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Wie ist es eigentlich, die Abfahrt von Kitzbühel zu wagen?

Leben

Wie ist es eigentlich, die Abfahrt von Kitzbühel zu wagen?

  • Aufgezeichnet: Sara KellerFoto: Getty Images

Toni Broder (26), Mels SG, Raumplaner

Eine Woche bevor 2009 die Hahnenkamm-Abfahrt im österreichischen Kitzbühel stattfand, hatte ich noch keine Ahnung, dass ich mich in wenigen Tagen diese berüchtigte Piste hinunterstürzen würde. Ich sass gemütlich auf dem Sofa und schaute das Lauberhorn-Rennen im Fernseher. Nebenbei surfte ich im Internet rum. Dabei stiess ich auf einer österreichischen Website auf einen Aufruf für ein Casting als Vorfahrer in Kitzbühel.

Ich hatte schon als Kind davon geträumt, Profi zu werden. Ich war im Skiclub, fuhr zum Ärger der Trainer die steilsten Strecken schnurzgerade hinunter und wollte mit meinen Kollegen dauernd Rennfahrer spielen. Als ich mit 16 Probleme mit dem Rücken bekam, legte ich eine Auszeit vom Skisport ein. Ich kehrte nie zurück.

Und dann las ich mit 24 diesen Aufruf für Kitzbühel. Der Anmeldeschluss lag zwar um Monate zurück. Trotzdem klickte ich auf «Formular anzeigen». Ich fing an, die Fragen auszufüllen, mehr so als Spielerei. Dann sendete ich das Dokument ab. Probehalber. Am Sonntagabend rief ein Österreicher vom Rennbüro an, ich soll die Ski einpacken, am Dienstagmorgen sei das erste Training. Ich lachte. Was, wirklich, ich?

Ich geriet ins Rotieren. Hatte ich geeignetes Material, um mit über hundert Stundenkilometern eine Kurve zu fahren? Auf meinen Ski war noch eine acht Jahre alte Wachsschicht drauf. Die Kanten waren stumpf.

Als Junior hatte ich meine Ski jeweils selber präpariert. Das lag schon ein Weilchen zurück, aber ich machte mich trotzdem ans Werk. Sogar einen Rennanzug fand ich im Keller. Genau genommen zwei, aber der zweite war der alte Schweizer Käsedress. Im Emmentaler-Look konnte ich unmöglich in Kitzbühel aufkreuzen. Dann lieber der nachgemachte Italieneranzug, den ich mir mal besorgt hatte.

Am Dienstagmorgen stand ich tatsächlich mit meinen alten Ski in einem Raum mit elf weiteren Vorfahrern aus Österreich in Kitzbühel. Die Ösis waren Riesenkästen, die meisten erst kürzlich aus dem Rennbetrieb ausgestiegen. Topkörper, Topmaterial. Ich hatte in den vergangenen Monaten nur ein bisschen Fussball gespielt – als Amateur. Aber ich war fit. Und ich fühlte mich gut in Form. Bis ich mit der Bahn den Berg hinauf an den Start fuhr. Die Strecke ist extrem steil!

Ich versuchte mich zu beruhigen und sagte mir, dass die Pisten meist schlimmer aussehen, als sie dann zu fahren sind. Trotzdem fühlte ich mich kurz vor dem Start wie eine leer gedrückte Tube.

Ich sagte mir, da kommst du schon runter, irgendwie. Als ich im Starthäuschen stand, fühlte ich mich wie vor einem Sprung beim Bungee – nur ohne Seil. Hier stand mir ein drei Kilometer langer Höllenritt bevor, auf dem fast jedes Jahr ein schwerer Unfall passiert. Ich ging dennoch in die Hocke, es blieb mir ja wenig anderes übrig, und wartete auf das Startzeichen. «Piep, piep, piiiiep.» Schwupps war ich auf der Strecke.

Die Piepserei am Start musste etwas in mir ausgelöst haben, denn plötzlich verhielt sich mein Körper wie früher auf der Rennstrecke. Die Technik, die Bewegungsabläufe, alles war präsent. Meine alten Latten spurten, wie ich wollte. Es war, als hätte ich nie aufgehört, Rennen zu fahren. Nach jeder Kurve bereitete ich mich innerlich auf die nächste vor, dachte an nichts anderes als an die Strecke und ihre Schwierigkeiten.

Ich war trotzdem froh, die Abfahrt nicht als Profi bestreiten zu müssen. Auf dieser Strecke um Hundertstelsekunden zu kämpfen, muss krass sein. Als Vorfahrer hatte ich den Vorteil, das Tempo reduzieren zu können, wenn es mir zu schnell wurde. Auf der langen Passage durch den Wald ging ich sogar aus der Hocke raus, weil meine Oberschenkel schmerzten. Allerdings auch, weil dort keine Kameras installiert waren und mich niemand sehen konnte.