Werbung
Hereinspaziert: Afrikanisches Design am Zürichsee

Stil

Hereinspaziert: Afrikanisches Design am Zürichsee

  • Text: Rebekka KiesewetterFotos: Stephan Rappo

Grafikdesignerin Irène Hiltpold liebt Afrika und Gäste - in ihrem Heim am Zürichsee hats Platz für beides.

«Hallo! Das Catering ist da», hallt es in der hohen Eingangshalle des Mehrfamilienhauses im zürcherischen Küsnacht, und eine grosse, grüne, schwer beladene Kiste schwankt auf zwei zierlichen Beinen durch die Wohnungstür. Hinter Töpfen und Pfannen, Schüsseln und Gläsern halb verborgen steckt eine kleine Person in pinkem Kleid. Natürlich hat Irène Hiltpold – Grafikdesignerin mit eigenem Atelier beim Zürcher Central – kein gewöhnliches Catering zu sich nachhause bestellt. Das wäre zu unpersönlich: Schliesslich wird sie gute Freundinnen empfangen. Nein, das Essen bringt Erna Höltschi, die Mutter des Fotografen Serge, eine Köchin aus Leidenschaft. Und mit einer weiteren Kiste bepackt folgt die Kommunikationsberaterin Heidi Huber.

Frauenabend bei Irène Hiltpold

Die drei Frauen kommen gerade mal in die Wohnküche, da spazieren schon die übrigen Gäste durch die Tür: Donatella Maranta, Künstlerin und Autorin/Illustratorin eines eigenen Kochbuchs, das kurz vor dem Abschluss steht, Manuela Nieth, Psychologin und Vertreiberin indischer Kaschmirschals, die Wein-Autorin Chandra Kurt, Regina Decoppet, Journalistin und Mitinhaberin einer PR-Agentur, die Architektin Caroline Dolenc, Ruth Arber, Mitbesitzerin eines Ladens für Möbel und Wohnaccessoires, und Marianne Leber, die schon Stylistin war, als es diesen Beruf in der Schweiz noch gar nicht offiziell gab. Jetzt engagiert sie sich bei Green Globe, einem Programm zur Zertifizierung und Nachhaltigkeitsentwicklung von Tourismusunternehmen.

Mäntel und Taschen werden im Vorbeigehen im Flur abgelegt. Irgendwo. Über dem Mahagoni-Sessel, auf dem Parkettboden. Nur die grossen afrikanischen Holzskulpturen in der Eingangshalle werden nicht zu Kleiderständern umfunktioniert. Besser so: Irène Hiltpold nennt die drei ihre «anges gardiens», und wer weiss, wie die Racheder grimmig  dreinblickenden Wächter wäre, tastete man ihre Würde an.

In der Wohnküche wird gelebt

Erna Höltschi richtet die Speisen, während die anderen den von Chandra Kurt mitgebrachten Walliser Weisswein probieren, sich Manuela Nieths Schals aus Rajasthan umlegen, vor dem grossen Spiegel im Entree posieren und sich gegenseitig beraten. Die grosse Wohnküche verdient ihren Namen, hier wird gelebt. Neben dekorativen Vasen drängen sich Töpfe und Pfannen, Gewürze in Dosen und Flaschen; Kinderzeichnungen kleben am Kühlschrank, auf dem Fenstersims reihen sich Kochbücher, in der Mitte des Raums steht ein stabiler Tisch mit Holzstühlen, von denen die graue Farbe blättert. «Wie laufts? Was machsch?» Das Konzert von Paul Simon, Barack Obama, der Eurokurs, der Stand der eigenen Projekte und die persönlichen News: das Update-Pingpong. Fragen, Gegenfragen, interessiertes Zuhören. Die Frauen kennen sich schon lange, sie treffen sich manchmal privat und manchmal beruflich – und bisweilen geht beides ineinander über, wenn sie an gemeinsamen Projekten arbeiten.

Geplant ist, sich zum Essen auf die Terrasse zu setzen. Ein Glück, sind die Speisen kalt. Denn der Weg nach draussen – geschätzte zehn Meter durch den Flur und den Essbereich – dauert lange. Der Grund: Das Wohnzimmer hat Stuck an der Decke und ist riesig, das muss es auch sein für die vielen Sammelobjekte. Und diese Dinge sind es, welche die Damen veranlassen, Geschirr und Essen auf dem langen, von einer Schreinerin in Vorarlberg auf Mass gefertigten Holztisch zwischenzulagern. «Was ist neu seit dem letzten Besuch?», wollen sie wissen.

Einiges ist aus Afrika dazugekommen. Irène Hiltpold reist viel dorthin mit ihrem Mann, dem Regisseur und Werbefilmer Ernst Wirz. Ruth Arber entdeckt Decken und Kissen, die Irène Hiltpold in ihrem Shop Coté West Living gekauft hat, Donatella Maranta und Marianne Leber schmökern in einem Buch. Allgemeine Begeisterung angesichts der Leihgabe eines Freundes, eines riesigen, auf eine Lastwagenplane gedruckten Nashornbilds des 2010 verstorbenen Fotografen Balthasar Burkhard. Chandra Kurt erzählt, dass sie ihren Vornamen einer Leidenschaft ihres Vaters verdanke: Das Spezialgebiet des Zoologieprofessors seien nämlich indische Elefanten und ihr Herkunftsland. «Chandra, ein Elefantenname?!» Gelächter. Chandra bedeute Mond in Sanskrit. Noch mehr Begeisterung und noch mehr Gelächter, als man entdeckt, dass die Maiskolben, welche die Figuren auf dem auffälligen afrikanischen Königsthron in der Hand halten, gar keine Maiskolben sind. «Ja, die afrikanische Kunst mit ihren Fruchtbarkeitssymbolen …», sagt die Hausherrin grinsend. Der mit bunten Perlen und Muscheln besetzte Thron ist eine ihrer neusten Errungenschaften.

Irène Hiltpold ist gut vernetzt

Ihre Freundinnen sind es ebenfalls. Das ist so, wenn man über vierzig ist und viel gemacht hat. Dann weiss man auch, was man gern tut. Und versucht, genau dies auch zu tun. Optimalerweise, um sich damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, unabhängig und dabei zufrieden zu sein und am besten auch noch etwas zu bewirken. «Wenn du ein bestimmtes Altererreicht hast und die Möglichkeit, machst du dich am besten selbstständig», sagt Marianne Leber. Kürzlich haben Heidi Huber und Irène Hiltpold zusammen mit drei Partnern
Workwise.ch gegründet. Eine Plattform, auf der Menschen ausserhalb des regulären Arbeitsmarkts ihre Fähigkeiten anbieten: Da inserieren etwa ein Feuerlauftrainer, ein Chaos-Strukturator, aber auch Touristikfachleute und DJs. «Wir wollen Leute dazu animieren, zusammenzuarbeiten,
miteinander zu kommunizieren, ihre Talente zu nutzen», sagen die beiden Frauen.

Und dann sitzen sie endlich draussen. Erna Höltschi wirbelt. Man kann sich gut vorstellen, dass der charmanten, zierlichen und resoluten Dame, wenn sie wie so oft das Catering bei Fotoproduktionen macht, in der stressigen Studio- und Shootingatmosphäre alle zu Füssen liegen. Abendsonne schimmert durch lange weisse Vorhänge. Afrika liegt in diesem Moment am Zürichsee.

Comic-Obamas zum Anlehnen

Madonnen, die Comic-Obamas und ein Comic-Rapper lächeln von grossen, bunten Kissen, die Irène Hiltpold bei einer Reise in einem Café in Kapstadt entdeckt hat. Die schreienden Farben sind irgendwie zu viel und passen trotzdem wunderbar auf die gediegene Terrasse, zu den dezent gestreiften Kissenbezügen und den Kerzengläsern im Provence-Stil. Im Wohnzimmer steht eine Bank von Ron Arad aus den Siebzigerjahren. Das rare Möbel ist genauso in Gebrauch wie der Kartonsessel von Frank Gehry. «Wir haben schliesslich noch eine ganze Schachtel voll mit Ersatz-Kartonplättchen», gibt sich die Grafikdesignerin unbekümmert. Schiffsmodelle aus Holz, die Gitarre und das Saxofon des Hausherrn, Bücher, CDs, Souvenirs, Fotokunst, Teppiche, Corbusier-Sessel mit Kuhfellbezügen, ein Zebra, das Nashorn, Afrika, Europa: zu viel? Erstaunlicherweise nicht. Kaum nimmt man – etwa fürs Foto – etwas weg, verliert auch das andere an Wirkung.

Weshalb Irène Hiltpold es schafft, stimmige Ensembles aus Dingen zu fügen, die – zumindest gemäss Einrichtungslehrbuch – nicht zueinandergehören? Wohl genau deshalb, weil sie sich nicht im Geringsten um die Dos und Don’ts der Wohnexperten schert. Sie kauft mit dem Herzen, sammelt in ihrer nonchalanten Art Dinge um sich, die ihr etwas bedeuten, und findet so – ohne angestrengt oder gewollt zu wirken – zu einem ganz eigenen, ihr entsprechenden Einrichtungsstil.

Werbung

1.

Wächter aus Holz: Imponierende Skulpturen beäugen die Besucherinnen am Eingang.

2.

In der Wohnküche begrüsst Irène Hiltpold (dritte von links) ihre Freundinnen.

3.

Auf der Terrasse sitzen Manuela Nieht (links) und Donatella Maranta.

4.

Stolze Statuen: Als ob der Platz für sie geschaffen wäre…

5.

Das Wohnzimmer hat Stuck an der Decke und bietet Platz für die Sammelobjekte.

6.

Irène Hiltpold mit ihren Freundinnen

7.

Den Holztisch hat eine Schreinerin aus Österreich gefertigt.