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Weshalb ihr euch jetzt die Doku «Tina» anschauen solltet

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Weshalb ihr euch jetzt die Doku «Tina» anschauen solltet

Mit dem Dokumentarfilm «Tina» verabschiedete sich Tina Turner vor zwei Jahren von ihren Fans. Am Mittwoch starb die Queen of Rock 'n' Roll mit 83 Jahren. Höchste Zeit, die Doku über sie zu schauen – denn der Film ist eine wundervolle Hommage an die Künstlerin.

Inhaltshinweis: Psychische, körperliche und sexualisierte Gewalt

 

Weltweit trauern Fans um Tina Turner, die am Mittwoch nach langer Krankheit in ihrem Zuhause in Küsnacht verstarb. Aus dem Rampenlicht zog sich die US-Sängerin bereits vor Jahren zurück: 2019 besuchte sie zuletzt in New York die Premiere des Broadway-Musicals über ihr Leben, vor zwei Jahren erschien schliesslich der Dokumentarfilm «Tina».

Ich sah die Doku 2021 im Rahmen des Zurich Film Festivals. Es regnete, als ich an jenem Sonntagnachmittag aus dem Kinosaal lief und mich vor dem Gebäude erst mal sammeln musste. Der Film von Dan Lindsay und T.J. Martin hatte mich wie eine Wucht getroffen und liess mich lange nicht los. Denn «Tina» ist oft schwer verdaulich.

Ein Leben voller Missbrauch

Der Film illustriert mit Archivmaterial und Interviews mit Turner und Wegbegleiter:innen wie Oprah Winfrey oder Angela Bassett ihr bewegtes Leben und ihre unglaubliche Bühnenkarriere. Er zeigt die Meilensteine auf, die sie erreichte, und wie sie zur Ikone wurde – aber thematisiert eben auch die Traumata, unter denen sie litt.

Mir war vor «Tina» nicht bewusst, wie viel Gewalt sie erleben musste. «Ich hatte ein Leben voller Missbrauch. Es gibt keinen anderen Weg, die Geschichte zu erzählen», sagt sie im Film. Turner, die am 26. November 1939 als Anna Mae Bullock zur Welt kam, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einem Kaff im US-Bundesstaat Tennessee auf und wurde erst von der Mutter, dann vom Vater verlassen.

Ihr Leben lang habe sie sich einfach nur Liebe gewünscht, sagt sie in der Doku. Ihre Mutter interessierte sich später, als Tina bereits ein Star war, nur für ihr Geld und den Erfolg. «Ich habe alles Mögliche für sie getan, habe ihr alles gegeben, so, als würde sie mich lieben. Aber sie mochte mich trotzdem nicht», sagt Tina.

«Als ich ging, schaute ich nicht zurück»

Ein Grossteil des Films ist Turners Geschichte als Überlebende häuslicher Gewalt gewidmet. Jahrelang wurde sie von ihrem Ex-Mann und Musikpartner Ike Turner, den sie 1958 kennenlernte und für den sie zunächst als Backgroundsängerin arbeitete, missbraucht. «Ich habe Folter erlebt», sagt sie in «Tina».

«Ich lebte 16 Jahre lang mit einem Mann zusammen und wusste genau, dass ich nie glücklich mit ihm sein würde. Aber ich dachte, ich müsse bei ihm bleiben. Ich existierte damals nicht. Aber ich überlebte – und als ich ging, schaute ich nicht zurück.»

Als Ike Turner zum ersten Mal handgreiflich wird, ist sie schwanger mit dem gemeinsamen Sohn Ronnie. Er schlägt sie mit einem Schuhspanner und vergewaltigt sie anschliessend. Das sei der Anfang ihrer Folter gewesen, sagt Turner. «Und dann zwang er mich zurück auf die Bühne.

Er sagte: «Du hast mich dazu gebracht, das zu tun.» Turners Weggefährt:innen erklären, dass der Musiker von einem Moment zum anderen ausflippte. Für ihn war Tina Turner eine Goldgrube, die er ausnutzte. Und wenn die Hits nicht landeten oder der Geldfluss gerade stockte, litt sie besonders.

Kraft im Buddhismus

«Er liess viel seiner Wut an ihr aus», sagt ihr Sohn Craig, den sie als 18-Jährige mit Saxofonist Raymond Hill bekam. Er schildert auch, wie er und seine Brüder – Turner hatte vier Söhne, zwei davon adoptiert – die Gewalt zu Hause miterlebten. Einmal hätte Ike Tina ins Schlafzimmer geschlossen, als die Kinder plötzlich Schreie hörten. Er hatte heissen Kaffee auf sie geschüttet.

«Ich fühlte mich Ike gegenüber sehr loyal und wollte ihn nicht verletzen. Manchmal, wenn er mich schlug, war ich es, die Mitleid mit ihm hatte. Ich war einer Gehirnwäsche unterzogen und ich hatte furchtbare Angst vor ihm», erklärt Tina Turner.

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Nach einem Suizidversuch 1968 findet sie schliesslich Kraft im Buddhismus. Die Spiritualität ist ihr Ausweg aus dem Albtraum, den sie 16 Jahre lang mitmacht. «Ich wurde selbstbewusster, hatte weniger Angst vor ihm», so die Sängerin. Nachdem er sie erneut verprügelt, als das Paar im Auto auf dem Weg in ein Hotel ist, schafft sie es, zu flüchten.

«Der nächste Tag war der vierte Juli (Unabhängigkeitstag der USA, Anm. d. Red.). Nun erinnere ich mich jedes Jahr am 4. Juli an den Tag, an dem ich meine Freiheit bekam.»

Erste Schwarze Rock ‘n’ Roll-Sängerin

Bei der Scheidung überlässt sie ihm alles ausser ihren Künstlernamen. Sie muss von vorne anfangen, ihr Image neu definieren, sich als Solokünstlerin etablieren. Kein einfacher Weg – aber Turner hat ein Ziel. «Mein Traum war es, die erste Schwarze Rock ‘n’ Roll-Sängerin zu sein, die Stadien füllt, wie es die Rolling Stones tun.»

Sie erfindet sich als Tina Turner neu, nimmt die Zügel ihrer eigenen Performance in die Hand und wird ihr eigener Boss. Ihr gelingt mit dem ersten richtigen Soloalbum «Private Dancer» der Durchbruch: Die Platte verkauft sich über 20 Millionen Mal.

Trotz Turners Popularität und des Erfolgs verfolgt sie die Zeit mit ihrem Ex-Mann wie ein Schatten. In Interviews muss sie immer wieder über ihn sprechen, erlebt die Szenen von damals immer wieder neu. So schwankt man als Zuschauer:in zwischen Überraschung und Verständnis, wenn sie in «Tina» sagt: «Ich hatte kein gutes Leben.»

Abschied von den Fans

Berührend ist die Liebesgeschichte mit Erwin Bach, den Tina Turner 2013 in der gemeinsamen Villa am Zürichsee heiratete und mit dem sie ihr Glück fand. Kennengelernt haben sich die beiden 1985. Er war 30, sie 47 Jahre alt, als der damals junge Musikmanager Turner in Köln vom Flughafen abholte. Sie habe sofort Herzklopfen und zitternde Hände bekommen, sagt die Sängerin – und augenblicklich eine Verbindung gespürt. Mit ihm habe sie endlich jemanden gefunden, den sie lieben konnte.

Bach stützte sie, gemeinsam mit Oprah Winfrey, als Turner 2019 in New York die Premiere des Broadway-Musicals über ihr Leben besuchte. In der Doku ist zu sehen, wie sie durch die jubelnde Menge vor dem Theater schreitet. Mit dem Besuch der Premiere habe sie sich von ihren US-Fans verabschieden wollen, erklärt Erwin Bach in «Tina».

Die Szene ist besonders, weil sie illustriert, wie sehr Tina Turner mit ihrer Musik und ihrer Geschichte Menschen aus aller Welt inspiriert und bewegt hat. Welche Anziehungskraft sie besass, welches Erbe sie hinterlässt. Und wie sehr sie geliebt wird.

Sie leistete einen wichtigen Beitrag für Opfer häuslicher Gewalt, indem sie das, was sie erlebt hat, mit der Welt teilte – und sich von dem Missbrauch nicht definieren oder einschränken liess. Turner machte damit anderen Betroffenen Mut und war ein schillerndes Beispiel dafür, dass man es nicht nur aus solch einer schwierigen Situation schaffen und überleben, sondern richtig über sich hinauswachsen kann. Vielleicht identifiziert sich auch deshalb so ein breites Publikum mit Tina Turner.

«Tina» erzählt von Emanzipation und Resilienz und ist eine feinfühlige Hommage an die grosse Performerin. Eine eindrückliche Doku, die ihr Leben feiert, ihre Karriere – und vor allem ihre Stärke.

«Tina» gibts als Stream bei YouTube, Apple TV+ oder Google Play.

Mehr Informationen und Hilfsangebote zum Thema psychische und physische Gewalt findet ihr hier:

Opferhilfe Schweiz

143 – Die Dargebotene Hand (Crisis support in English: heart2heart.143.ch)

BIF – Beratungsstelle für Frauen 

Frauenhäuser in der Schweiz

Männerhäuser in der Deutschschweiz und in Genf

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