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Solo-Reisen: Wie ich in Paris meine Angst überwand

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Solo-Reisen: Wie ich in Paris meine Angst überwand

Neues ausprobieren, heilen, Zeit für sich haben: Es gibt viele Gründe für eine Reise allein. In unserer Mini-Serie erzählen annabelle-Redaktorinnen davon. Heute: Co-Leiterin Digital Vanja Kadic und ihre Me-Time-Mutprobe in Paris.

Mein TikTok-Feed ist voll mit jungen Frauen, die sich einen Solo-Trip nach Paris gönnen und pausenlos von ihren zahlreichen «Main Character Moments» schwärmen. So einen Moment, in dem man sich selbstbewusst wie die Hauptfigur eines Films fühlt, hätte ich auf meinem anstehenden Trip nach Paris auch gerne.

Problem: Ich bin ein ängstlicher Typ mit grossem Sicherheitsbedürfnis, das war schon immer so. Es hilft auch nicht, dass ich in meinem Leben schon sehr viel True-Crime-Content konsumiert habe: Die Gefahr, dass mir jemand auf dem Nachhauseweg ins Hotel auflauert, etwas ins Glas kippt oder mir sonst Böses will, mag gering sein – aber ausblenden kann ich sie nicht.

Herzklopfen wegen Ausgang und Restaurant

Zudem macht mich der Gedanke, solo im Restaurant zu sitzen oder in den Ausgang zu gehen, nervös. Es klingt bescheuert und mag für viele unverständlich sein, aber es fühlt sich an, als wäre in diesen Situationen plötzlich ein riesiger Scheinwerfer auf mir. Und das, obwohl ich rational weiss, dass andere Menschen einen kaum beachten und es eigentlich auch egal ist.

Ich hole mir vorab Tipps in meinem Umfeld, die vor allem auf zwei Massnahmen hinauslaufen: Ich buche mir ein Zimmer in einer Wohlfühloase (richtig schön, richtig gut gelegen: Das Hôtel des Grands Boulevards, EZ ab ca. 235 Fr.) und nehme absurd viel Lesestoff mit. Bücher seien eine top Stütze in Restaurants, so das Ergebnis meiner Recherche.

Nach dem Check-in setze ich mich in ein schönes Lokal, in dem ich schon mal mit Freundinnen war. Der Kellner ist freundlich und fängt, oh Wunder, nicht an, schallend zu lachen und mit dem Finger auf mich zu zeigen, als ich nach einem Tisch für eine Person frage. Als er mir mein Essen bringt, passiert: gar nichts. Statt mich unwohl zu fühlen, beobachte ich Passant:innen und höre den Leuten am Nebentisch zu. Ich denke mir: Davor hattest du Angst?

Deplatziert im Jazzclub

Am Abend will ich etwas unternehmen, ganz so, als wäre ich mit meinen Freund:innen unterwegs. Ich fahre zum Jazzclub Caveau de la Huchette – und komme mir zunächst deplatziert vor. Die anderen Gäste sind Paare oder Gruppen von Freund:innen. Hier treffen Zwanzigjährige auf Senior:innen und mir wird klar: Jeder tanzt mit jedem. Ziemlich schnell verfliegt meine Unsicherheit. Ich smalltalke auf Französisch mit dem Barkeeper, mache einem Gast ein Kompliment für sein Retro-Outfit, wippe zur Musik.

Als ich gehen will und der zweite Uber-Fahrer die Fahrt cancelt, werde ich nervös. Um mich herum stehen einige betrunkene Typen, ich fühle mich unwohl. Die vorbeifahrenden Taxis sind alle besetzt und mit der Métro zu fahren, ist mir nachts zu unsicher. Erleichterung, als nach ewig langen vierzig Minuten endlich ein Fahrer kommt, der mich sicher ins Hotel bringt.

Nächster Tag. Mit meiner Paris-Playlist in den Ohren spaziere ich durch die Strassen und fühle mich federleicht. Es hilft zu wissen, wo ich hinwill: Bevor ich das Hotel verlasse, bastle ich mir ein Programm, an das ich mich grob halten kann. Die Planung ermöglicht es mir, sorgenfreier unterwegs zu sein. Und das kann ich richtig geniessen: Ich stöbere in Platten- und Bücherläden, trinke Kafi in schönen Bistros und bestaune Gebäude. Schön, so allein in einer Stadt unterwegs zu sein, die ich nicht gut kenne. Aber überraschend ermüdend: Es fällt mir schwer, mich einfach mal treiben zu lassen – mit Freund:innen ist das anders.

Ich möchte im Erdboden versinken

An meinem letzten Abend mache ich etwas, das ich zu Hause niemals tun würde: Ich buche mir selbst einen Raum in einer Karaoke-Bar. Die kleinste verfügbare Box ist für vier Personen gedacht und eine Mitarbeiterin kichert verhalten, als ich sage, dass ich allein hier bin. Ich möchte im Erdboden versinken.

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Etwa zehn Minuten lang traue ich mich nicht, mein erstes Lied zu singen. Der Gedanke, dass das Personal in der Lobby mich durch die dünne Wand hören könnte, macht mich fertig. Hölzern flüstersinge ich Fleetwood Macs «Dreams» ins Mikrofon. Doch nach drei, vier weiteren Liedern taue ich auf – und feiere fast zwei Stunden lang eine Party mit mir selbst. Es ist grossartig.

Es mag plump klingen, aber ich realisiere in dieser Karaoke-Box einmal mehr, dass es absolut egal ist, was andere über einen denken. Ein befreiendes Gefühl. Oft musste ich mich auf dieser Reise einfach kurz überwinden, ehe es schön wurde. Die Solo-Reise war eine fantastische Übung, um Zeit mit mir selbst mal auf eine andere Art zu verbringen.

Und dann kriege ich ihn doch noch, meinen «Main Character Moment»: Als ich den Karaoke-Raum verschwitzt und voller Endorphine verlasse, gehe ich an die Bar, um zu zahlen. «Hätten deine Freund:innen denn noch kommen sollen?», fragt mich der Mitarbeiter. Ich sage: «Nein, das war nur für mich.» Und ich fühle mich nicht doof dabei. Sondern sehr glücklich.

 

Hier könnt ihr alle Texte aus der Miniserie «Solo-Reisen» nachlesen.

Transparenzhinweis: Das erwähnte Hotel hat die Kosten für den Aufenthalt übernommen. Das Hotel wurde unabhängig ausgewählt, die annabelle-Redaktor:innen berichten jeweils frei und unter Einhaltung der berufsethischen Normen über ihre Erfahrungen.

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