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«Routine interessiert mich nicht»

Leben

«Routine interessiert mich nicht»

  • Text: Stephanie Hess; Video: Olivia Sasse & Stephanie Hess; Foto: Vera Hartmann

Katrin Stauffer schliff früher an Slogans und Werbetexten, heute entschärft sie Minen. Das sei nicht gefährlicher als jeder andere Job, sagt sie. Ausser, wenn ihr einer selbst gesammelte Streumunition aufs Pult legt.

Bereits mit Anfang 20 leiteten Sie ein eigenes Werbebüro in Bern. Am Ende führten Sie fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist beeindruckend zielstrebig.
Es war auch ein Stück Arroganz dabei (lacht). Ich hatte schlicht das Gefühl, alles besser machen zu können als meine vorherigen Vorgesetzten. Nach vier Jahren kam allerdings die Routine – und Routine interessiert mich nicht. Das Schöngeistige ist ausserdem nicht unbedingt meine Welt. So zog ich eher das Kleingewerbe an als die grosse Fische, wir warben für Rasenmäher und Cheminée. Ich konnte mir nicht vorstellen, das für den Rest meines Lebens zu tun.

Ihre Berufswahl ging dann in eine völlig andere Richtung.
Ja, ich wollte raus. Ich wollte lernen, wie die Welt funktioniert. Etwas machen, das mich wieder fordert oder vielleicht sogar überfordert. Per Zufall zappte ich im Fernsehen in eine Dokumentation über Minenräumer. Ich wusste sofort, das wollte ich tun. Ich recherchierte und ging dann nach Deutschland in die Sprengschule Dresden, wo ich mich in drei Monaten zur Munitionssondiererin ausbilden liess. Da wusste ich, diesen Weg wollte ich einschlagen.

Dafür mussten Sie aber ins Militär.
Ja, in der Schweiz ist die Ausbildung zur Kampfmittelbeseitigerin nur bei der Armee möglich. Ich verkaufte also meine Werbeagentur und trat in die Rekrutenschule ein. Mit 29, quasi als Grossmutter, zehn Jahre älter als die anderen!

Wie war das?
Ganz lustig, ich hatte bisweilen mehr Durchhaltevermögen auf den langen Wanderungen als die jungen Männer. Ich diente mich bis zum Hauptfeldweibel hinauf, wurde Kampfmittelbeseitigerin und gleichzeitig Armeetaucherin, damit ich auch im Wasser Blindgänger entschärfen kann.

Was tun Sie genau als Kampfmittelbeseitigerin?
Ich räume und entschärfe Personenminen, Bomben und Streumunition. Im Dienst der Schweizer Armee habe ich neun Jahre in militärischen und humanitären Einsätzen gearbeitet. In Laos beaufsichtigte ich während fast zwei Jahren lokale Kampfmittelräumteams, die Felder von Streubomben säuberten, also von Überbleibseln aus dem Vietnamkrieg. In der Demokratischen Republik Kongo leitete ich ein regionales Büro des Minenräumprogramms der Vereinten Nationen, wo ich alle Einsätze koordinierte und kontrollierte.

Kamen Sie je in eine brenzlige Situation?
Wir gehen schematisiert und kontrolliert vor. Wenn man sich daran hält, ist dieser Job nicht gefährlicher als andere. Bei meinem Einsatz in Laos legte mir aber mal einer einen Rucksack auf den Bürotisch. Darin lagen Streubomben, die er gesammelt hatte – normalerweise explodieren sie, wenn man sie berührt. Also sagte ich ihm möglichst ruhig, dass er den Raum verlassen soll und evakuierte das Büro.

Wie wirkt sich diese Nähe zur Gefahr auf Sie aus?
Nun, wie gesagt, die Gefahr ist nicht einmal besonders viel höher als in anderen Jobs. Dennoch hat das wohl mein Lebensgefühl beeinflusst. Ich glaube ans Schicksal. Wenn diese Streubomben damals explodiert wären, dann wäre das halt mein Schicksal gewesen. Weitaus schwerwiegender als die drohende Gefahr fand ich in meiner Arbeit immer die Isoliertheit.

Inwiefern?
Im zweiten Jahr in Laos packte mich eine grosse Einsamkeit. Wir waren sehr viel im Feld und ich sah nur selten andere Expats, ich konnte die Sprache nur sehr schlecht, es gab oft keinen Strom und gar keine Infrastruktur. Die Bücher hatte ich alle schon gelesen. Das war heftig. Ich kam total an meine Grenzen dabei, mich selber auszuhalten.

Warum sind Sie nicht einfach zurück in die Schweiz?
Ich wollte das durchziehen, ich habe einen sturen Grind (lacht). Ich blieb noch drei Monate.

Wie hat Sie diese Erfahrung verändert?
Ich weiss jetzt: Der nächste Morgen kommt immer. Das ist beruhigend und macht mich gelassen. Ich nehme aus dieser Zeit viel Selbstvertrauen und Mut mit. Dennoch: Erleben möchte ich das nie mehr.

Ihre erste Firma hatten Sie verkauft. Nun haben Sie vor einem Jahr mit Riskey wieder ein Unternehmen gegründet. Was ist diesmal anders?
Dass ich allein bin. Ich merkte schon länger: Ich arbeite gern, aber ich führe nicht gern. Im Moment habe ich das Gefühl, genau das zu tun, was ich immer tun wollte. Mein Leben ist perfekt. Aber irgendwann wird sich bestimmt wieder Routine einschleichen, dann mache ich einen nächsten Schritt. Ein Doktorat vielleicht? Zum Mond fliegen? Es wird mich finden.

Katrin Stauffer (40) wuchs im Emmental auf. Mit 21 Jahren gründete sie ein Werbebüro. Mit 29 trat sie in die Schweizer Armee ein, um sich zur Kampfmittelbeseitigerin und Armeetaucherin auszubilden. Nach dem Master in Risiko-, Krisen- und Katastrophenmanagement gründete sie vor einem Jahr die Firma Riskey, mit der sie für Non-Profit-Organisationen, Behörden, die Vereinten Nationen und Forschungsinstitutionen im Bereich der Kampfmittelbeseitigung arbeitet. In der Schweiz unterstützt sie die Behörden bei der Räumung von alten Schiessplätzen der Armee. Sie lebt mit ihrem Lebenspartner in Blauen BL.

 

 

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