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Pop-up: Mummenschanz

Kultur

Pop-up: Mummenschanz

  • Text: Julia HoferFoto: Christian Lanz

In einer lauten Welt setzen Bernie Schürch und Floriana Frassetto auf leises Spektakel. Seit vierzig Jahren schon. Zum Jubiläum touren Mummenschanz nun durch die Schweiz.

Wer bei der international wohl berühmtesten Theatergruppe der Schweiz, Mummenschanz, einen Hausbesuch machen will, muss in den hintersten Winkel von St. Gallen reisen, nach Altstätten. Am Dorfrand dann ein grosser, zweckmässiger Bau, in dem sich «das Atelier» befindet. Darin: kistenweise Schaumstoff, Röhren, Nähmaschinen, Masken an den Wänden und eine Probebühne in der Mitte des Raums. Auf dem Tisch liegt eine Plastiktasche, die, so lässt eine Notiz vermuten, Rolf Knie übergeben hat.

Bernie Schürch ist 67 Jahre alt, gut gelaunt und gutmütig. Die Geschichte von Mummenschanz beginnt bei seinem «Selbstmordversuch». Als unmotivierter, gelangweilter 13-Jähriger sei er eines Tages bei strömendem Regen in ein Tram gefahren – nicht direkt absichtlich, aber eben doch lebensmüde – und danach schwer verletzt ins Koma gefallen. Wieder wach, habe für ihn ein neues Leben begonnen. Er wollte Theater spielen und Schauspieler werden. Nach einer Ausbildung an der berühmten Theaterschule von Jacques Lecoq in Paris erfand er zusammen mit Floriana Frassetto und dem mittlerweile verstorbenen Andres Bossard 1972 Mummenschanz. Ein poetisches Maskentheater, das ohne Worte und ohne Musik auskommt und das stets die gleiche Wirkung hat: Es berührt, und es ist lustig. «Wir entschieden uns gegen die Sprache, weil wir etwas machen wollten, das auf der ganzen Welt funktioniert», sagt Schürch. «Und es sollte etwas Neues sein, etwas, das über die klassische Pantomime hinausgeht.»

Die Musiciens du silence – so nennen sich die Künstler gern selbst – kamen in den grellen Siebzigern gut an. «Damals wurde der Kleinkunst der rote Teppich ausgerollt», sagt Schürch. Ein fast dreijähriges Gastspiel am Broadway in New York krönte den Erfolg. Die Schweizer hatten dafür ein leer stehendes Theater mit 400 Plätzen gemietet. Mummenschanz machten zahlreiche Tourneen, traten in der «Muppet Show» und in der «Sesamstrasse» auf – seither kennt man sie auf der ganzen Welt.

Keine Programm-Company.

Mummenschanz-Mitbegründerin Floriana Frassetto, eine würdevolle Italienerin von sechzig Jahren, betritt den Raum. Das Verhältnis zwischen ihr und Bernie Schürch ist vertraut und liebevoll, man begegnet sich, wie sie sagt, nach vierzig Jahren Zusammenarbeit «auf Augenhöhe».

Auf dem Tourneeprogramm stehen viele alte Hits, die Figur mit dem Toilettenpapiergesicht ebenso wie der Röhrenmensch Worm, beide entstanden in den Siebzigern. Mit Verlaub, ist dieses Theater noch aktuell? «Unsere Nummern sind zeitlos», sagt Frassetto. «Weil es nicht um Themen, sondern um Emotionen geht.» Schürch sagt: «Wir sind keine Programm-Company, die jedes Jahr mit einem neuen Stück aufwartet, sondern eine Repertoire-Company.» Ausserdem würden sich die Nummern sehr wohl weiterentwickeln. «Das ist wie bei einem Violinkonzert», sagt Frassetto, «jede Interpretation ist anders.» Schürch sagt: «Unsere Figuren haben sich über die Zeit entwickelt wie Menschen.»

Trotzdem: Kommt man nicht in Versuchung, den eigenen Erfolg zu verwalten? «Es ist überheblich, so etwas zu unterstellen», sagt Schürch ruhig. Er ist sich seiner Sache sicher, und wahrscheinlich hat er sogar recht. Während andere poetische Theater wie Cirque de Soleil dem technischen Schnickschnack, Rauch und Effekt erlegen sind und ihrem Publikum «einen Pfupf nach dem andern vors Gesicht klatschen» (O-Ton Schürch), haben Mummenschanz den Mut und die Disziplin aufgebracht zu verdichten. Sie setzen in einer lauten Welt auf ein stilles Theater. Das jeden einzelnen Besucher mit seinem – wie Schürch es nennt – Alphabet der Emotionen berühren will. «Dass dies auch heute noch gelingt», sagt er, «ist unser grösster Erfolg.»


www.mummenschanz.ch
Schweizer Tournee ab Oktober