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Die Fashionistas: Schein vor sein

Leben

Die Fashionistas: Schein vor sein

  • Text: Helene Aecherli; Fotos: Dan Cermak

Sie geben sich cool, trendy und sehr instagrammable, sind aber vor allem eines: Überraschend traditionell.

Treffpunkt Club Mascotte, Zürich, Freitagabend. Sie kommen fast auf die Sekunde pünktlich zum Fototermin, sind mit der S-Bahn von Wohlen AG nach Zürich gefahren, um sich keine Gedanken machen zu müssen über Drinks und Parkplätze. Syria trägt ein halbtransparentes, silbernes Minikleid, Cindy eines aus schwarzem Lederimitat, Noemi tritt in einer hochgeschnittenen Hose in Gelb auf, Hanife in einer in Schwarz, dazu bauchfreie Tops und übergrosse Jacken. Sie halten sich kerzengerade, sind sehr höflich, sehr aufmerksam, wirken gar ein wenig schüchtern, sind stark geschminkt, üppige Lippen, Katzenaugen, betonte Gesichtskonturen im Kardashian-Countouring-Style. Doch beim Stichwort Kardashians verdrehen sie die Augen, auf keinen Fall möchten sie mit den Reality-Stars in Verbindung gebracht werden, dafür seien sie viel zu individuell, viel zu casual, so richtig auffallen wollen sie nur am Wochenende, so, wie gerade jetzt – auch auf die Gefahr hin, dass sie arrogant wirken in dieser coolen Überzeichnung ihrer selbst; schöne Frauen, die das Gefühl hätten, etwas Besseres zu sein. Das sei ein Vorurteil, das sich hartnäckig halte, betonen sie, bis man sie kennenlerne. Selbst sehen sie sich als «offen, neugierig und einfühlsam», als «junge Frauen, die auch mal im Schlabbershirt auf dem Sofa rumhängen und chillen».

Hanife (22), Syria (22) und Cindy (21) begegneten einander vor sechs Jahren, sie gingen zusammen auf die Wirtschaftsmittelschule in Aarau. Noemi (22) stiess erst später zur Clique hinzu, über Syria, ihre Cousine. Noemi hat das KV gemacht und will nun auf die Journalistenschule, um Fuss zu fassen im Beauty- oder Modebereich, Hanife sieht sich später mal im internationalen Management oder ebenfalls im Modebusiness, Syria möchte zur Kriminalpolizei, Cindy büffelt für den Bachelor in Wirtschaftsrecht und hat vor, Anwältin zu werden. Ihr Hintergrund ist kosmopolitsch, ihre Wurzeln führen nach Holland, Italien, Portugal, Thailand und in den Kosovo. Derzeit sind alle noch single, leben zuhause bei ihren Eltern. Letzteres ist an sich nichts Aussergewöhnliches, unter Jugendlichen gehört Wohnen im Hotel Mama längst zum Lifestyle.
 


Noemi: «Ich will Ehe, Kinder, das ganze Paket. Und das so bald wie möglich»
 

Überraschend ist viel mehr das unaufgeregte, ja, geradezu selbstbewusste Bekenntnis zu einem eher traditionellen Lebensentwurf. «Ja, ich gebe zu, ich mags traditionell, ich bin ein Familienmensch», erklärt Noemi. «Ich will Ehe, Kinder, das ganze Paket.» Und das so bald wie möglich. Hanife, Cindy und Syria nicken. Manchmal setzt sich Noemi deshalb sogar selber unter Druck, sagt sich: Du wirst nächstes Jahr schon 23 und bist noch immer single! «Doch egal, was du tust», sagt sie weiter, «letztlich dreht sich bei uns alles um die Fragen: Was will ich vom Leben? Und: Wie will ich mich zeigen?» Zumindest die Frage nach der Aussenwirkung ist – immerhin – einfach zu beantworten: Man zeigt sich von der besten Seite, und, ganz wichtig, auf Instagram nie ohne Filter. Zwar ist ihnen bewusst, dass die gefilterten Ansichten in der analogen Welt zu einer kognitiven Dissonanz führen können. «Als Kollegen von mir kürzlich in London waren und Bloggerinnen kennenlernten, waren sie total enttäuscht», erzählt Cindy, «weil sie in der Realität nicht so schön ausgesehen hätten wie auf Insta.» Dennoch: Bevor Cindy ein Bild von sich hochlädt, fragt sie ihre Kolleginnen im Whatsapp-Chat um deren Meinung. «Habe ich dann ein gutes Bild gepostet, freue ich mich mega.» Syria hat es sich zu ihrer Eigenart gemacht, eher auf Videos zu lächeln, Noemi zieht es vor, auf Insta gar nicht zu lächeln. Sie gefällt sich in ihrer distanzierten Rolle – möglicherweise auch deshalb, weil sie es seit Neustem als ihre Pflicht sieht, Inhalte zu teilen, die ihr wichtig sind. Denn Instagram dient nicht nur als Bilderbuch der Selbstdarstellung, sondern ist auch ein Fenster zur Welt.

Insta, so die jungen Frauen, sei ihre erste Informationsquelle, selbst wenn ihnen klar ist, dass sie nur das sehen, was jene Influencer verbreiten, denen sie folgen. In letzter Zeit waren das vor allem Beiträge über die Unterdrückung der Uiguren, der muslimischen Minderheit in China. Hanife, Syria, Noemi und Cindy sind entsetzt darüber, dass solche Ungerechtigkeiten heute noch geschehen können. Würde jemand zu einer Demonstration aufrufen, sie würden sofort mit auf die Strasse gehen.
 

 

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…lassen sich von tiefgründigen Gesprächen um den Finger wickeln und finden Low-Waist-Jeans ein No-Go. Was sie sonst noch ausmacht:

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