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«Ich wäre eine schlechte 100-Prozent-Mutter!»

Leben

«Ich wäre eine schlechte 100-Prozent-Mutter!»

  • Text und Bild: Jessica Prinz

Familie und Arbeit besser vereinbaren: Das ist das Ziel von Sarah Steiner und ihren drei Kolleginnen von Tadah, dem Online-Magazin für Mütter. Nun gehen sie auch offline in die Offensive und eröffnen einen Coworking Space mit flexibler Kinderbetreuung – ein Novum in der Schweiz. Wir haben mit Steiner über ihre Mission, Ärger und ganz viel Engagement gesprochen.

Sarah Steiner, weshalb nennt sich Ihr Unternehmen eigentlich «Tadah»?
Sarah Steiner: (lacht und breitet demonstrativ ihre Arme weit aus) Tadah! Als wir unseren Namen suchten, wussten wir: Er braucht Drive! «Tadah – da sind wir!». As simple as that.

Was ist die Mission von «Tadah»?
Unser Online-Magazin will zeigen, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie tatsächlich möglich ist. Denn für uns selbst war immer klar, dass wir unsere Karriere nicht aufgeben wollen, nachdem wir viel Geld und Zeit in unsere Ausbildung investiert haben, und dann 100 Prozent Mutter zu sein – was nicht heissen soll, dass es falsch ist, wenn sich jemand dafür entscheidet. Nur für uns war es eben keine Option. Auf «Tadah» erzählen wir Geschichten von Müttern, die sich selbstständig gemacht haben, die beruflich oder privat ihre Projekte vorantreiben, oder die durch sonst eine Situation als Vorbilder agieren. Das alles mit dem Ziel, Mütter zu inspirieren. Jetzt, mit der Gründung des Coworking Space, wollen wir die Vereinbarkeit auch offline lebbar machen. Denn im Prinzip ist es falsch, dass wir immer nur vom einen oder vom anderen reden müssen.

Sie selbst haben schon recht bald nach der Geburt Ihrer Tochter wieder zu arbeiten begonnen, richtig?
Ja, ich hatte aber einfach keine andere Möglichkeit. Unbezahlte Ferien zu nehmen, war aufgrund meiner Jobsituation keine Option, aber ich wusste, dass ich wieder in diesen Job zurück will. Nur weil ich Mutter bin, heisst das nicht, dass ich nicht mehr ausser Haus arbeiten will. Und nur weil ich arbeiten will, heisst das nicht, dass ich nicht Mutter sein darf. Ich zum Beispiel wäre aber eine ganz schlechte 100-Prozent-Mutter. Es geht meiner Tochter viel besser so. In der Kita lernt sie den Umgang mit anderen Kindern, und zwei bis drei Tage in der Woche ist sie bei meiner Mutter, mit der sie eine sehr enge Beziehung hat. Das will ich ihr nicht nehmen. Ausserdem lernt sie durch mich als arbeitende und damit sehr glückliche Mutter vielleicht, sich später einen Beruf auszusuchen, der ihr das gleiche ermöglicht. Wenn wir als Gesellschaft gemeinsam wachsen und die Wirtschaft vorantreiben wollen, ist es elementar, dass das Individuum glücklich ist mit dem, was es tut.

Seit bald einem Jahr tun Sie selbst genau das. Sie haben Ihren Job gekündigt und konzentrieren sich voll und ganz auf Ihr Herzensprojekt «Tadah».
Wir wussten, wenn wir dieses Projekt stemmen und Investoren für unseren Coworking Space mit Kinderbetreuung finden wollen, dann müssen wir all-in gehen. Fürs Online-Magazin «Tadah» arbeiteten wir vorher immer nur abends und am Wochenende – also neben unseren Bezahljobs. Aber einen Businessplan, der Hand und Fuss hat, den schreibt man nicht so ein bisschen nebenbei oder am Abend. Ich begann erst freischaffend zu arbeiten und schrieb mit meiner Kollegin Julia Bochanneck zusammen vier Monate lang am Businessplan. Seit September arbeite ich nur noch für unser Online-Magazin und den Coworking Space. Gefühlt 300 Prozent mit 15- bis 16-Stunden-Tagen. Aber das ist nicht schlimm, denn ich liebe, was ich tue.

Wieso braucht es überhaupt einen Coworking Space speziell für Mütter?
Den braucht es nicht nur für Mütter, sondern für Eltern generell. Wir merkten schnell, was uns in unserem Berufsalltag fehlt: die Flexibilität. Kunden interessiert es nicht, ob dienstags mein Krippentag ist. Sie wollen einfach ihr Projekt am vereinbarten Tag abgeschlossen sehen. Wenn man keine Betreuung für sein Kind hat, kann man aber nicht arbeiten, auch wenn das viele Vorgesetzte oft nicht ganz einsehen. Mir wurde auch schon gesagt: «Du kannst die Telefonkonferenz auch von zuhause aus machen.» Das ist zwar sehr nett gemeint, aber ganz einfach unmöglich, wenn man ein kleines Kind hat. Eine Zweijährige ist eben nicht einfach still, nur weil das Mami eine Telefonkonferenz hat – und das muss sie auch nicht. Wir wollten eine Lösung finden, damit man auch kurzfristig in Ruhe arbeiten kann und gleichzeitig sein Kind in guten Händen weiss. Coworking, das mobile Arbeiten nicht im Büro und nicht zu fixen Zeiten – das liegt ja momentan eh im Trend. Das mit einer Kinderbetreuung zu verbinden, macht einfach Sinn.

Die Eltern arbeiten, daneben spielen Kids. Funktioniert das?
Im gleichen Raum? Nein. Deswegen ist es  wichtig, dass das Coworking vom Kinderbereich getrennt ist, sonst kann ja niemand in Ruhe arbeiten. Und auch für die Kinder ist es einfacher, wenn sie ihre Eltern nicht sehen, sonst wollen sie immer zu ihnen. Sind Mami und Papi aber aus den Augen, sind sie auch aus dem Sinn. Ein gutes Setting für Kinder ist oft vor allem abhängig von anderen Kindern und von guten Betreuungspersonen

Wie ist das pädagogisch? Gibt es da keine Probleme?
Wir haben mit vielen Pädagogen gesprochen, die der Meinung sind, dass unser Konzept umsetzbar ist – auch wenn es mit einer Mindset-Änderung des Betreuungspersonals, der Eltern und der Arbeitgeber verbunden sei. Man muss den Tag halt anders gestalten. Es bietet aber viele Vorteile: Das Kind ist im Notfall nah bei den Eltern, es ist eine Zeit- und Stressersparnis beim Abliefern und Abholen des Kindes, und wenn ich im Sommer am Nachmittag früher Feierabend machen und mit meinem Kind ein Glace essen gehen will, dann kann ich das tun. In der Krippe ist das oft nicht möglich, weil es Sperrzeiten gibt. Wo sich die Pädagogen aber einig waren: Beim Zmittag sollte es kein grosses Geläuf geben. Wenn 15 Kinder gleichzeitig essen, ist das eh schon eine organisatorische Meisterleistung. Deswegen wird es bei uns mittags auch Sperrzeiten geben. Will man mit seinem Kind zusammen essen, muss man es bis Viertel vor zwölf abholen. Es muss aber möglich sein, eine maximale Flexibilität in den Arbeits- und Betreuungsalltag zu bringen. Davon profitieren alle.

Das heisst, dass alles bloss Einstellungssache ist?
Es ist genauso Einstellungssache wie das Elternsein per se. Das Schöne an unserem Projekt ist, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Es liegt an uns, gemeinsam mit den Eltern und den Kindern herauszufinden, was für uns stimmt und welche Bedürfnisse wir abdecken wollen. Und wenn wir innerhalb der ersten paar Monate merken, dass das, was wir mal als richtig empfunden haben, nur halb richtig ist, dann machen wir es eben ganz richtig. Es liegt alles in unseren Händen. Es ist formbar und flexibel.

Das klingt alles so einfach. War es auch so einfach für Sie, sich selbstständig zu machen?
Ja, das klingt, als könnte jeder einfach alles hinschmeissen und ein Unternehmen gründen. So ist es sicher nicht. Es ist ein grosses Privileg, dass ich das kann. Aber schlussendlich kann man eben sehr viel, wenn man will. Es gibt nie den richtigen Zeitpunkt im Leben – nicht fürs Kinderkriegen und nicht fürs Unternehmengründen. Man muss einfach den Mut haben, es zu machen. Mit kleinen Kindern daheim ist es wahrscheinlich ein schwieriger Zeitpunkt, sich selbstständig zu machen. Sowohl finanziell als auch zeittechnisch. Andererseits: Wenn man wirklich dafür brennt, findet man Mittel und Wege, um es Realität werden zu lassen. Ja, es sind viel Goodwill und Unterstützung des Umfelds nötig. Ich glaube, was wir Frauen besonders lernen müssen, ist, unser Netzwerk zu nutzen. Man denkt immer, alle haben anderes zu tun, aber man darf einfach keine Angst davor haben, Leute um Hilfe zu fragen, auch wenn es nur darum geht, über ein Projekt zu sprechen. Viele sagen nämlich einfach Ja.

Die meisten Mütter hätten wahrscheinlich Angst vor der finanziellen Situation. Das scheint bei Ihnen gar nicht wirklich ein Thema zu sein.
Momentan verzichten wir als Familie einfach auf das eine oder andere. Wir waren zum Beispiel schon lang nicht mehr in den Ferien. Geld ist etwas, das man zweifelsohne braucht, aber es hat für uns nicht oberste Priorität. Und wenn ich im Monat fünf Tage freelance arbeite, dann sind meine Grundkosten gedeckt, und ich habe viel Zeit für anderes. Ausserdem ist es ja ein kalkuliertes Risiko, das wir momentan eingehen. Wir haben einen Businessplan. Und dieser enthält auch unsere Löhne. Klar entsprechen diese nicht unseren ehemaligen Angestelltenlöhne, aber klar ist auch: irgendwann wollen wir dahin zurück. Wenn es also läuft, – und davon sind wir überzeugt – dann können wir uns nach einem Jahr schon ein wenig mehr auszahlen.

Ihnen wächst also nie alles über den Kopf?
Doch, natürlich. Immer wieder. Es gab ein paar Nächte vor den Vertragsverhandlungen, in denen ich nicht schlafen konnte. In der Nacht ist ja eh immer alles so elementar. Dann hat man riesige Probleme – und merkt am nächsten Morgen, dass sie gar nicht mehr so schlimm sind. Wenn mir aber alles zu viel wird und das Kind mich aufregt – ja, das tut es manchmal – und meine Familie mich aufregt – ja, auch das passiert – und ich mich auch über mich selbst aufrege – wohl der häufigste aller Fälle –  dann überlege ich mir: Warum eigentlich? Mich aufzuregen, das bringt mich keinen Millimeter weiter. Dann muss man halt einfach den Laptop zuklappen und ein Glace essen gehen.

Was macht den Ärger erträglicher, wenn er denn mal da ist?
Wir sind zu viert. Vier, die in der gleichen Situation sind. Wir wissen: Es gibt Tage, an denen das Kind krank ist und ich einen Termin nicht wahrnehmen kann. Alle haben Verständnis für so eine Situation. Das macht es einfacher. Wir funktionieren sehr gut als Team und sind inzwischen weit mehr als nur Geschäftspartnerinnen. Das ist einer der Erfolgsfaktoren, auch wenn es um Investoren geht. Die schauen sich zwar den Businessplan an und beurteilen, wie erfolgversprechend er ist, fast noch wichtiger sind aber die Leute dahinter. Wenn ein Team nicht überzeugt, kann es auch das Projekt nicht.

Welchen Tipp würden Sie weitergeben?
Wir hatten einen guten Coach, der sagte uns: «Ihr müsst einfach drüber reden, egal ob euer Businessplan schon perfekt ist oder nicht. Und ohne darüber nachzudenken, ob es jemand gut oder schlecht findet oder eure Idee kopiert.» Man muss über eine Idee reden, um sie reifen zu lassen und damit sie Hand und Fuss bekommt. Und man muss die ganze Welt wissen lassen, wie unglaublich cool man selbst und das eigene Projekt ist. Da gehört eine grosse Portion Selbstvertrauen dazu, die man sich antrainieren muss. Denn am Ende will man etwas verkaufen. Und es kauft niemand etwas, wenn er oder sie nichts davon weiss.