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Matthew Barney – Der scheue Junge aus Idaho

Kultur

Matthew Barney – Der scheue Junge aus Idaho

  • Text: Dietrich RoeschmannFotos: Matthew Barnex/Michael Rees, Xavier Torres-Bachetta/Corbis Outline

Künstler der bizarren Art: Matthew Barney, Ex-Footballer und Lebensgefährte von Björk, stellt in Basel aus.

Matthew Barney wollte eigentlich Schönheits­chirurg werden. Stattdessen ist der Lebens­gefährte von Björk und Ex-Footballer heute einer der wichtigsten Künstler seiner Generation. Und einer der bizarrsten.

Nein, reden will er lieber nicht, lässt Matthew Barney freundlich ausrichten. Nicht über seine Arbeit und schon gar nicht über sich selbst. Aber das wäre ohnehin ein Wunder gewesen. Die Scheu des Amerikaners ist Legende. Seit Jahren meidet der Multimediakünstler die Öffentlichkeit, wo er kann. Interviews mit ihm sind rar, erst recht, seit er mit der isländischen Popdiva Björk verheiratet ist. Celebrity sei nicht sein Ding, sagte er einmal, stattdessen arbeite er lieber in seinem Atelier. Die Presseabteilungen der Museen, die seine Werke zeigen, bringt diese Bescheidenheit regelmässig in Verlegenheit.

Andererseits: Was hätte jemand wie Matthew Barney zu erzählen? Wie er die Kulissen zusammengeschraubt hat für die überschäumenden Traumbildwelten, mit denen er uns in seinem berühmten «Cremaster»Filmzyklus einen Blick hinter die Frontallappen seines Künstlerhirns gewährte? Was es auf sich hat mit den Satyrn und Entfesselungskünstlern, den beinlosen Feen mit Glasprothesen und wasserstoffblondierten Revuegirls, die er dort in Luftschiffen durch ein ursuppenartiges Embryonaluniversum reisen liess? Würde solches Wissen helfen, uns in seinem Kosmos zurechtzufinden?

Matthew Barney hat dafür ein schönes Gleichnis parat. Wer sich seiner Kunst nähern wolle, empfahl er kürzlich in einem seiner seltenen Statements, der solle sich vorstellen, in einem fremden Land in die Oper zu gehen, ohne das Libretto zu kennen. Anders gesagt: Quält euch nicht, meine Arbeiten zu entziffern. Seht sie an, lasst euch fangen und vertraut der produktiven Kraft eurer Fantasie.

Im Schaulager Basel ist gerade eine ganze Heerschar von Helfern damit beschäftigt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. In mühevoller Kleinarbeit arrangieren sie hier dicke Taue, Polyesterplatten und thermoplastisch geformte Einzelteile zu einer schneeweissen Riesenskulptur namens «Torii». 2006 war das wrackähnliche Objekt in Matthew Barneys Spielfilm «Drawing Restraint 9» zu sehen. Der Künstler und seine Lebensgefährtin Björk spielten darin ein Liebespaar, das auf einem japanischen Walfangschiff in See sticht, sich nach einer mysteriösen Hochzeitszeremonie gegenseitig die Beine abschneidet, das filetierte Fleisch wie Sashimi verspeist und schliesslich zu zwei Walen mutiert, die im arktischen Meer davonschwimmen.

Es ist die mit Abstand bizarrste Folge des 16-teiligen Performance-Zyklus «Drawing Restraint», der in Basel nun erstmals vollständig zu sehen ist: ein atemberaubendes Gesamtkunstwerk aus Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Filmen, das unter Mobilisierung kreativer Energien immer neue Interpretationen ein und derselben Spielregel liefert: Eine Form nimmt nur dann Gestalt an, wenn sie gegen einen Widerstand kämpfen muss. Für Matthew Barney ist das die Grundformel aller Kunst. Der ehemalige Footballspieler, der nach einem Medizinstudium Plastischer Chirurg werden wollte, weiss, wovon er spricht. Auch Muskelgewebe formt sich nur durch Arbeit gegen physische Widerstände. Nicht zuletzt deshalb begreift Matthew Barney seine Kunst seit über zwanzig Jahren als athletische Herausforderung.

Für die ersten Performances der «Drawing Restraint»-Reihe erfand er komplizierte Apparaturen, um sich möglichst effektiv am Zeichnen zu hindern. Mal spannte er sich in am Boden verankerte Gummigurte ein, sodass er alle Kraft aufwenden musste, um mit dem Stift in der Hand das Papier an der gegenüberliegenden Wand zu erreichen. Dann wieder versuchte er, beim Trampolinspringen kleine Zeichnungen an der hohen Atelierdecke zu hinterlassen oder kopfüber an Haltegriffen hängend mit einer Stange in einer kaum erreichbaren Ecke seines Studios.

Die Instrumente dieses gebremsten Gestaltungstriebs präsentierte er dann in seiner ersten Soloschau bei der New Yorker Topgaleristin Barbara Gladstone: Gurte, Haken, Eispickel, Gewichte. Wie Fetische reihten sich die Objekte dort zu einem rätselhaften Horrorkabinett der Körperdisziplin. Die Kritik war begeistert. Alle grossen Feuilletons – von der «New York Times» bis zum einflussreichen «Artforum» – lobten den scheuen Jungen aus Idaho. Es folgten Ausstellungen in den wichtigsten Kunsthäusern der Welt, Einladungen zur Documenta und an die Biennale nach Venedig. Als er 1996 schliesslich den renommierten Hugo-Boss-Preis erhielt, war er gerade mal 29 Jahre alt.

Heute ist Matthew Barney 43 und zählt zu den wichtigsten Künstlern seiner Generation. Der enorme Erfolg, den er mit der aufwändig verfilmten Sexualmythologie seines «Cremaster»Zyklus und der komplex versponnenen Wal-Saga der «Drawing Restraint»Reihe hatte, lässt einen aber schnell übersehen, dass das Kino, das er mit diesen Filmen eroberte, für ihn nie ein Ziel war, sondern immer nur Mittel zum Zweck. Matthew Barney geht es in seiner Kunst nicht um den Plot, sondern um die Verwandlung seiner obsessiven Fantasien von Geschlechtlichkeit, Selbstbeherrschung und Verausgabung in hypnotische Bild- und Objektwelten. Dass er sich dabei weniger als Regisseur denn als Bildhauer im Kostüm des Performancekünstlers versteht, lässt sich nirgendwo so anschaulich nachvollziehen wie in der Basler Ausstellung. Die monströsen Vaseline- und Kunststoffskulpturen, die hier aufgebaut sind, erzählen als stumme Zeugen seiner Performances von der lustvollen Metamorphose körperlichen Begehrens und physischer Anstrengung in organische Form.

Aber es geht auch eine Nummer kleiner. Für seine Arbeit «Drawing Restraint 15» von 2009 etwa hängte Matthew Barney einen frisch geschlachteten Fisch kopfüber an den Flossen auf. Das Blut, das dem am Strick baumelnden Tier aus dem Maul tropfte, fing er mit einem Blatt Papier auf, das sich nun als blassrosa Zeichnung unter die zu Dutzenden in Schaukästen und Vitrinen ausgebreiteten Requisiten früheren Aktionen reiht. Schöner und einfacher als mit diesem Fischkadaver, der Bilder malt, lässt sich das fliessende Zusammenspiel von Tod und Schöpfung, von Fleisch und Idee, aus dem Matthew Barneys Kunstkosmos seine unvergleichliche Anziehungskraft gewinnt, kaum auf den Punkt bringen.

Matthew Barney, Schaulager Basel, 12. 6. bis 3. 10., www.schaulager.org