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75 Jahre annabelle: Das Bild der Frau im Wandel der Zeit

Leben

75 Jahre annabelle: Das Bild der Frau im Wandel der Zeit

  • Text: Michèle Roten

annabelle hat viele Gesichter: Unsere Autorin Michèle Roten hat sich alle Coverfrauen der letzten 75 Jahre angeschaut – und rieb sich zuweilen verwundert die Augen.

Ein paar Gedanken zu Titelbildern generell. Ein Titelbild will ja das zeigen, was die Leserinnen und Leser dieses spezifischen Magazins interessiert. Ein Magazin über Hunde hat demnach logischerweise Hunde auf dem Cover. Ein Magazin über Möbel logischerweise Möbel. Ein Magazin über Gartengestaltung logischerweise Gärten. Ein Männerheft logischerweise Frauen. Ist es logisch, dass auf Frauenmagazinen Frauen zu sehen sind? Absolut. Ich behaupte jetzt mal: Es gibt fast nichts, was Frauen lieber anschauen als andere Frauen (vielleicht noch Tierbabys). Gibt bestimmt eine evolutionärpsychologische Erklärung dafür, und sie geht wahrscheinlich etwa so: Frauen schauen gern andere Frauen an, weil sie ihre Konkurrenz im Auge behalten wollen. Weil sie wissen müssen, welche ihnen am ehesten den Mann und damit den Ernährer ihrer Kinder wegschnappen könnte.

Das heisst aber nicht, dass alle Frauen mit ausgefahrenen Krallen und Schaum vor dem Mund dasitzen, wenn sie ein Frauenmagazin lesen. Im Gegenteil, Bilder von Frauen anzuschauen, macht total Spass. Deshalb hab ich mich auch gefreut darauf, sämtliche Covers von annabelle anzuschauen, die je erschienen sind. Also 1513. Im Übrigen geht man davon aus, dass das klassische Covergirl auf Frauenmagazinen entstanden ist mit dem Zweiten Weltkrieg: Davor waren auf der Titelseite noch meist mehrere Personen zu sehen, darunter oft Männer, aber als die in den Krieg zogen, verschwanden sie auch von den Magazinen. Zurück blieb die Frau, allein.

Fünf vor Krieg

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf kriegt das Betrachten von Covermodels eine ganz neue Note. Die arme, alleine Frau. Die erste Ausgabe von annabelle erschien übrigens am 1. März 1938, sozusagen um fünf vor Krieg. Ein interessanter Zeitpunkt, ein Magazin über die weibliche Lebenswelt zu lancieren. Auch interessant das Cover: eine Frau, fotografiert, nachträglich coloriert, mit Gretchenfrisur, die den Zeigfinger auf ihre Lippen legt. Schschsch! Der Interpretationsspielraum ist riesig. So riesig, dass annabelle sich noch ein Vierteljahrhundert später selber die Frage stellte, was das wohl sollte, damals – und im Editorial der Jubiläumsausgabe zum 25. Geburtstag 1963 eine Antwort versucht: «Das Titelbild zeigte eine junge Frau, die geheimnisvoll, vielversprechend, Stille gebietend einen Finger an die Lippen legte.»

So richtig los mit dem fotografierten Covergirl geht es bei annabelle aber erst 1957. Vorher waren – mit Ausnahme der allerersten Ausgaben – die Titelbilder illustriert, Vögelchen, Stillleben, Blumensträusse, verschneite Landschaften, so was. Auch Frauen, allerdings waren sie mehr Kunstobjekte, Damen mit Wespentaillen und komplizierten Hüten, blasiert dreinschauend. Aber mit den Fotos kommt die greifbare Frau, mit der man sich identifizieren kann, sie telefoniert die nächsten paar Jahre lächelnd, lehnt lächelnd an einem roten Flitzer, lehnt lächelnd an der Schulter eines Mannes, kriegt lächelnd von einem Mann Blumen geschenkt, liegt lächelnd in einer Blumenwiese, lächelt in die Kamera mit einer Blume zwischen den Zähnen, fährt lächelnd Velo. Ganz starkes Gefühl, das vermittelt wird: Der Frau geht es gut, sie ist glücklich. Wahrscheinlich hat sie auch glücklich zu sein.

Sie ist der Zeit entsprechend züchtig angezogen, man sieht kaum Haut. Bis 1962: Da sitzt das Model in einem Badeanzug auf einer Schaukel, schräg von der Seite fotografiert. Es sind nur nackte Beine. Völlig unsexualisiert.

annabelle sucht Covergirls

Das ist alles wenig aufregend, aber sehr geschmackvoll, die Frau wirkt irgendwie stark und gelassen. Im Juni 1961 startet annabelle eine Aktion: Sie sucht Covergirls in der Bevölkerung. «Wir suchen Gesichter, die etwas ausstrahlen. (…) Wir suchen keine Schönheitskönigin. Wir suchen kein Mannequin. Wir suchen das menschliche Gesicht, das eine Botschaft übermittelt, das Lebensfreude, Nachdenklichkeit, Herzenswärme ausstrahlt.» Die zwölf von einer Jury ausgewählten Frauen erscheinen in den nächsten Monaten und Jahren auch tatsächlich auf dem Titel. annabelle setzt damit ein klares Signal: Sie will zugänglich sein, lebensnah und vor allem auch attraktiv für junge Frauen.

Im Juli 1967: das erste Bikini auf dem Cover! Fünf Jahre nachdem es Ursula Andress in «007 jagt Dr. No» getragen und damit für Furore gesorgt hatte. Im Editorial wird allerdings die Betonung nicht auf die allenfalls erquickende sexy Badebekleidung gelegt, sondern auf die erbauliche Kraft des Wassers: «Wasser schenkt Ihnen Schönheit. Schwimmen Sie! Baden Sie! Plantschen Sie, zum Beispiel in diesem Bikini!»

Ein nacktes Bein mit Rose

Nach 68 dann wird mehr ausprobiert, auf den annabelle-Covers wie in den Frauenleben: mal nur ein nacktes Bein mit Rose, das erste Mal eine arbeitende Frau (eine Flight Attendant beziehungsweise, nein: eine Hostess. Eine Hostess ist ja was ganz anderes als eine Flight Attendant. Und sie sieht auch ganz anders aus. Nicht nach Arbeit, mehr nach Spass), eine Frau umringt von Männern, einen davon drückt sie zu Boden, und 1969 findet sich auch die erste wirklich laszive Pose: ein Model ohne Oberteil im Wasser, verführerischer Blick, leicht geöffnete Lippen.

Nach 1970 aber gehts steil bergab: Die nächsten zehn Jahre sieht annabelle aus wie ein Strickheftli. Bieder und langweilig. Die Models tragen dicke Wollmützen, Kopftücher, heute weiss man, dass es nichts Schlimmeres gibt für ein Titelbild als verdeckte Haare. Die meisten Bilder sind jetzt Close-ups, es gibt kaum mehr Kontext oder Inszenierungen. Am Rande – ein tolles Zitat von Greta Garbo: «Ich bin ein einsamer Mann.» 1973 ist übrigens Marilyn Monroe das Covergirl – zehn Jahre nach ihrem Tod. Im Editorial bezeichnet sie der damalige Chefredaktor – ja, ein Mann, natürlich – als «synthetische Supermonsterproduktion». Charmant! Und man fragt sich auch gleich, wie der gute Mann denn heutige Stars umschreiben würde.

Die Achtziger

Und dann kommen die Achtziger. Meine Güte. Die Achtziger waren ja nicht nur grausam, was die Mode betraf. Über Jahre hinweg gibt es nun auf annabelle nur eine einzige Art, eine Frau zu fotografieren: Gesicht bis maximal Brustbein, frontal, Blick in die Kamera. Lachen, lächeln, aber inzwischen auch gern mal ein etwas trotziger Gesichtsausdruck. Viel Frisur, viel Make-up. Und das Händchen zieht ein, das Achtzigerjahre-Foto-Händchen. Hat sich mal jemand damit beschäftigt? Was war das, wie kam das, dass man in der Zeit dachte, es sei chic, den Kopf aufzustützen, wenn man fotografiert wird? Fäustchen unters Kinn, ganze Gesichtsseite in die flache Hand gebettet, der Finger-Tripod (Daumen unters Kinn, Zeig- und Mittelfinger an Wange)? Was bedeutet diese Pose, was sagt sie aus? Stützbedürftigkeit? Müdigkeit?

Man müsste eigentlich ein neues Wort erfinden: lacheln. Dieses Ding zwischen lächeln (mit geschlossenen Lippen) und lachen (mit geöffnetem Mund), wenn man zwar Zähne sieht, aber doch kein Laut der Frau entfleucht, wie es ja eigentlich beim Lachen der Fall ist. Auf Covers wird viel gelachelt.

In den gesamten Achtzigerjahren gibt es genau zwei Titelbilder, die auffallen: einerseits das mit einem businessmässig gestylten Model vor mehreren Mikros über dem Titel «Zeit für eine Bundesrätin?» (1982, eben erst das Stimmrecht gekriegt und dann schon übermütig werden, ts, ts) und dann noch das erste schwarze Model 1983. Ansonsten langweilig, langweilig, langweilig.
In den Neunzigern rückt langsam der Körper etwas mehr in den Fokus, ganz wörtlich sogar: Der Bildausschnitt vergrössert sich auf den ganzen Torso, also etwa bis zum Bauchnabel. Erst rückblickend fällt auf, dass der Körper bisher, auch wenn es etwa in den Fünfzigern und Sechzigern oft Ganzkörper-Aufnahmen gab, nur ein Vehikel war, für Mode, für zum Auf-dem-Pferd-Sitzen, für zum Durch-die-Wiese-Springen (er hatte also eigentlich genau die gleiche Funktion wie im wirklichen Leben).

Die Retusche ist da

In den Achtzigern dann hätte man fast vergessen können, dass die Frau unter dem Hals weitergeht, und darum sticht das Titelblatt vom Dezember 1993 besonders ins Auge: Die Frau hat Brüste!, scheint die Erkenntnis zu sein. Auch in der nächsten Ausgabe spielen sie eine zentrale Rolle, und ein paar Hefte später trifft man auf ein ganz aktuelles Phänomen: den sogenannten Sideboob, heute sehr beliebt anstatt Ausschnitt vorne. Der Busen, er ist da. Und noch etwas fällt auf: Plötzlich haben die Models keine Fältchen mehr, keine Hautunreinheiten oder nicht ganz perfekte Lidstriche. Die Retusche, auch sie ist da.

Jetzt kommt auch das Thema Sex vermehrt schon auf dem Cover vor: «Erotische Träume – was sie verraten» oder «Verführungstechniken». Schockschwerenot, eine Frau mit gespreizten Beinen auf dem Cover! Sie trägt zwar Jeans, aber doch: Fühlt sich total daneben an. Im November 1997 das erste asiatische Model. Mit an einer Hand abzählbaren Ausnahmen sind alle Coverfrauen weiss. Es ist eigentlich erstaunlich, dass das nicht mehr diskutiert wird in der Schweiz. In den USA gibt es die Forderung nach ethnischer Diversität auf den Titeln von Modemagazinen ja schon sehr lange.

Der Körper als Hauptdarsteller

Ab Ende der Neunzigerjahre nähern wir uns rasant dem Titelbild, das wir heute gewohnt sind. Die Models werden immer jünger, der Look immer cleaner, die Titelfrau ist immer mehr eine Schönheit per se als eine der aktuellen Mode gemäss dekorierte Frau. Und der Körper ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Hauptdarsteller. Man kann an der Entwicklung von annabelle-Covers eine soziologische These nachvollziehen: Innerhalb der letzten sechzig Jahre wandelten sich die Mittel, um das Bedürfnis nach Distinktionsgewinn zu befriedigen. War es früher noch die Kleidung, durch die man sich abhob, weil sich nur die Reichsten die neuen Schnitte aus Paris leisten konnten, wurde es später immer mehr der Körper und die Schönheit an sich – denn heute, in Zeiten von H&M, ist das gute Aussehen das eigentliche Statussymbol, weil es bedeutet, dass man genug Zeit, Geld und Unabhängigkeit hat, um daran zu arbeiten.

Mit dem Körper kommt die Frage nach der Pose: Was sind das eigentlich für komische Haltungen in der Modefotografie? Geknickter Rücken, nach vorn gerollte Schultern, verkniffener Hintern, eingezogener Kopf? Was soll denn das darstellen? Welcher Körperteil soll vorteilhaft aussehen oder betont werden? Ausser den knochigen Schultern oder den fettfreien Rippen oder den spitzen Ellbogen oder den krassen Hüftknochen sticht ja gar nichts ins Auge … oh, ach so.

Nackt und ungeschminkt

Und jetzt, ab den Nullerjahren kommen auch Covers, bei denen man deutlich merkt, dass ein Plan, eine Haltung dahintersteckt. Legendär zum Beispiel im Jahr 2007 die nackte Schauspielerin Esther Gemsch, damals 51!, fotografiert von Brigitte Lacombe, sogar ein bisschen Brustwarze ist zu sehen, das erste Mal in der Geschichte von annabelle. Oder die ungeschminkte Nadine Strittmatter 2008. Aber die vielleicht auffälligste Veränderung in den letzten fünfzig Jahren ist die: Das Lächeln verschwindet. Heute findet sich kaum mehr ein Titelbild, wo gelächelt wird, während es in den Fünfzigern, Sechzigern der einzig mögliche Gesichtsausdruck gewesen zu sein scheint. Wie ist das zu deuten? Hängt es mit der Tendenz zur Beautyfotografie zusammen, wird ein Lächeln als Verzerrung der schönen Features wahrgenommen, will man diese schlicht in ihrer perfekten Anordnung zeigen? Hat die Frau einfach nicht mehr so viel zu lachen wie früher? Oder wird sie einfach nicht mehr zur Zufriedenheit gedrängt wie früher?

Beschwingt, könnte man sagen. Ich fühle mich beschwingt nach dem Sichten von 75 Jahren annabelle und 1513 Covers. Beschwingt in meiner Weiblichkeit, ich hätte jetzt grad Lust, mir selber einen Blumenstrauss zu schenken. Was ja überhaupt nicht sein muss – wenn ich andere Frauenzeitschriften anschaue, komme ich mir manchmal eher wie ein Mann vor. Wie ein einsamer Mann, um es mit Greta Garbo zu halten. Irgendwie draussen. Aber annabelle, das ist eine von uns. Schön, dass es sie gibt.

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Legendär: Die nackte Esther Gemsch…

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die ungeschminkte Nadine Strittmatter…

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Kolumnistin und annabelle-Autorin Michèle Roten ist für zwei Tage in unser Archiv abgetaucht. Sämtliche Covers der letzten 75 Jahre hat sie sich angesehen; immerhin gut 1500 Stück. «Eine ziemliche Büez», fand sie, «aber sehr aufschlussreich.»