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annabelle-Erfinderin Mabel Zuppinger

Leben

annabelle-Erfinderin Mabel Zuppinger

  • Text: René Lüchinger; Fotos: Privat/Ortsmuseum Rüschlikon (4); Archiv annabelle (1)

Mabel Zuppinger war die erste Frau auf dem Chefsessel der annabelle-Redaktion. Unter dem Pseudonym Claudine hat sie die Zeitschrift zur «Freundin aller Frauen» gemacht – mit klugen Ratschlägen und auch mal subversiven Zwischentönen.

Sie verströmt Chanel 5, das Parfüm von Welt für die Dame mit Ruf. Trägt oft Kaschmirpullover, farblich assortiert zur Hose aus Flanell – dies, als die Frau, die dem Manne gefallen will, noch Röcke spazieren zu führen pflegt. Und noch im Herbst ihres Lebens kurvt sie in ihrem voluminösen Mercedes durch die Strassen Zürichs. Wenn sie raucht, tut sie dies mit dem eleganten, langstieligen Zigarettenhalter, und wenn sie spricht, ertönt eine Stimme mit unvergesslich tiefem Timbre. Das ist Mabel Zuppinger (1897–1978), ein Gesamtkunstwerk. Für Zeitgenossen und Nachgeborene die «Coco Chanel des Schweizer Journalismus». In jedem Falle aber das Ebenbild einer emanzipierten Frau zu einer Zeit, als die moderne, linke Frauenbewegung in der Schweiz noch so fern war wie das Frauenstimmrecht. Der Weg dorthin ist freilich auch für Mabel Zuppinger ein langer gewesen. Es ist dies ein Stück über die persönliche Emanzipationsgeschichte dieser Frau in der männerdominierten Berufswelt der Kriegs- und Nachkriegsjahre in drei Akten:

Akt I:
Am Anfang waren Männer

«Sie brauchen jemanden für die Frauenseite!» Diesen Satz aus dem Munde eines Mannes bekommt der Luzerner Patrizier Karl von Schuhmacher zu hören, als er im Herbst 1933 die «Weltwoche» nach dem Vorbild französischer Intellektuellenblätter auf den Schweizer Markt werfen will. Und dann gibt es da in Schumachers Umfeld noch diesen arg belesenen promovierten Anwalt namens Alfons Zuppinger, der wiederum eine Frau hat namens Mabel, die aus dem Österreichischen stammt, ähnlich belesen ist wie ihr Gatte und noch dazu sprachgewandt und ausgestattet mit grossem Interesse am Thema Mode. Ob sie Lust hätte, die Frauenseite zu übernehmen? Sie müsste schreiben über Mode, Küche und ähnlich weibliche Dinge mehr, lässt Schuhmacher Mabel Zuppinger wissen.

Diese ziert sich ein bisschen. Scheut sich aus Angst vor dem Versagen. Ausser seitenweise Tagebücher hat sie bis in ihr vierzigstes Lebensjahr hinein noch nichts zu Papier gebracht, geschweige denn Druckbares produziert. Und doch verspürt sie einen gewissen Reiz – der «Operation Frauenseite» nähert sie sich jedenfalls mit der nötigen Umsicht. Zunächst, sagt sie sich, benötigt sie einen «Nom de plume», ein Pseudonym. Geht die Sache mit dem Schreiben schief, will sie ihren anwaltschaftlich tätigen Gatten nicht kompromittieren. «Claudine» soll dies verhindern – ausgeliehen aus den gleichnamigen Romanen, welche die französische Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Claudine Colette zu Anfang des Jahrhunderts geschrieben hatte – publiziert wurden sie allerdings unter «Willy», dem Pseudonym von Colettes Mann Henry Gauthier-Villars.

Dann kauft sich Mabel Zuppinger stapelweise weisses Papier, das sich in die Schreibmaschine einspannen lässt – dort soll nun erstmals Druckbares entstehen. Nach drei Wochen will sie das entstandene Elaborat zerreissen – ihr Gatte grätscht glücklicherweise zwischen Schreibmaschine und Papierkorb: andernfalls wäre diese journalistische Karriere beendet gewesen, bevor sie angefangen hatte.

So aber gelangt das Stück auf den Schreibtisch von Karl von Schuhmacher. Der findet das Erstlingswerk der Claudine recht hübsch, wie es heisst, korrigiert hier ein bisschen, setzt dort ein paar Kommas, und als dann am 17. November 1933 die erste «Weltwoche» gedruckt ist, ist dort doch tatsächlich auch Claudine drin mit einem Stück über «Die Silhouette des Nachmittags». Nach aussen freilich bleibt die Frau hinter dem Pseudonym unsichtbar – das Impressum der ersten «Weltwoche» zieren drei Männer und keine Frau.

Akt 2:
Weiblich ist vorerst nur der Name

In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre gibt es im «Weltwoche»-Verlag Pläne, eine zweite Publikation auf den Markt zu werfen. Wieder sind die geistigen Urheber männlich, die Vorbilder französisch: die Chefs der «Weltwoche» wollen eine «Femina» oder «Marie Claire» für die Schweiz, ein Blatt «für die elegante Frau», welches Inserenten anspricht und damit das finanzielle Risiko der politisch ausgerichteten «Weltwoche» minimieren würde. Und dann ist da ja auch Claudine, die ihre Frauenseite in der «Weltwoche» mit allerhand Weiblichem bespielt und schreibt über «Das Cocktailkleid», «Modisches für Schnee und Eis» oder auch über die «Kosmetik des Alltags». All das gehört schliesslich auch in die geplante annabelle.

Mabel Zuppinger hat einmal über die Geburt der Frauenzeitschrift geschrieben: «Wie es angefangen hat? Nun recht eigentlich über meinen Kopf hinweg. Es wurde eben plötzlich beschlossen, eine frauliche Monatszeitschrift zu gründen – und zwar waren bei diesem Beschluss hauptsächlich Männer im Spiel. Sie dekretierten auch fröhlich weiter, ich hätte als Claudine in der Hauptsache zu schreiben, das sei ja meine Force, und daher müsse jemand anders die Redaktion übernehmen. Mir war das recht. Wie sollte es nicht – ich bin im Allgemeinen ein fügsames Wesen.»

So kommt heraus, was wohl herauskommen muss: annabelle, obwohl als Frauenzeitschrift gedacht, ist eine Art Zwitter, nicht Fisch, nicht Vogel, der sich nicht schlecht, aber auch nicht recht durchs Leben schlägt. Ein Magazin, das sich zu gleichen Teilen an die Frauen wie an die Männer wenden will. Der Mode wird ein geradezu winziger Platz eingeräumt, Küche ist immerhin auch etwas für Männer, und als Objekt journalistischer Neugier tauchen längst verstorbene Kaiserinnen und leicht verstaubte Vamps auf. Wo aber bleiben die unternehmenden Frauen der Gegenwart, die doch viel mehr zu sagen hätten? Diese Kritik an der ersten annabelle vom 1. März 1938 übt nicht etwa ein Medienjournalist von seinem geschützten Hochsitz herab. Sondern Mabel Zuppinger alias Claudine.

Wie recht sie hat. annabelle in der Anfangszeit ist ein Frauenmagazin, wie sich Männer Frauenmagazine vorstellen. Da gibt es dann die «Annabelle-Gymnastik: schlank, jung, gesund – drei Zauberworte und doch keine Hexerei». Dass Gymnastik jung macht, ist wohl mehr männliche Fantasie denn Realität. Und welche Frau hätte auf dem ersten Cover eine Geschlechtsgenossin gezeigt, die den Finger auf ihre Lippen legt, so als wollte sie sich und allen Leserinnen verbieten, die Stimme zu erheben? Auch diese visuelle Inszenierung ist, wiewohl rückblickend vielseitig interpretierbar, von Männerhirnen ersonnen worden.

Akt 3:
Claudine erobert sich ihre annabelle

Es ist, als hätte sich Mabel Zuppinger, «im Allgemeinen ein fügsames Wesen», dieser annabelle verweigert. Vorerst zumindest. Ein erster Beitrag von ihr erscheint im Blatt für Frauen erst nach sechs Monaten – ein Text über die «Revision des Wäscheschranks». Das liest kein Mann. Ein Ausrufezeichen, dass Claudine nun die virile Phalanx in ihrem Blatte mit dem Langmut der Frau aufweichen will, bis sie bricht? Einmal schreibt sie in einem Artikel: «Es ist immer ein beglückendes Gefühl, einer klugen Frau zu begegnen. Ich sagte absichtlich weder intelligent noch gescheit, sondern wähle das Wort klug, weil es genau dem entspricht, was ich mir unter einer Idealfigur einer Frau vorstelle.» Ob sie da über sich selber geschrieben hat?

Als annabelle endlich zum Frauenblatt geworden ist, urteilt sie über diese Zeit: «Ich fühlte mich, trotz ziemlicher Überanstrengung, wie ein Hündchen, das nach vielem Knurren und Kämpfen den eroberten Knochen heimträgt. Jetzt hatte ich freies Spiel, jetzt konnte ich endlich eine annabelle machen nach meiner Herzenslust! Etwas Ganzes und für Frauen!»

Wie sie das gemacht hat? Nach Kriegsausbruch gehen die Männer in den Aktivdienst, und in die annabelle-Redaktion holt sich Mabel Zuppinger Frauen ihrer Wahl, die ihre Artikel oftmals nur mit Vornamen zeichnen. Etwa Susanne für Kosmetiktipps. Kunigunde, die mit den roten Haaren. Oder Gioia, die unter diesem Pseudonym schreibt, weil ihr der angestammte Name zu bünzlig erscheint. Und diese Frauen-Redaktion macht annabelle, wie es ihr gefällt. Etwa so: In der Ausgabe Nummer 60 vom Februar 1943 ziert doch tatsächlich ein Kerl das Titelblatt – es ist ein Sonderheft über «MÄNNER».

Als die «Weltwoche»-Chefs nach dem Krieg wieder in die Redaktionsstube in Zürich zurückkehren, müssen sie etwas verwundert registriert haben, dass es bei annabelle Frauen gewesen sind, die den Laden während ihrer kriegsbedingten Abwesenheit am Laufen gehalten haben. Sie benötigen aber noch acht grosszügige Jahre der Einkehr, bis sie auch gegen aussen dokumentieren, dass diese Zeitschrift seit geraumer Zeit ein Blatt von Frauen für Frauen ist. Im Jahre 1953 ernennen sie Mabel Zuppinger auch offiziell zu dem, was sie längst ist: Chefredaktorin von annabelle.

Später, als Mabel Zuppinger längst pensioniert ist, zeichnet sie einen Plan über den perfekten Garten. Als wäre das ein Bebauungsplan für Blumen, sind dort die Beete ausgesteckt: Anemonen, Nelken oder Tulpen und immer wieder Rosen. Irgendwo neben einer Pappel steht: «dreimal Kompost.»

Vielleicht ist das aber nur ein letztes subversives Vermächtnis der Mabel Zuppinger an ihre oftmals männlichen Nachfolger in der Chefredaktion ihrer geliebten annabelle. Die perfekte Blaupause nämlich für die Zusammensetzung einer Redaktion einer Frauenzeitschrift. Diese benötigt schliesslich ganz unterschiedliche Duftmarken. Und Blumen sind weiblich. 

René Lüchinger (59) ist Journalist, ehemaliger Chefredaktor von «Facts», «Bilanz» und «Blick» sowie Autor zahlreicher Sachbücher

Die Coco Chanel des Journalismus
Ausstellung zum 80-Jahr-Jubiläum von annabelle im Ortsmuseum Rüschlikon ZH, bis November. 
– ortsmuseum-rueschlikon.ch

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Mabel Zuppinger um 1957 in der annabelle-Redaktion

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Mabel Zuppinger mit Dackel Zimba und Pudel Wapi daheim in Rüschlikon am Zürichsee

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Das Cover der ersten annabelle im März 1938 – eine Aufforderung zum Schweigen? Oder doch vielleicht eher die Einladung, ein Geheimnis zu teilen? Der Interpretationsspielraum ist gross