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Von der Marketingfrau zur Minenräumerin

Leben

Von der Marketingfrau zur Minenräumerin

  • Redaktion: Helene Aecherli; Fotos: Stephan Rappo

Unsere Frau im Minenfeld: Es gibt nicht viele, die in Katrin Stauffers Job die Nase zuvorderst haben möchten. Was ist es, was die ehemalige Marketingfrau aus Bern angetrieben hat, ausgerechnet Minenräumerin zu werden?

Es sieht süss aus, irgendwie, und harmlos, das Ding, das Katrin Stauffer herzeigt. Auf den ersten Blick könnte es ein Spielzeugdrachen sein, und genau darauf wird abgezielt, auf diese Unschuldsvermutung, denn das harmlose Äussere ist Absicht der Bombenbauer: Das Ding ist eine Personenmine, zwar längst unschädlich gemacht, aber hergestellt, um unter einem zufälligen Opfer zu explodieren.

«Minen werden wohl nie aus der Mode kommen»

Sie dreht ihr Demonstrationsobjekt leicht zur Seite. «Wird eine Mine gefunden», sagt Katrin Stauffer, «gilt es, als Erstes festzustellen, welchen Zünder sie hat.» Einige Zünder gehen los, wenn sie von oben einen Schlag bekommen. Andere explodieren, wenn man seitlich an sie stösst. Wiederum andere sind mit einem Stolperdraht versehen.

«Minen werden wohl nie aus der Mode kommen», fügt sie lakonisch hinzu, «denn sie sind billig, und nur schon das Gerücht, dass Minen gelegt worden seien, legt oft ganze Landstriche brach – was für eine Konfliktpartei von grossem Vorteil sein kann.»

Erste und einzige Schweizerin in diesem Beruf

Katrin Stauffer (34) ist Minenräumerin. Kampfmittelbeseitigerin, wie es korrekt heisst. Spezialisiert auf die Räumung und Entschärfung von Personenminen, Bomben und Streumunition. Zudem ausgebildete Armeetaucherin, befugt zur Bergung von Blindgängern unter Wasser.

Militärischer Dienstgrad: Hauptfeldweibel. Sie ist zierlicher als erwartet, ihr Händedruck überraschend kräftig, ihre Sprache ein gelassenes Berndeutsch. Sie ist die erste und bisher einzige Frau der Schweiz in diesem Beruf und eine der wenigen Berufsmilitärs weltweit, die dieses Training absolviert hat.

Doch wird sie auf ihre Pionierleistung angesprochen, reagiert sie unwirsch. Vergleiche mit der deutschen Minensucherin Vera Bohle, die vor einigen Jahren als singuläre Heldin in den Medien gefeiert wurde, lehnt sie ab. Sie mache einfach ihren Job, sagt Katrin Stauffer, genauso wie ihre männlichen Kollegen.

Ihre Ausbildung streicht sie höchstens dann hervor, wenn es darum geht, draussen im Feld afrikanischen Minenräumern klarzumachen, dass sie nicht einfach so eine «Uno-Tussi» ist. Sähen die ihren Leistungsausweis, werde sie vorbehaltlos akzeptiert.

Das Kompetenzzentrum Swissint in Stans

Hauptfeldweibel Stauffer hat uns zum Gespräch ins Kompetenzzentrum Swissint in Stans gebeten, die nationale Kommandostelle für friedensfördernde Auslandseinsätze, ein unauffälliges Barackendorf auf dem Weg nach Engelberg.

Stauffer ist hier, um letzte Vorbereitungen für ihren Einsatz in Kisangani im Norden der Demokratischen Republik Kongo zu treffen, die Abreise ist nur wenige Tage nach unserer Begegnung.

Sie wird dort zugunsten des Uno-Minenräumprogramms, für das die Schweiz im Rahmen der militärischen Friedensförderung Experten zur Verfügung stellt, das regionale Mine Action Coordination Center leiten und die gesamten Minenräumungsarbeiten verantworten. Das Land ist nach jahrelangen Kriegen von Blindgängern und Munition verseucht.

In schwierigen Umständen entfaltet sie sich

Erst vor wenigen Monaten ist sie aus Laos zurückgekehrt, wo sie lokale Kampfmittelräumteams beaufsichtigt hatte, die Felder von Streubomben säuberten, sogenannte Bomblets aus dem Vietnamkrieg.

Gerne wäre sie länger in der Schweiz geblieben, inzwischen könne sie es aber kaum erwarten, wieder auf fremden Boden in ein abgelegenes Dorf zu geraten und nicht zu wissen, was sie da antreffen wird. Denn nur so ist es ihr möglich, sich zu entfalten. «Gib mir Probleme und schwierige Umstände, und setz mich mitten hinein, dann blühe ich auf», gesteht sie. «Ich bin ein unerträglicher, fauler, griesgrämiger Jammerlappen, wenn ich nicht gefordert werde. Je mehr um mich herum abgeht, desto klarer und effizienter handle ich.»

Einige Wochen später doppelt Katrin Stauffer nach. In einem E-Mail aus Kisangani schreibt sie: «Der Job hier ist der anspruchsvollste, den ich je gemacht habe. Doch ich komme zurecht – und das ist schon ein ziemlich gutes Gefühl.»

Sie sei für ein knapp 500 000 Quadratkilometer grosses Gebiet verantwortlich, habe kaum Geld zur Verfügung und fast keine Leute im Feld und auf der anderen Seite die Bevölkerung, die sie mit Meldungen von Blindgängern und Minen überhäuft.

Das verursache immer wieder ein Dilemma: «Was tun, wenn 300 Kilometer nördlich von Kisangani drei Blindgänger in einem dicht besiedelten Gebiet gemeldet werden, alle meine Räumteams aber im äussersten Süden der Region sind und mit einer mehrtägigen Reise gerechnet werden muss, um von dort aus das Gebiet zu erreichen? Wann ist es gerechtfertigt, meine Arbeiten vor Ort zu unterbrechen, um einzelnen Blindgängern nachzugehen? Die Schwierigkeit ist, sich verantwortlich zu fühlen, ohne sich zermürben zu lassen.»

Mit knapp dreissig krempelte Kartin Stauffer ihr Leben um

Katrin Stauffer war knapp dreissig, als sie ihr bürgerliches Leben auf den Kopf stellte. Sechs Jahre lang hatte sie in Bern eine Agentur für Typografie und Dienstleistungsmarketing geleitet, war eine erfolgreiche Geschäftsfrau.

Doch dann hatte sie genug, verkaufte ihr Unternehmen; ein Schritt, der bei ihren Freunden und Bekannten auf Bewunderung, aber auch auf Unverständnis stiess, bei weitem jedoch nicht so überraschend war, wie er manchen vorkam. Als sie die Agentur aufbaute, wusste sie bereits, dass sie ihr Leben nicht in der Werbebranche verbringen würde.

«Es kann ja kaum das Wahre sein», sinniert sie, «für Rasenmäher Werbung zu machen.»

Sie verspürte die Sehnsucht nach Neuem, nach Veränderung, wollte ihre Grenzen ausloten, etwas tun, was nicht jeder wagt. Schon als Werberin hatten sie die Hintergründe von Konflikten interessiert, die Bedingungen für Krieg und Frieden und für Waffentechnologie.

Die humanitäre Minenräumung schien ihr das am besten geeignete Umfeld dafür zu sein, sie an den «Grund der Dinge» zu bringen, die sie bewegen. Nicht, um die Welt zu verbessern, betont sie, sondern um zu verstehen, wie sie funktioniert.

Um ein Haar wäre das Vorhaben gescheitert

Ihr Bruch mit der Gutbürgerlichkeit wäre jedoch um ein Haar gescheitert oder, besser gesagt, um ein paar Wochen.

Um die zweijährige Ausbildung am Kompetenzzentrum für Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung in Thun antreten zu können, musste sie erst die Rekrutenschule absolvieren. Und dafür wäre sie mit dreissig bereits zu alt gewesen, denn das langwierige Rekrutierungsverfahren drohte über ihren Geburtstag hinauszugehen.

Sie liess sich nicht beirren. Machte Druck. Hakte nach. «Ich gebe niemals auf», sagt sie. «Ich weiss nicht einmal, wie das geht.» Markus Josef Schefer, der damalige Chef der humanitären Minenräumung, war von Katrins Hartnäckigkeit erst irritiert, dann genervt, schliesslich beeindruckt:

Selten sei ihm jemand mit einer derartigen Überzeugungskraft und einem so zielgerichteten Auftreten begegnet. Er stellte sie den notwendigen Personen vor und unterstützte sie im Rekrutierungsprozess. Denn diese Frau, das ahnte er, würde hervorragende Arbeit leisten.

Kurz vor ihrem dreissigsten Geburtstag rückte Katrin Stauffer in die RS ein. Schmunzelnd erinnert sie sich, wie sie, die «alte» Dame, die jüngeren Rekruten immer wieder anspornte. «Kommt Jungs», habe sie während des 50-Kilometer-Marschs gerufen, «das packen wir auch noch.»

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

«Es packen, selbst wenn alles quer läuft», das ist ihre Devise, der Motor, der sie antreibt. Wichtigste Schützenhilfe ist ihr Instinkt dafür, was in brenzligen Situationen zu tun ist.

Der hat sie bis jetzt vor den grössten Gefahren bewahrt und auch dann nicht im Stich gelassen, als sie auf dem Nachhauseweg in Kisangani einen Platten hatte und von betrunkenen Soldaten angepöbelt wurde. In jener Nacht war kein Mensch auf der Strasse, der Strom war ausgefallen, die Beleuchtung tot, ihr Handy ohne Empfang.

Als die Soldaten immer aufdringlicher wurden, schrie sie sie an: «Wenn ihr nicht den Anstand habt, einer Frau in Not zu helfen, dann verschwindet auf der Stelle! Und ihr könnt Gift darauf nehmen, dass ich euren General über euer schamloses Verhalten informieren werde!» Das war die Rettung. Die Soldaten waren perplex. Stumm sahen sie zu, wie sie den Reifen wechselte – und torkelten davon.

Die Einsamkeit als grösste Herausforderung

Fragt man Katrin Stauffer nach der bisher grössten Herausforderung in ihrem Leben, antwortet sie: «Die Einsamkeit während des Einsatzes in Laos.»

Eineinhalb Jahre lang fuhr sie als Expertin von Provinz zu Provinz, übernachtete in Gasthäusern, Zelten, im Auto. Kontrollierte Minenräumteams, überprüfte geräumte Felder, beschriftete gefundene Munition, überwachte deren Entsorgung. Doch nach 17.30 Uhr war sie sich selbst überlassen.

Das brachte sie an ihre Grenzen. Um nicht durchzudrehen, plante sie ihre Freizeit minutiös. 18 Uhr: Duschen, falls Wasser vorhanden. 18.30 Uhr: Bericht schreiben. 19 Uhr: Zwei Kapitel im Buch lesen. 19.30 Uhr: Trainieren mit dem TRX. 20.30 Uhr: Noch mal duschen. 21 Uhr: DVD schauen, falls der Akku des Laptops noch Strom hat. 22 Uhr: Schlafen.

Die Einsamkeit zu bewältigen, erforderte mehr Kraft als alle Probleme im Feld. Im Feld sei sie zu pragmatisch, zu leistungsorientiert, um emotional zu sein.

Damit, fügt sie hinzu, erübrige sich auch die Standardfrage nach der Angst bei ihrer Arbeit. Die habe sie nicht, habe sie nie gehabt. Was nicht bedeutet, dass sie nicht im Nachhinein weiche Knie bekomme, wenn ihr bewusst wird, an welcher Gefahr sie und ihr Team vorbeigeschrammt sind.

Damals etwa, als sie im letzten Moment entdeckte, dass der Leiter eines Räumungsteams die Lunte für eine Sprengung von Streumunition zu kurz berechnet hatte. Drei Minuten brauchten sie, um in Deckung zu gehen, die Lunte hätte ihnen jedoch bloss eine Minute Zeit gelassen.

 

Sei sei kein Gutmensch

Nimmt man das Wort Gutmensch in den Mund, reagiert Katrin Stauffer ungehalten. «Ich bin weit davon entfernt, ein Gutmensch zu sein», sagt sie. «Und genau deshalb denke ich, dass ich Gutes tue: Ich gebe, aber verlange auch etwas dafür. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg auf die Dauer allen mehr bringt, dass er in der humanitären Arbeit nachhaltiger wirkt als reine Selbstlosigkeit.»

Menschen zu helfen, mag zwar gut sein, räumt sie ein, führe aber oft dazu, dass diese sich nicht mehr selbst zu helfen wissen und lieber darauf warten, dass ihnen jemand hilft, statt ihre Situation aus eigener Kraft zu verbessern.

«Wir haben zum Beispiel in einem Dorf während zweier Monate ein Räumteam beschäftigt», erzählt sie. «Das Team wurde beklaut und mit Vorwürfen überschüttet, weil sie den Dorfbewohnern kein Maniok abgekauft und dem Dorf nichts von ihrem Essen abgegeben haben.

Ausserdem fühlten sich die Dorfbewohner durch den Lärm der Detonationen gestört und wollten dafür bezahlt werden, dass man bei ihnen ein Minenfeld räumen darf. Da stimmt doch etwas nicht mehr.»

Viele Fragen bleiben noch unbeantwortet

Noch hat sie keine konkreten Antworten darauf, wie das Dilemma der humanitären Arbeit gelöst werden kann.

In ihrem Kopf schwirren Gedanken herum, sie sammelt Eindrücke, beobachtet, analysiert, stellt Fragen wie: «Welchen Gegenwert soll humanitäre Arbeit generieren? Wie lassen sich Menschen in Entwicklungsgebieten eher als Partner einbinden und weniger als Opfer betrachten? Welche Voraussetzungen braucht es, damit mit Frieden mehr Geld gemacht werden kann als mit Krieg?»

Katrin Stauffers Arbeit geht auch in der Schweiz weiter

Zwischen ihren Einsätzen lebt Hauptfeldweibel Stauffer in einer kleinen Wohnung im Haus ihrer Eltern in Thun, arbeitet für das Kompetenzzentrum für Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung, bildet Truppen aus, erledigt Büroarbeit, trainiert für militärische Einsätze und leistet Dienst in der Nationalen Blindgängermeldezentrale, die dem Zentrum angegliedert ist.

Über 600 Meldungen kommen hier jährlich herein. Meldungen von Wanderern, die in den Bergen Munition finden, oder von Angehörigen eines Verstorbenen, die in dessen Keller Patronen, Granaten oder Leuchtgeschosse aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg entdecken. In gut der Hälfte aller Fälle handelt es sich tatsächlich um scharfe Munition und Blindgänger.

Wie lange kann man so eine Arbeit verrichten?

Ob es sie nicht müde macht, ihr Handeln und Denken stets auf Explosives zu richten? In der Gefahrenzone jeden Handgriff präzise zu setzen, jeden Schritt zweimal zu überlegen? Wie lange kann man das tun?

Katrin Stauffer hebt die Schultern. Das bleibe abzuwarten, sagt sie. Auf jeden Fall so lange, wie sie genügend Phasen habe, um sich auch mal hängen zu lassen – und wie sie das Gefühl habe, wacher und aufmüpfiger zu sein als je zuvor.

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