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Pop-Up: Simone Kermes

Kultur

Pop-Up: Simone Kermes

  • Text: Julia HoferFoto: Lukas Lienhard

Die Sopranistin Simone Kermes hört zuhause Led Zeppelin und Rammstein. Trifft sie ihre Kollegin Cecilia Bartoli, ist das ein bisschen «hrrrg».

In einer Zeit, in der eine CD mit dem Titel «Ich mag keine Klassik, aber das gefällt mir» ein Verkaufserfolg wird, kommt die Sopranistin Simone Kermes gerade richtig: Die derzeit gefragteste deutsche Opern- und Konzertsängerin erreicht mit ihrer unglaublichen Präsenz, theatralischen Mimik und einer dramatischen und berührenden Stimme auch Menschen, die Franz Schubert (österreichischer Komponist) nicht von Franz Ferdinand (schottische Rockband) unterscheiden können.

Auch bei den Medien kommt die exzentrische Sängerin gut an, sie sei ein Vulkan, heisst es, die Crazy Queen of Baroque, die Anti-Bartoli oder ganz einfach die Pippi Langstrumpf der Oper. Gegen solche Etiketten hat Simone Kermes nichts, denn sie weiss: Wenn man das breite Publikum erreichen will, muss man mitspielen – dazu gehören Etiketten ebenso wie auffallende Outfits: Für das Shooting im Fotostudio von annabelle zieht sie ein Kleid mit Ballonjupe und Netzstrümpfe aus dem Rollkoffer.

In die Welt der Oper hat Simone Kermes nie gepasst. Schon bei einer Aufnahmeprüfung für ein Gesangsstudium in Weimar, damals noch DDR, konnten sich die Experten das Mädchen mit der Punkfrisur nicht als Sopranistin vorstellen. Sie legten ihr nahe, Schauspielerin zu werden. Doch Kermes, die bereits eine Ausbildung zur «Fachkraft für Schreibtechnik» hinter sich hatte, war zu keinem weiteren Kompromiss bereit. Ebenso wenig in Frage kam eine Karriere als Rocksängerin («Was hätte ich in der DDR für Aussichten gehabt?»). Später hat sie sich bei den Opernregisseuren unbeliebt gemacht, weil sie sich weder Kostüm noch Make-up vorschreiben liess («Ich muss ja nachher auftreten!»). Heute ist sie ein Star und muss solche Diskussionen nicht mehr führen. Umso mehr fühlt sie mit dem Fussvolk an den Opernhäusern mit («Die werden wie Sklaven behandelt!»).

Man glaubt ihr sofort, wenn sie gesteht, sie würde sich in der Gesellschaft ihrer Berufskollegen des Öftern langweilen. «Die interessieren sich halt für gar nichts anderes als fürs Singen.» Als sie neulich nach einer «Don Giovanni»-Aufführung tosenden Applaus bekam und ihren Kolleginnen vorschlug, «ein bisschen Action zu machen», ging das den gediegenen Damen zu weit: Simone Kermes stürmte den Bühnenrand allein, machte vor lauter Freude das V-Zeichen und schrie «Uäääh!», bis das Publikum zurückbrüllte. Ihre Kolleginnen verzogen hinter den Kulissen angewidert das Gesicht.

Verständlich, dass Simone Kermes gern mal mit Nina Hagen – dem andern wilden Weib der DDR – auftreten würde. Popsängerinnen findet sie generell inspirierender als klassische, «weil sie es schaffen, ganze Stadien zu bewegen». Zuhause hört sie Björk, Rammstein und Led Zeppelin. Und beneidet die Popstars dann ein bisschen darum, dass sie ihre eigenen Lieder singen dürfen, derweil die Klassik per Definition interpretiert. Aber auch da weiss sich Simone Kermes zu helfen: Sie hat eine Vorliebe für Raritäten entwickelt. «Weil es keinen Vergleich gibt, ist es fast so, wie wenn ich ein eigenes Lied singen würde.»

Ihr Album «Lava» war eine Sammlung solcher musikalischer Schätze, die extra für sie aus den Archiven gehoben worden sind. Weil Cecilia Bartoli fast zur selben Zeit ebenfalls unbekannte Werke aus dem 18. Jahrhundert veröffentlichte, titelte die Presse freudig «Piratin gegen Operndiva», und meinte mit der Piratin natürlich die Kermes. Die Piraterie sei aber genau auf der andern Seite passiert, stellt diese – ausnahmsweise mit ernster Miene – klar. Die CD von Simone Kermes war eher auf dem Markt. Von der Bartoli hält sie dennoch viel, auch würde sie gern mal mit ihr singen, «doch das würde die Cecilia nie machen». Sie erzählt, wie sie «die Cecilia» neulich zum ersten Mal live singen gehört habe und nach dem Konzert für ein Autogramm bei der grossen Künstlerin angestanden sei. Plötzlich sei sie selber von den Menschen in der Schlange erkannt und um Autogramme gebeten worden («Da dachte ich: Oh nein, scheisse, das ist ja blöd»). Als sie dann endlich an Cecilia Bartolis Tisch vorgerückt war, gratulierte sie ihr, und die beiden Diven schauten sich eine lange Sekunde lang tief in die Augen. Es sei ein bisschen «hrrrg» gewesen, sagt sie und rollt mit den Augen.

Simone Kermes gibt am 31. Januar im Casino-Saal in Basel ein Solokonzert.