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Liebe Michelle Hunziker

Leben

Liebe Michelle Hunziker

Ich ärgere mich jeweils darüber, wenn ich Klischees bediene. Etwa, wenn ich als Frau – und dann auch noch als Blondine – schlecht Auto fahre. Die Art und Weise wie ich einparkiere, ist zum Schämen. Ich kenne zwar Ihren persönlichen Fahrstil nicht, liebe Michelle Hunziker, aber Sie waren für mich lange Zeit ein einziges lebendes Blondinen-Klischee. «Belle Michelle», immer lustig, immer fröhlich, da ein Lächeln, hier ein Spässchen, Küsschen rechts, Küsschen links, ein bisschen Papperlapapp und überhaupt ganz viel Trallala. Den offiziell «schönsten Po Italiens» stets in enge Hosen oder knappe Kleidchen gewickelt, strahlten Sie an der Seite des italienischen Schmuse-Sängers Eros Ramazotti während meiner Jugend von den Covers aller Klatschmagazine herunter – beeindruckt hat mich das nicht.

Inzwischen sind wir beide ein paar Jährchen älter geworden. Ihr Po ist bestimmt immer noch «der schönste Italiens», Sie sind immer noch fröhlich und immer noch lustig. Und heute beeindruckt mich das. Denn ich habe Ihr Buch gelesen. Zugegeben, ich habe es mir nicht gekauft – ich habe es während der Ferien in der Hotellobby gefunden. Dass Sie vor zwei Jahren Ihre Biografie veröffentlichten, hatte ich irgendwie nicht mitgeschnitten. «Ein scheinbar perfektes Leben» mit dem Untertitel «Wie ich aus Liebe zu meiner Tochter den Fängen der Sekte entkam» – ganz ehrlich, Titel sowie Cover mit Ihrem makellos schönen Gesicht, beides war mir definitiv zu kitschig. Mehr aus Langeweile als aus Interesse habe ich darin geschmökert und es dann an einem Abend in einem Zug durchgelesen. Und mit jeder Seite hat Ihr berühmtes Lachen einen ganz anderen Klang bekommen.

Ungeschminkt ehrlich schreiben Sie über das zurückgewiesene Mädchen, das Sie einst waren. Ihre Eltern hatten sich getrennt, Ihr Vater, den Sie sehr liebten, hat sich im Alkohol verloren. Sie erzählen vom Schmerz, der nach dem Verlust eines geliebten Menschen im Herzen stecken bleibt, von verwehrter Liebe und anderen erlebten Enttäuschungen, die Sie derart heftig durchs Leben stolpern liessen, dass Sie stürzten und sich plötzlich mitten in den Fängen einer Sekte wieder fanden. Damals waren Sie 23 Jahre alt. Einen «fast perfekten Sturm» nennen Sie es in Ihrem Buch, wenn das ganze Unglück über einem zusammenbricht. Eine hoffnungslose Lage – und ein nahrhafter Boden, von dem sich Spiritisten und andere Profiteure einträgliche Geschäfte erhoffen. Denn sie wissen, wie empfänglich Trauernde dafür sind. «Wie kann einem das nur passieren?», fragen Sie sich selbst im Nachhinein. Die Antwort darauf: Es kann jedem passieren. Ohne tatsächlich verrückt zu werden, kann es passieren, dass man den Versprechungen erliegt. Zu schön ist das Gefühl der Hoffnung und zu gross ist die Sehnsucht nach Geborgenheit. Was Sie von Ihren Eltern nicht bekommen haben und auch in der Ehe mit Eros Ramazzotti vermissten, konnte Ihnen die Sekte geben. Bedingungslos? Keineswegs.

Es war ein perfides Spiel: Auf vermeintliche Liebe und penetrante Aufmerksamkeit folgte als Bestrafung eiskalte Zurückweisung. Wie wenn man einem Süchtigen die Droge entzieht. «Ich hätte alles getan, um die symbiotische Verbindung wieder herzustellen, die in meinen Augen die einzige wahre Liebe meines Lebens war», ein Satz aus Ihrem Buch, der schmerzt, da er von abgrundtiefer Abhängigkeit zeugt. Die Verantwortung über sein Leben in andere Hände zu geben, das kann verlockend sein. Es fühlt sich erholsam und gleichzeitig aber auch einfach nur grauenhaft an. Der Weg zurück ist beängstigend, der Ablösungsprozess schmerzhaft. Aber er ist ein Akt der Befreiung, der den Weg zu einem neuen Leben ebnet. Nach fünf Jahren in der Sekte sind Sie ihn gegangen und dazu gratuliere ich Ihnen.

Ich gratuliere Ihnen auch zum Mut, mit dem Buch Ihren Peinigern die Stirn zu bieten und sie öffentlich anzuprangern. Zwar benutzen Sie für die Sektenführerin den Decknamen «Clelia», doch wer googelt, weiss Bescheid. Die «Krieger des Lichts» haben Ihnen eine irre neue Identität verpasst. Als Schwester von Jesus, die ihren Bruder verraten hat, mussten Sie Hunger leiden und in Armut leben. Die Sekte hat Ihnen Sex verboten, eine strikte, vegane Ernährung aufgezwungen und das Geld aus den Taschen gezogen. Viel Geld. Mindestens zwei Millionen, schätzen Sie. Sie lebten ein Leben voller Entbehrungen und wurden auf Schritt und Tritt kontrolliert. Auch Ihr Telefon. Anrufe und Nachrichten wurden gelöscht, Sie wurden daran gehindert, mit Ihrer Mutter und mit Freunden zu sprechen. Ihre Ehe mit Eros Ramazzotti wurde zerstört und Sie stattdessen mit dem Sohn der Sektenführerin verkuppelt – unfassbar! Ich wurde beim Lesen Ihres Buches richtig wütend. Solche Geschichten kennt man von Menschen, die Sekten wie Scientology entkommen sind. Oft schauen einem dann gebrochene, entleerte Menschen in die Augen. Aber Sie nicht, Frau Hunziker. Aus Ihren Augen blitzt einem heute der Schalk entgegen.

Sie haben ein tiefes Tal durchschritten und bittere Erfahrungen gemacht. Sie haben es aber geschafft, über sich selbst hinauszuwachsen, und triumphieren mit strahlendem Lächeln, über das ich mich heute mehr denn je freue. «Lachen ist alles andere als dumm», schreiben Sie schon fast trotzig in Ihrem Buch. Und da musste ich lachen, denn Sie haben absolut recht. Lachen setzt sehr viel mehr Energie frei als Weinen. Unglücklich zu sein ist sehr viel einfacher, als glücklich zu sein. Dem Unglück kann man sich hingeben, sich darin suhlen. Für das Glück hingegen muss man arbeiten. Es ist nicht bloss ein Gefühl und auch nichts, was von ganz allein geschieht. Sie haben den Entschluss gefasst, sich mit Ihrer Vergangenheit zu versöhnen, und verbreiten heute pure Lebensfreude. Auf Instagram schaue ich Ihnen gern zu, wie Sie vor Liebe zu Ihren drei Kindern, Ihrem Mann oder Ihren beiden Pudeln fast platzen – irgendwer wird ständig geknuddelt. Sie schmusen, posieren, singen hinter dem Steuer … und Sie lachen! Über Spässe, über sich selbst und über das Leben.

Alles Gute!

Lara Marty