

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