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Solo-Reisen: Wie ich in Griechenland lernte, loszulassen

Reisen

Solo-Reisen: Wie ich in Griechenland lernte, loszulassen

  • Text: Sarah Lau
  • Bilder: ZVG; Collage: annabelle

Neues ausprobieren, heilen, Zeit für sich haben: Es gibt viele Gründe für eine Reise allein. In unserer Mini-Serie erzählen annabelle-Redaktorinnen davon. Heute: Redaktorin Sarah Lau und ihre Loslass-Lektion in Griechenland.

Erstmal muss ich heulen. Nicht weil meine Mutter wieder Krebs hat, ich nach wie vor um meinen verstorbenen Vater trauere und wir aus unserem Traumhaus ausziehen müssen. Ich weine, weil mein beknackter Koffer nicht mit dem gewohnten Plopp auf die eingegebene Zahlenkombination reagiert. Wie soll ich jetzt probat gekleidet binnen 15 Minuten in der entgiftenden Salzkammer stehen? Wütend hämmere ich auf den Rimowa ein und frage mich, warum ich keine wasserfeste Mascara mitgenommen habe.

Ganz offensichtlich bin ich aus dem Tritt, fühle mich angegriffen und erschöpft und habe fest vor, das im griechischen «Euphoria-Retreat» (z.B. 5 Tage Inner Emotional Harmony ab ca. 620 Fr. pro Nacht) zu ändern. Als ich im Vorfeld die Website durchscrolle, wird klar, dass die Marketingabteilung des Luxushotels top gearbeitet hat. Jedenfalls stehe ich beim Lesen der folgenden Zeilen kurz vor vermehrtem Speichelfluss: «Ein Aufenthalt, der Geist, Körper und Seele ins Gleichgewicht bringt», dazu locken Programme namens «Inner Emotional Harmony» und Treatments wie «Sanctuary for busy minds».

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«Ich erkenne: Solo zu reisen, heisst auch, sich selbst aushalten zu müssen»

Doch jetzt, da ich hier bin, drei Autostunden von Athen entfernt, bin ich dermassen verzerrt, dass ich mir selbst peinlich bin. Hallo, undankbare Irsel! 5-Sterne-Luxus, Gourmet-Food, Top-Therapeut:innen und mittendrin ich, bocklos und verwirrt ob der aufsteigenden Wut in mir.

Mir wird bewusst, dass ich hier gerade nicht sein will, jedenfalls nicht allein und schon gar nicht, um mich meiner Verletzlichkeit zu stellen. Ich erkenne: Solo zu reisen, heisst auch, sich selbst aushalten zu müssen. Und seine Souveränität aufs Spiel zu setzen.

Nachdem der Koffer endlich seinen Widerstand aufgegeben hat, hetze ich zu der Salzkammer, verlaufe mich in den Rundgängen des Spas und fühle mich wie der letzte Honk. Endlich auf der Liege gegenüber der bernsteinfarbenen Wand angekommen, sinniere ich: Seit wann nur ist alles so schwer geworden? Und: Wo ist eigentlich mein Übermut geblieben?

Ich habe Heimweh und fühle mich wie eine einzige Baustelle. Sorge dich nicht, lebe?! Schon recht, Klugscheisser, was aber wenn man inzwischen schon ganz verkrampft ist von der Sorge um seine Liebsten und dem ganzen Zusammenreissen und Funktionieren? Panik steigt auf. Wie werde ich die Tage hier rumkriegen, ohne durchzudrehen? Und überhaupt, zuhause gäbe es so viel zu tun, das mir gerade wichtiger scheint als meine Seelenhygiene. Etwa der Berg Bügelwäsche. Okay, ich merks ja selbst.

Erstmal an die frische Luft, eine verlässliche Strategie, um zu mir zu kommen. Ich setze mich auf die Terrasse des Restaurants an einen der Tische gleich neben der dicken Steinmauer. Mein Buch bleibt ungeöffnet, das Handy ist eh aus und ich lasse den Blick schweifen. Zwei Stunden lang. Mystras, byzantinische Ruinenstadt neben dem gleichnamigen Dorf, Unesco-Weltkulturerbe, viel Wald, braun-grüne Landschaft am Fusse des Berges Taygetus.

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«In mir braust ein Durcheinander, die inneren Stimmen überschlagen sich. Fluchen, weinen, analysieren – alles dabei»

Eine Weitläufigkeit, die meinen Blick öffnet und auch die nächsten Tage verlässlich weiter öffnen wird. Und dann detonieren die ersten Gedankenexplosionen. In mir braust ein Durcheinander, die inneren Stimmen überschlagen sich. Fluchen, weinen, analysieren – alles dabei. Und ich: höre mir zu. Geduldig. Ich wäge ab, argumentiere, akzeptiere, hadere, lasse stehen, reflektiere.

Der Ort beruhigt mich. Inmitten der organischen Architektur, all der Rundbögen und des alten Gesteins fühle ich mich geborgen. Überall ist Licht, dazu rieche ich die gepflanzten Kräuter, Oregano, Rosmarin, und spüre den immer noch angenehm warmen Herbstwind auf der Haut. Es ist wohltuend, dass es hier viele Frauen hat, die Ruhe zu suchen scheinen.

Von der durchtrainierten Yogaanhängerin aus Genf über das britische Mutter-Tochter-Duo auf Detox-Pfaden hin zu dem Amerikaner, der nach einer Krebserkrankung wieder zu Kräften kommen will, körperlich und spirituell.

Woher ich das weiss? Nicht weil mein extrovertiertes Ich wie sonst oft smalltalkt, sondern weil ich in den Pausen meiner Selbstgespräche hinter einer dicken Sonnenbrille versteckt lausche. Ich stelle mir die Leben der anderen vor und erfinde dazu Geschichten. Und esse. Suppe aus gerockneten Tomaten. Falafel und Gemüse aus dem hauseigenen Garten.

Ungestört, nur unterbrochen von den freundlichen Kellner:innen, die mir Wasser einschenken. Natürlich aus Karaffen, in denen vitalisierende Edelsteinmischungen glänzen. «Jesuswasser» haben wir früher in Hamburg gespottet. Ich muss grinsen. Und fasse einen Entschluss: Ich werde mir hier beibringen, zu entmüssen. Nicht gesellig sein müssen. Ohne schlechtes Gewissen Morgen-Yoga ausfallen lassen. Nichts kulturell Wertvolles anschauen gehen. Dafür stelle ich mich meinem Kopf-Unkraut. Und ich lasse mich dabei unterstützen. Ganzheitlich, wie es sich in einem modernen Retreat wie diesem hier gehört.

Auch wenn die thailändische Reflexzonenmassage schmerzt, merke ich, wie Blockaden in meinem Nacken sich umgehend lösen. Bei der «Busy Minds»-Behandlung geht es ans Öffnen der Energiekanäle, um Stress und Ängste zu reduzieren und «die gedanklichen Bahnen auf Vertrauen, Freude und Sicherheit zu lenken». Und bei der anschliessenden Balancing-Behandlung höre ich mich mit dem Therapeuten zusammen die graue Giftwolke aus- und das weisse Licht einatmen.

«Eigentlich finde ich so was doch beknackt. Merke aber: Loslassen ist toll»

Statt dumme Sprüche zu klopfen, mache ich mit und fühle mich anschliessend ausgeglichener. «Du hast viel ausgehalten, feiere deine Stärke», sagt eine Stimme bei der anschliessenden Hamamwaschung ohne jedes Pathos. Als zwei warme Hände dabei mein Gesicht umfassen und mein Gegenüber freundlich nickt, kommen mir die Tränen. Eigentlich finde ich so was doch beknackt. Merke aber: Loslassen ist toll.

Als ich im Shuttlebus zum Flughafen sitze, fühle ich mich aufgeräumt wie lang nicht mehr. Ein paar Wochen später werde ich – wie jedes Jahr – allein in den Familienurlaub nach Frankreich vorfahren. Dieses Jahr ohne übersteigertes Bedürfnis zu wirbeln. Stattdessen bleibe ich stundenlang unter dem Pflaumenbaum sitzen. Euphorisiert.

Hier könnt ihr alle Texte aus der Miniserie «Solo-Reisen» nachlesen.

Transparenzhinweis: Das erwähnte Hotel hat die Kosten für den Aufenthalt übernommen. Das Hotel wurde unabhängig ausgewählt, die annabelle-Redaktor:innen berichten jeweils frei und unter Einhaltung der berufsethischen Normen über ihre Erfahrungen.

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