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La Belle: Jungschauspielerin Léa Seydoux im Interview

Leben

La Belle: Jungschauspielerin Léa Seydoux im Interview

  • Text: Frank Heer

Es gibt Filme, die man sich nur anschaut, weil Léa Seydoux mitspielt. annabelle-Redaktor Frank Heer hat die Französin zu einem Interview getroffen.

Léa Seydoux. Man kann diesen Namen sehr genussvoll und mit gespitzten Lippen aussprechen. Ist ja auch ein schöner Name, und er klingt schon fast ein wenig wie die anderen grossen Lieblingsfranzösinnen vergangener Dekaden: Bardot. Tautou. Deneuve. Adjani. Namen für die Ewigkeit, Seydoux gehört jetzt auch dazu.

Seit «La vie d’Adèle», dem Film, der sie berühmt machte und dafür verantwortlich ist, dass sich erst ganz Frankreich, dann ganz Hollywood in sie verliebte, fachsimpelt auch die restliche Welt darüber, was die 27-jährige Schauspielerin aus Paris besonders macht. Ein Kollege der «Süddeutschen Zeitung» hat es beneidenswert trefflich formuliert: «Man sieht die Ahnen- und Evolutionsreihe des französischen It-Girls an sich vorüberziehen, und immer ist da diese wahnsinnige, hauchdünne Lücke zwischen den Vorderzähnen. Wenn es hier einen roten Faden gibt, dann führt er durch diese Zahnlücke.»

Léa Seydoux im realen Leben

Ritzen, Spalten und Schlüssellöcher sind Schlupfwinkel der Fantasie. Doch es stimmt schon: Im Lauf des Gesprächs in einem Pariser Hotel an der Avenue des Champs-Élysées wird diese Zahnlücke zum hypnotisierenden Fixierpunkt. Schade, dass man nicht rauchen darf, schon deshalb, weil man diesem Mund gern dabei zuschauen würde. Am liebsten schweigend, wie in einem französischen Film noir. Léa Seydoux redet nämlich ungern und kaum aus eigenem Antrieb. Sie meint das nicht bös, man sieht es ihr nach, Spass kann das nicht machen: drei Tage lang Interviews zu geben und nett zu sein. Sie erledigt es mit Unbehagen und pflichtbewusster Kooperation. Gewisse Fragen findet sie nur mässig interessant. Sie beantwortet sie trotzdem, mit angestrengtem Stirnrunzeln, Fummeln im Haar, Kunstpausen. Oui. Non. Oui. Da ist nichts Laszives in ihrem Wesen. Sicher, da sind diese Augen, die betörende Distanz. Doch kein gekränkter Schmollmund, kein hübscher Lidschlag, kein müdes Fläzen auf dem Sofa. Stattdessen: stetiges Wechseln der Sitzposition. Übereinandergeschlagene Beine in schwarzen Strumpfhosen und flachen Halbschuhen. Seitlich gesenkter Kopf. Verlegenes Lächeln. Fragmente halber Antworten. Sie klingen wie ein Wintermorgen in der Normandie. Ein Kollege von der «Zeit» schrieb, ebenfalls sehr trefflich: Am Ende des Interviews «befindet man sich in einem Zustand totaler Verwirrung».

Es ist diese Verknüpfung von Lücken, Grazie, Unbehagen und Distanz, die aus Léa Seydoux eine Schauspielerin von grossem Format macht. Eine, die man – wie schon Catherine Deneuve – auch in mässigen Filmen immer toll findet. Zum Beispiel in «La belle et la bête». Das Remake des Jean-Cocteau-Klassikers nach dem gleichnamigen Märchen ist völlig überflüssig, es sei denn, man ist neun Jahre alt oder empfänglich für ironiefreien Kitsch. Trotzdem ist Léa Seydoux als Belle eine Wucht, auch wenn sie schauspielerisch kaum ernsthaft agieren muss. Es reicht, wenn sie die Lippen öffnet. In ihrer Zahnlücke schrumpft das hochtechnologische Greenscreen-Setting in einem Atemzug zur billigen Kartonkulisse.

ANNABELLE: Léa Seydoux, nach all den Filmen, die man in den letzten Jahren mit Ihnen gesehen hat, ist «La belle et la bête» die überraschendste Wahl. Fast schon ein Schock.
LÉA SEYDOUX: Möglich, dass man diesen Eindruck bekommen könnte – doch für mich war die Rolle absolut offensichtlich. Vielleicht sogar die offensichtlichste, die ich je gespielt habe.

Vielleicht hat meine Irritation damit zu tun, dass es nach «La vie d’Adèle», «Sister» oder «Grand Budapest Hotel» seltsam ist, Sie in einem Märchenfilm zu sehen.
Das stimmt, aber das war auch ein Grund, weshalb ich die Rolle der Belle unbedingt spielen wollte.

Sie ist das Gegenteil von Emma in «La vie d’Adèle».
Genau. Dort sah man mich nackt und ungeschminkt, und ich trug die Kleider aus meinem eigenen Schrank. In «Belle et la Bête» trage ich aufwendige Kostüme und Frisuren und viel Make-up. Ein totaler Kontrast.

Warum ist Ihnen dieses Märchen so wichtig?
Es geht um eine junge Frau, die ihre Familie verlässt und etwas über die Liebe lernt. Auch über die Angst vor der Liebe. Ich bin mit «La belle et la bête» aufgewachsen, so wie alle französischen Mädchen. Märchen sind Metaphern für das Leben. Ein Mittel gegen die Traurigkeit. Ein Zufluchtsort.

Ist für Sie das Verschwinden in einer Rolle auch eine Art Realitätsflucht? So wie früher das Eintauchen in ein Märchen?
Nein. Ich nehme ja nur eine andere Identität an. Das tue ich, indem ich etwas in mir aktiviere, das tief von innen kommt. Aber ich bleibe dabei immer in meiner eigenen Realität, auch wenn die Grenze zwischen der Rolle und meiner Person fliessend ist. Das ist etwas Intimes. Es geht um meine Gefühle und Ängste.

Ich habe eine Theorie: Ich glaube, dass uns Filmschauspieler deshalb faszinieren, weil sie in der Lage sind, Identitäten und Rollen zu wechseln. Eigentlich möchten wir das doch alle gern können.
Das glaube ich auch. Wenn ich Leuten sage, dass ich Schauspielerin bin, dann flammt sofort eine grosse Begeisterung auf. Wow, du bist Schauspielerin! Der Beruf strahlt Kraft aus. Schauspieler, die mich am meisten beeindrucken, sind aber immer jene, die auch etwas von sich selbst preisgeben.

Fällt es Ihnen leichter, eine Rolle zu spielen, die etwas mit Ihrem eigenen Leben zu tun hat?
Nein, ich mag Rollen, die nichts mit meinem Leben zu tun haben.

Warum?
Weil mein Leben nicht sehr interessant ist. Mein Beruf ist viel spannender.

Der nimmt wohl etwa achtzig Prozent Ihres Lebens ein, oder?
Ja, aber daneben führe ich ein ganz normales, langweiliges Leben.

Hat es sich seit «La vie d’Adèle» nicht stark verändert?
Ja und nein. Ja in Bezug auf meinen Beruf. Doch nicht, was mein Leben betrifft. Ich gehe nach draussen, ohne dass sich jemand nach mir umdreht. Das hat auch damit zu tun, dass ich in Paris lebe und nicht in Hollywood. Die Franzosen sind da ziemlich gelassen. Ich hatte vor drei Jahren mit Tom Cruise gedreht, «Mission Impossible. Ghost Protocol». Wenn sich jemand darüber beklagen kann, dass er kein normales Leben mehr hat, dann er. Er konnte nicht nach draussen gehen und blieb die ganze Zeit über im Hotel.

Was ist Ihr Schlüssel zur Schauspielerei?
Beobachtungsgabe und Vorstellungskraft. Und auch der Wille, sich vom Leben inspirieren zu lassen. Manchmal geht das ganz gut, manchmal weniger. Ich kann das nicht lenken. Es kann sein, dass ich mich wochenlang von nichts inspiriert fühle. Das ist schrecklich. Und dann gibt es Phasen, in denen es einfach passiert. In denen ich sensitiv bin und die Welt mag und mich auf das konzentrieren kann, was um mich herum passiert.

Ist das nicht menschlich?
Ja, aber wenn man einen Beruf ausübt, in dem es wichtig ist, die Welt zu absorbieren, können Phasen des Rückzugs problematisch sein.

Haben Sie sich die Schauspielerei ausgesucht? Oder hat sich die Schauspielerei Sie ausgesucht?
Gute Frage. Ich glaube, ich habe mir die Schauspielerei ausgesucht …

Wie ist das passiert?
Als Teenager hatte ich überhaupt keinen Plan, was ich im Leben wollte. Ich war eine mässige Schülerin und überzeugt, für nichts zu taugen. Eines Tages stiess ein neues Mädchen zu unserer Klasse. Sie wusste alles über Filme und nahm mich mit ins Kino. Viele ihrer Freunde waren Schauspieler. Ich war fasziniert von deren Leben und beschloss, dass auch ich so ein Leben führen wollte.

Das klingt wie ein Klischee.
Ja, aber ich war überzeugt, dass die Schauspielerei für mich der einzige Weg sei, etwas Sinnvolles mit dem Leben anzufangen. Als Kind wollte ich Sängerin werden, bis ich merkte, dass mir zum Singen der Mut fehlte. Die Schauspielerei war wie eine Offenbarung.

Als Schauspielerin braucht man keinen Mut? Sie offenbaren sich ja auch, auf der Bühne, vor der Kamera.
Da spiele ich jedoch immer eine Rolle. Ich bin jemand anders. Wenn ich mich in einem Film sehe, bin ich erst dann zufrieden mit meiner Leistung, wenn ich mich nicht mehr erkenne. Als Sängerin dagegen bleibt man immer man selbst. Darum mag ich die Schauspielerei: Man kann sich in ihr verstecken.

Zwei Filme ein Star:

«La belle et la bête» (Foto) von Christophe Gans. Mit Léa Seydoux, Vincent Cassel, André Dussollier
— Jetzt im Kino

«Grand Central» von Rebecca Zlotowski. Mit Léa Seydoux, Tahar Rahim, Olivier Gourmet
— Ab 8. Mai im Kino

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