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Die Kunst des Schweigens

Kultur

Die Kunst des Schweigens

  • Interview: Frank Heer

Die finnische Schauspielerin Kati Outinen über den neuen Film von Aki Kaurismäki.

Die finnische Schauspielerin Kati Outinen über den neuen Film von Aki Kaurismäki und die wortkarge Seele ihrer Landsleute.

annabelle: Kati Outinen, im neuen Film «Le Havre» von Aki Kaurismäki wird wie gewohnt sehr, sehr wenig gesprochen. Wie muss man sich die Dreharbeiten vorstellen: so schweigsam wie die Filme?
Kati Outinen: Wir reden, aber nicht besonders viel. Aki ist nicht der Typ, der am Set Anweisungen gibt. Doch ich kenne ihn mittlerweile so gut, dass ich genau weiss, wenn ihm etwas nicht passt. Dann setzen wir uns für einen Kaffee oder eine Zigarette irgendwohin. Nach einer Weile sagt er: «Kati, wärst du so nett und würdest in dieser Szene bitte etwas weniger weinen.» Ich sage: «Okay.» Das wars dann, und der Dreh geht weiter.

Das klingt so kontemplativ wie Kaurismäkis Filme.
Deshalb dauert es auch so lange, bis wir eine Szene abgedreht haben. Aki guckt regungslos durch die Kamera, ohne dass irgendetwas passiert. Nach einer halben Ewigkeit nickt er entschlossen, steht auf und rückt einen Gegenstand auf einem Tisch um fünf Zentimeter nach links. Dann setzt er sich wieder hin und guckt weiter. Er ist unglaublich präzise. Ein Perfektionist, dem nichts entgeht. Jede Einstellung ist ein Gemälde.

Nur über seine Filme spricht er nicht gern, deshalb schickt er lieber Sie an Interviews.
Er mag es nicht, wenn man seine Arbeit analysiert. Selbst am Set sprechen wir mit ihm nicht über unsere Rollen. Ich glaube, er möchte, dass wir sie instinktiv begreifen, nicht intellektuell. Gleichzeitig kann ich mit ihm stundenlang über Bücher diskutieren, die wir beide gelesen haben. Oder über andere Filme.

Sein neuer Film «Le Havre» ist erstaunlich optimistisch, Happy End inklusive. Ist Aki Kaurismäki altersmilde geworden?
Früher war er tatsächlich ein sehr pessimistischer Mensch. Er war überzeugt, dass er noch vor seinem 40. Geburtstag sterben würde, und war überhaupt sehr melancholisch.
Ich weiss nicht, wie sehr er damals seine Rolle als einsamer Wolf auch einfach gern spielte. Heute ist er zugänglicher.

Wer hat eigentlich wen entdeckt: Sie ihn oder er Sie?
Er kannte mich aus einem meiner ersten Filme. Als er mich anrief und fragte, ob ich in «Schatten im Paradies» mitspielen wolle, trafen wir uns. Ich wusste sofort: Von diesem Mann würde ich enorm viel lernen. Aber ich denke, die Inspiration ist gegenseitig.

Seither haben Sie fast ausschliesslich in Filmen von Aki Kaurismäki mitgewirkt. Warum arbeiten Sie kaum mit anderen Regisseuren?
Keine Ahnung, vielleicht trage ich ja einen Kaurismäki-Stempel auf meiner Stirn! Oder die jüngeren finnischen Regisseure denken, ich könne nur so spielen, wie man mich aus Kaurismäki-Filmen kennt. Aber ich bin sehr glücklich, mit diesen Werken in Verbindung gebracht zu werden. Akis Filme sind wie für mich gemacht.

Inwiefern?
Mein Spiel ist sehr physisch, körperbetont. Das sind auch seine Filme.
Man hat doch aber eher den Eindruck, in seinen Filmen würden sich die Menschen nur bewegen, um zu rauchen oder eine Tasse Kaffee zum Mund zu führen. Was ist daran physisch?
Die Reduktion der Bewegung. Da die Sprache in den Hintergrund rückt, ist der Körpereinsatz entscheidend. Ein starkes Gefühl mit minimalster Gestik auszudrücken, ist schwieriger als eine expressive Bewegung oder Mimik. Das erfordert viel Körperbeherrschung. Wer Yoga macht, weiss, wovon ich rede.

Wie finnisch sind Kaurismäki-Filme wirklich?
Seine Charaktere stammen aus der Nachkriegszeit. Es ist die Generation meiner Eltern und Grosseltern: einfache, ehrliche Menschen, die viel arbeiten und zufrieden sind, wenn sie zu essen und eine Frau oder einen Mann haben, der zuhause auf sie wartet. Es sind Charaktere aus einer Zeit, als sich Finnland von seiner Kooperation mit Nazideutschland erholen und das Land neu aufbauen musste. Man war arm, doch fleissig, höflich, korrekt. Natürlich ist die heutige Generation der Finnen anders. Figuren wie in Akis Filmen findet man heute immer weniger.  Vielleicht noch auf dem Land.

Trotzdem geniessen seine Filme gerade auch bei jungen Filmfans Kultstatus.
Das stimmt. Und Kaurismäki-Fans findet man auf der ganzen Welt, nicht nur in Finnland. Seine Geschichten sprechen eine universelle Sprache. Sie handeln von den Sorgen und Nöten einfacher Menschen. Fukushima, Wirtschaftskrise, Nordafrika sorgen für erschütternde Nachrichten, doch am Ende sind es die kleinen alltäglichen Dinge, die uns beschäftigen.

Wie sind Sie aufgewachsen?
In einem typisch finnischen Mittelklassequartier ausserhalb von Helsinki. Kleines Häuschen, drei Schlafzimmer, intakte Familienverhältnisse, zwei Kinder. Meine Eltern waren keine Künstler,
aber sie mochten Bücher, interessierten sich für Malerei und Musik. Als ich ihnen sagte, ich wolle Schauspielerin werden, schluckten sie zuerst leer, dann unterstütz-ten sie mich vorbehaltlos.
Sie sind nebst Ihrer Film- und Theaterarbeit auch Professorin an der Theaterhochschule in Helsinki.

Was lehren Sie Ihre Schüler? Die Kunst zu schweigen?
Überhaupt nicht: Ich will ja nicht, dass am Ende lauter kleine Kati Outinens die Schule verlassen! Ich lehre meine Studenten vielmehr, ihren eigenen Ausdruck zu finden.
Jeder Schauspieler ist anders. Das Handwerk nützt einem wenig, wenn man nicht weiss, welche Schwächen und Stärken in einem stecken. Es ist wie bei einem
Sänger: Wer ohne Seele singt, dem nützt die beste Technik nichts.

— Ab 29. 9. «Le Havre» von Aki Kaurismäki. Mit Kati Outinen, André Wilms, Jean-Pierre Darroussin und Jean-Pierre Léaud (dem grossen Protagonisten der Nouvelle Vague)

Der Film: «Le Havre» erzählt die Geschichte eines nordafrikanischen Flüchtlingsjungen, der bei einem älteren Ehepaar untertaucht: Sie leidet an Krebs, er verdient sein Geld als Schuhputzer. Doch Aki Kaurismäki (54) wäre nicht der Regisseur von Filmen wie «Leningrad Cowboys Go America» und «Der Mann ohne Vergangenheit», verschonte er uns nicht mit Sozialkitsch. «Le Havre» ist ein modernes europäisches Märchen voller Witz, poetischer Lakonie und fast schon anarchistischem Optimismus. Denn am Ende, so könnte die Botschaft lauten, rettet uns nur das schwierigste Gebot: Nächstenliebe.