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Weil Flüstern nicht ausreicht

Leben

Weil Flüstern nicht ausreicht

  • Text: Viviane Stadelmann 

Ein Grapscher hier, eine Lohndiskriminierung da. Sexismus ist allgegenwärtig. So alltäglich, dass mir lange nicht wirklich bewusst war, dass nicht ich das Problem bin.

Als Kind war ich zwei Dinge: schüchtern und strohblond. Zwei Eigenschaften, die mir in den alljährlichen Italienferien zum Verhängnis wurden. «Che bella bambina!», riefen im Restaurant die italienischen Kellner. Dabei tatschen sie mir ungefragt an den Kopf. Ich machte ein Gesicht wie der letzte Hummer im versifften Aquarium nebenan, der als Alternative zur Pizza Funghi angepriesen wurde. Doch anstatt mich zu wehren, blieb ich stumm. Meine Mutter hingegen griff ein und riet mir, in Zukunft den Mund aufzumachen, wenn mir etwas nicht gefalle.

Als ich älter und die Haare dunkler wurden, beschloss ich, meine Schüchternheit abzulegen. Denn der Umstand, dass ich – vor allem von Autoritätspersonen – nicht ernst genommen wurde, erklärte ich mir damit, dass ich einfach nicht genug laut war. Dass eine starke Meinung ohne starke Stimme eben nicht reicht.

Einige Jahre später absolvierte ich ein Praktikum. Die Redaktion bestand zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern. Mein Vorgänger hatte grosse Fussstapfen hinterlassen. Die Messlatte lag irgendwo zwischen Himmel und Olymp, als ich das Praktikum antrat. Ich kannte ihn, ein wirklich kluger Typ. Und ein ausgesprochen stiller. In den morgendlichen Sitzungen hielten wir uns beide im Hintergrund zurück. Denn, obwohl inzwischen alles andere als schüchtern, mache ich mir zunächst ein Bild der gewachsenen und inzwischen gefestigten Teamstrukturen – und beobachte erst einmal. Als das Praktikum auslief, gab mir eine Redaktorin jedoch einen Rat mit auf den Weg: Ich hätte einen super Job gemacht, meinte sie. Aber: «Nutz’ beim nächsten Mal doch von Anfang an Dein Mundwerk und lass die Barrieren nicht erst nach einer Weile fallen.» Denn, so fügte sie noch hinzu: «Bei all den gestandenen Journalisten gehst Du sonst unter.»

Da war sie, die vermeintlich ach so unschuldig dahingesäuselte Ungerechtigkeit, die ausser mir keiner wahrnahm. Denn während mein männlicher Vorgänger offenbar kleinlaut allein mit seinem Können überzeugen durfte, sollte ich mit meine ganze Persönlichkeit auf den Kopf stellen.

Ich bin nicht für schnelllebige Social-Media-Effekthascherei. Aber noch weniger bin ich dafür, dass man Frauen weismachen will, sie seien per Geschlecht nicht ehrgeizig genug. Sie würden Kinder dem Job vorziehen. Seien zu schwach bei Lohnverhandlungen. Und sie müssten sich eben einen Anzug zulegen, um professionell zu wirken – oder den Minijupe zuhause lassen, um nicht dumm angemacht zu werden. Und der Diskurs darüber, Frauen müssten dreimal Nein sagen, um gehört zu werden, obwohl doch schon eines ausreichen müsste.

Vielleicht müssen wir tatsächlich solange noch #schreien, bis wir uns alle irgendwann in derselben Lautstärke verstehen.