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Vicky Krieps spielt Ingeborg Bachmann: «Es wird Frauen weiterhin nicht leicht gemacht»

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Vicky Krieps spielt Ingeborg Bachmann: «Es wird Frauen weiterhin nicht leicht gemacht»

Im Drama «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» schlüpft Schauspielerin Vicky Krieps in die Rolle der Lyrikerin, deren Liebe zu Max Frisch unglücklich endete. Mit uns sprach sie im Interview über Mom-Shaming, Manifestation und die Schwierigkeit, eine Figur gehen zu lassen.

annabelle: Vicky Krieps, Sie waren letztes Jahr als Sisi in «Corsage» zu sehen, in «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» spielen Sie nun mit Ingeborg Bachmann wieder eine echte Figur. Und wieder in einem Projekt, in dem es um die Emanzipation einer Frau geht. Warum reizen Sie ausgerechnet solche Rollen?
Vicky Krieps: Ich suche nicht unbedingt absichtlich danach – und irgendwie doch. Ich glaube, das ist die Kraft der Manifestation. Die Energie, die man in die Welt gibt, kommt auch wieder zurück. Margarethe von Trotta (Regisseurin von «Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste», Anm. d. Red.) kam mit dem Drehbuch auf mich zu und ich wusste sofort, dass ich die Rolle spielen muss. Fast so, als hätte ich darauf gewartet. Ich sehe es heute als Aufgabe von uns Frauen, endlich eine neue Konversation über Feminismus und Emanzipation zu beginnen.

Wie meinen Sie?
Ich glaube, dass die Frauen vor uns leider an den falschen Stellen abgeschmettert wurden – auf einmal ging es darum, so zu sein wie ein Mann, statt sich zu fragen, was toll an einer Frau ist. Diese Wahrnehmung verändert sich gerade sehr. Ich sehe das auch bei meinen Rollen: Im Film «Bergman Island» spiele ich etwa eine Regisseurin, die sich emanzipiert, um ihre eigene Geschichte zu finden. Und auch im Western «The Dead Don’t Hurt» mit Viggo Mortensen spiele ich eine Frau, der alle Abscheulichkeiten jener Zeit passieren, die aber am Ende des Films sich selbst als ihre eigene Retterin sieht. Es kann kein Zufall sein, dass all meine Filme diese Message tragen, dass wir uns selber retten müssen.

Was war für Sie an der Rolle Ingeborg Bachmann am spannendsten?
Margarethe von Trotta und das fantastische Drehbuch, das sie geschrieben hat. Und auch wegen Bachmanns Geschichte, die die Geschichte vieler Frauen ist: Sie schrieb nicht nur schöne Lyrik, sondern war, geschlechtsübergreifend, eine der grössten Denker:innen unserer Zeit. Dafür wurde sie nicht gesehen. Sie wurde zwar als Poetin anerkannt, aber ihr wurde der Respekt, den sie verdient hätte, nie entgegengebracht. Ingeborg Bachmann ist wieder eine Frau, die daran und an einem Mann zerbrochen ist. Wie vielen Frauen ist das passiert? Auch deshalb war es mir ein persönliches Anliegen, diese Geschichte von Ingeborg Bachmann zu erzählen.

Max Frisch galt lange als Zerstörer Bachmanns und wurde gar für ihren frühen Tod verantwortlich gemacht. Bis heute ist dies ein Streitthema. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Grundsätzlich ist es in jeder Beziehung ganz schwer zu sagen, wer schuld ist. Wer der oder die Zerstörer:in ist. So auch bei den beiden. Ingeborg Bachmann muss auch nicht einfach gewesen sein. Aber ich glaube, worum es eigentlich geht, ist Verrat.

Verrat?
Ja, Verrat des Herzens. Es gibt wenig in dieser Welt, woran man sich anlehnen kann. Vor allem, wenn man mit ein bisschen mehr Sensibilität auf die Welt kommt. Wenn man dann jemanden findet und mit dieser Person einen Pakt und ein Versprechen eingeht, dass man zueinander steht, und die Person sich schliesslich abwendet, ist das schlimm. Aber es ist nicht richtig zu sagen, es sei nur Max Frischs Schuld. Ein anderes Phänomen bei vielen Frauen wie Ingeborg Bachmann oder Romy Schneider ist der Missbrauch von Betäubungsmitteln (Bachmann war alkohol- und tablettensüchtig und starb mit 47 Jahren, nachdem sie mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen war, Anm. der Red.). Sie alle sind an Schlaf- oder Aufputschpillen kaputtgegangen, weil irgendeiner irgendwann gesagt hat, die zu nehmen sei eine gute Idee. Weil wir alle jahrhundertelang gedacht haben, dass eine Frau ständig dafür verantwortlich ist, die Stimmung aufrechtzuerhalten, das Lächeln zu bewahren, die Zähne zusammenzubeissen.

Ingeborg Bachmann befasste sich mit der Frage, was es heisst, eine Frau in patriarchalen Verhältnissen zu sein. Inwiefern ist das ein Thema, das Sie als Schauspielerin in der Filmbranche beschäftigt?
Wenn man sich als Frau rausnimmt, das eigene Leben zu leben, das eigene Geld zu verdienen und dann auch noch Kinder zu haben – ja, geht’s noch? (lacht) Ich kriege das sehr oft vorgeworfen. Andere Frauen regen sich über mich auf. Dann heisst es etwa: Ja, jetzt muss die natürlich auch noch diese Karriere machen, statt einzusehen, dass man sich selbst aufgeben muss, wenn man Kinder hat. (Krieps hat zwei Kinder, Anm. d. Red.)

In welchem Kontext? Sprechen Sie von Berufskolleginnen?
Ganz allgemein. Wenn ich sowas höre, will ich das Gegenüber nur in den Arm nehmen, weil ich genau weiss, dass hinter der Aussage Frust steckt. Dass sie eigentlich die junge Version von sich selbst vermisst. Und dann verstehe ich sogar, dass es das einzige Ventil ist, mich zu verurteilen.

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Wie hat sich Gleichstellung am Set verändert, hat sich die Situation in der Filmbranche verbessert?
Ja, das hat sie. So einen Film wie «Corsage» hätte es sonst nicht gegeben. Marie Kreuzer (Regisseurin, Anm. der Red.) hätte ihn sonst nicht gemacht, denn es war nicht einfach. Sie hat damit etwas geschafft, das schier unmöglich ist – den Film mit so wenig Mitteln zu machen und ihn auch noch so gut werden zu lassen, dass er international gesehen wird. Doch es wird Frauen weiterhin nicht leicht gemacht. Aber: Mich gibt es ja und ich bin nicht allein. Allein deshalb muss sich ja etwas ändern. Auch wenn ich immer mal wieder anecke.

Wie ecken Sie an?
Es ist mir egal, wie man mich findet. Woran sind Frauen wie Romy Schneider oder Marilyn Monroe zerbrochen? Daran, dass man sie gezwungen hat, zu glauben, dass ihr Aussehen das Wichtigste an ihnen ist. Und dass sie darauf angewiesen sind, dass man sie gut findet. Ich bin wirklich frei davon. Männer haben sich jahrzehntelang damit identifiziert, dass sie diejenigen sind, die der Frau zum gegebenen Zeitpunkt sagen: Ich finde dich ganz toll – und wenn du ganz brav bist, dann heirate ich dich vielleicht. Die wenigsten von ihnen können damit umgehen, wenn wir heute sagen, dass es uns egal ist, was sie von uns halten.

Wie einfach fällt es Ihnen eigentlich, so eine Figur wie Sisi oder Ingeborg Bachmann wieder loszulassen, wenn ein Filmprojekt fertig ist?
Irgendwann habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, wieder aus der Rolle zu kommen. Das ist noch viel entscheidender, als in eine Rolle reinzufinden – denn nur wenn man sich von einer Figur verabschieden kann, findet man wieder zu sich und kann Raum schaffen für neue Rollen. Gerade bei Ingeborg Bachmann war das intensiv. Nach den ersten beiden Tagen Recherche rief ich Margarethe an und sagte, ich müsse das Projekt abbrechen, weil es zu düster ist. Ich war mit meinen Kindern und konnte mental nicht an diesen dunklen Ort dieser Figur gehen. Beim Drehen bin ich aber an diesen Ort – und musste davon wieder wegfinden.

Und wie ist Ihnen das gelungen?
Ich habe mir eine Gitarre gekauft und angefangen, während der Dreharbeiten zu jeder Figur, die ich spiele, ein Lied zu schreiben. So fliessen all diese Emotionen in dieses eine Lied und am Ende habe ich den Song als Gefäss, in dem diese Figur steckt. Damit kann ich loslassen, muss aber die Rolle nicht begraben oder töten. Denn jede Figur ist auch ein Porträt von mir.

«Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» ist ab 26. Oktober im Kino zu sehen.

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