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Tierisch im Tief: Tiere mit psychischen Krankheiten

Leben

Tierisch im Tief: Tiere mit psychischen Krankheiten

  • Text: Mathias Plüss; Illustration: Lisa Rock

Auch bei psychischen Krankheiten gilt: Kaum etwas Menschliches ist den Tieren fremd. Nur können sie es einem nicht erzählen.

Die Meldung ging kürzlich durch die Medien: Affen haben eine Midlifecrisis. Forscher hatten in Zoos rund um die Welt die Gemütslage von Schimpansen und Orang-Utans erfasst. Und herausgefunden, dass es in der Lebensmitte einen deutlichen Stimmungstiefpunkt gibt. Genau wie bei Menschen.

Tiere werden unterschätzt, immer noch

Nur allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass sie keine instinktgesteuerten Automaten sind, sondern ein Gefühlsleben haben, das dem unseren kaum nachsteht. Die Kehrseite davon ist allerdings, und das ist noch viel weniger bekannt: Tiere können an psychischen Krankheiten leiden.

«Es ist eine aufregende und völlig neue Entwicklung der Biologie, dass wir immer mehr Parallelen zwischen den geistigen Erkrankungen von Menschen und Tieren finden», sagt der österreichische Verhaltensforscher Kurt Kotrschal. «Mit Blick auf die gemeinsame Herkunft ist dies gar nicht so erstaunlich. Wirbeltiere haben alle ein ähnliches, in grossen Zügen sogar gleiches Gehirn.»

Auffällig sind psychische Störungen vor allem bei Säugetieren und Vögeln, die uns besonders nah verwandt sind. Man darf jedoch vermuten, dass weitere Tiergruppen betroffen sind. So gibt es bei Fischen Hinweise auf Verhaltensstörungen: Manche Exemplare des Heilbutts neigen etwa dazu, nonstop senkrecht auf- und abzuschwimmen, wenn man sie in Aquarien in zu grosser Dichte hält.

Tiere in Zoos

Solch sinnlose, repetitive Bewegungen sind von vielen Zoo- und Heimtieren bekannt: der Bär, der aus Langeweile pausenlos im Kreis geht; der Papagei, der sich seine Federn bis auf die nackte Haut ausrupft, weil er keine Partnerin hat.

Wenn wirklich nur eine falsche Haltung der Grund ist, lassen sich Störungen verhältnismässig leicht beheben. «In den modernen Zoos sieht man das zum Glück kaum noch», sagt Christian Wenker, der Tierarzt des Basler Zolli. Eher ist man heute mit Problemen konfrontiert, die ihren Ursprung im komplexen Sozialleben mancher Arten haben.

«Zum Beispiel integriert sich bei uns derzeit ein Orang-Utan, der aus einem anderen Zoo gekommen ist, schlecht in seine neue Familie», sagt Wenker. «Er verweigert teilweise die Nahrungsaufnahme, zieht sich bei der geringsten Störung zurück und stülpt sich Jutesäcke über den Kopf. Dabei hatte er in seinem alten Zoo als frech gegolten.» In Basel behandelt man ihn nun mit einem pflanzlichen Antidepressivum.

Hat der Orang-Utan eine Depression?

Verhaltensforscher Kotrschal zögert nicht, die menschlichen Krankheitsbegriffe für Tiere anzuwenden. «Es sind die gleichen Symptome wie beim Menschen, es sind die gleichen Hirnareale beteiligt, und man kann es mit den gleichen Medikamenten bekämpfen», sagt er. «Natürlich weiss ich nicht, wie es sich für das Tier anfühlt, aber das weiss ich streng genommen bei meinen Mitmenschen auch nicht.»

Sozialer Rückzug, Apathie und Nahrungsverweigerung sind typische Merkmale einer Depression. Verbreitet ist die Krankheit etwa bei Katzen ohne Freilauf. «Den Haltern fällt das oft gar nicht auf», sagt die Basler Tierpsychologin Barbara Fehlbaum.

Mit einem Schuss Sarkasmus fügt sie hinzu: «Eine depressive Katze ist das, was man gern hat, denn sie stört nicht.» Auch Hunde können schwere Verstimmungen haben: Für sie gibts sogar Prozac mit Wurstgeschmack.

Depressionen bei monogamen Tieren

Häufig treten Depressionen bei monogamen Tieren auf, denen der Partner wegstirbt – etwa bei Wellensittichen, Papageien oder Zwerghamstern. Graugänse zeigen nach einem Partnerverlust gar alle Zeichen menschlicher Trauer, was schon der legendäre Konrad Lorenz beschrieben hat: Es «erschlafft die Muskulatur, die Augen sinken tief in die Augenhöhlen zurück, das ganze Individuum wirkt schlaff, es lässt im buchstäblichen Sinne den Kopf hängen». Die Gans zieht sich zurück, manchmal ruft sie noch nach Jahren nach dem verlorenen Partner. Im Normalfall verschwinden Trauerdepressionen mit der Zeit wieder.

Anders sieht es bei Krankheiten aus, die in einem frühkindlichen Mangel wurzeln. Und die sind gar nicht selten. «Die allermeisten psychischen Störungen sind die Folge einer falschen oder fehlenden Sozialisation», sagt Barbara Fehlbaum. «Bei Katzen ist die Zeit bis zur siebten Lebenswoche entscheidend, bei Hunden bis zur zwölften. In dieser Zeit macht das Gehirn eine starke Entwicklung durch. Was dort falschläuft, kann man später auch mit viel Liebe kaum beheben.»

Verhaltensmuster von Waisenkindern

Ähnlich wie Waisenkinder aus rumänischen Heimen entwickeln Hunde, die isoliert aufwachsen oder misshandelt werden, starke Angststörungen. Sie reagieren panisch auf Lärm oder sind extrem menschenscheu. Oft wird es mit der Zeit immer schlimmer. «Zunächst hat ein Hund vielleicht nur vor Männern Angst», sagt Fehlbaum, «dann auch vor grossen oder energischen Frauen, und am Ende schlicht vor allen Menschen. Man kann sie dann nicht mehr motivieren, das Haus zu verlassen.»

Solch krankhaft ängstliche Tiere findet man bei uns immer mehr. Grund dafür ist der boomende Handel übers Internet, wo oftmals Hunde aus Tierfabriken angeboten werden. Laut einer Studie des Schweizer Tierschutzes sind fast neunzig Prozent der hiesigen Online-Hundeinserate unseriös.

ADHS und Aggressionsstörungen

Fehlende frühkindliche Bindung kann noch andere Krankheiten auslösen: beispielsweise das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), das bei Katzenbabys und Welpen ohne ausreichende elterliche Kontrolle entstehen kann. Wie bei Menschenkindern gibt man als Gegenmittel Ritalin.

Oder Aggressionsstörungen. Nach der Wiederauswilderung von Przewalski-Pferden haben Hengste mehrmals Fohlen getötet. Die Täter waren stets Tiere, die in Gefangenschaft aufgewachsen waren. Schon in der nachfolgenden Generation, als die natürlichen sozialen Beziehungen wiederhergestellt waren, gab es keine Kindstötungen mehr.

Auch bei den sozial extrem empfindlichen Elefanten beobachtet man Aggressionsstörungen: Wilderei und Zerstörung des Lebensraums setzen ihnen zu. In einem Fall haben Elefantenbullen, die als Kinder der Tötung ihrer Eltern hatten beiwohnen müssen, in einem sinnlosen und brutalen Feldzug mehr als hundert Nashörner getötet.

Die Forschung steht noch am Anfang

Wie steht es mit weiteren psychischen Störungen? Gibt es autistische Hamster? Schizophrene Füchse? Halluzinierende Schildkröten? Schwer zu sagen. Viele dieser Krankheiten sind schon bei Menschen nicht leicht festzustellen – bei Tieren, die man nicht befragen kann, ist eine seriöse Diagnose unmöglich.

Immerhin gibt es etwa anekdotische Berichte von manisch-depressiven Hyänen, und vor wenigen Jahren ist es auch gelungen, mittels Gentechnik «schizophrene» Mäuse zu züchten, die nun für Medikamententests verwendet werden.

«Die Forschung steht hier noch ganz am Anfang», sagt Kurt Kotrschal. «Aber ich bin überzeugt, dass man die meisten psychischen Erkrankungen des Menschen im Prinzip auch bei den Tieren findet.»