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«In der Medienlandschaft gab es keinen Kanal, der sich an Migrantinnen richtet»

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«In der Medienlandschaft gab es keinen Kanal, der sich an Migrantinnen richtet»

  • Interview: Céline Geneviève Sallustio, Bild: zVg, Facebook

Diaspora-TV liefert News für Migrantinnen und Migranten in der Schweiz – in neun Sprachen. Gründer Mark Bamidele Emmanuel über die Kraft der gegenseitigen Verständigung.

annabelle: Mark Bamidele Emmanuel, wie kamen Sie dazu, Diaspora-TV zu gründen?
Mark Bamidele Emmanuel: Mein Vater war für nigerianische Verhältnisse wohlhabend, deshalb konnten wir uns in Lagos bereits Ende der Siebzigerjahre Radio und Fernseher leisten. Ich war fasziniert von der Technologie und träumte von westlicher Bildung. Ich hatte bereits ein Studium in Agrartechnik absolviert, bevor ich 1999 als Flüchtling in die Schweiz kam. Hier studierte ich Elektrotechnik und bildete mich zum Toningenieur und TV-Produzenten weiter. Ich erkannte, dass es in der Medienlandschaft keinen Kanal gab, der sich an Migrantinnen und Migranten richtet. Das wunderte mich, denn knapp 25 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben ausländische Wurzeln. Allein 30 000 Eritreerinnen und Eritreer leben hier – es ist die grösste Gruppe von Asylsuchenden in der Schweiz. So entstand die Idee für Diaspora-TV.

Triebfeder für Ihr Engagement ist eine verbesserte Integration. Was bedeutet Integration für Sie?
Die Landessprache zu beherrschen und zu verstehen, was in der Schweiz passiert. Aber noch gibt es viele Menschen, die keine Landessprache sprechen und deshalb kaum über gesetzliche Bestimmungen, das Schulsystem oder über Gesundheitsvorschriften Bescheid wissen. Deshalb informieren wir auch laufend über die Corona-Hygienemassnahmen.

Diaspora-TV sendet in neun Sprachen, unter anderem auch auf Tigrinya, das in Äthiopien und Eritrea gesprochen wird. Wie verständigt sich das Team an einer Sitzung?
Wir kommunizieren auf Deutsch, Französisch oder Englisch. Darüber hinaus sind wir in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die jeweils für mehrere Länder verantwortlich sind. Diese berichten in den «Community News» darüber, was in den jeweiligen Ländern läuft. Zudem trifft sich jede Gruppe einmal pro Monat, um aktuelle Themen zu besprechen: Zu den Abstimmungen im Herbst werden wir besonders über die Begrenzungsinitiative informieren. Zwar dürfen viele Migranten nicht an die Urne, umso wichtiger ist es, dass sie in ihrem Umfeld mitdiskutieren können.

Inwiefern besteht die Gefahr, dass über Diaspora-TV Propaganda betrieben wird?
Es gibt Menschen, die den Sender für politische Interessen missbrauchen wollen, etwa, um die Regierung ihres Herkunftslandes zu bekämpfen. Aber wir sind kein Ort für politische Bewegungen.

Wie gehen Sie Themen wie Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung an?
Wir achten sehr darauf, wen wir wie ansprechen. Richten wir uns zum Beispiel an Opfer von Genitalverstümmelung, ist es wichtig, dass Betroffene selbst darüber berichten. Sonst riskieren wir, dass die Informationen nicht ernst genommen werden.

Was fordern Sie von der Schweiz als Aufnahmegesellschaft?
Mehr Unterstützung und Förderung in Bildung und Beruf. Die Schweiz muss erkennen, wie sehr die Wirtschaft von Migranten abhängt. Dies wurde während des Lockdown einmal mehr sichtbar: Ohne die vielen Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund hätte man den Spitalbetrieb nicht aufrechterhalten können. Zudem muss endlich eine Neudefinition des «typischen Schweizers» und der «typischen Schweizerin » erfolgen. Die Merkmale für das «typisch» dürfen weder Hautfarbe noch Sprache sein. Gehen Sie mal nach Genf, Sie werden staunen, wie viele Ausländerinnen und Ausländer die Schweizer Staatsbürgerschaft haben! (lacht)

Was erwarten Sie von Migrantinnen und Migranten?
Dass wir unsere eigene Kultur verstehen. Noch wichtiger scheint mir aber, dass wir verstehen, dass die Interessen der Schweiz auch die unseren sind.

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Das Studio von Diaspora-TV in Köniz BE.