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Work-Love-Balance im Bernoulli-Häuschen

Leben

Work-Love-Balance im Bernoulli-Häuschen

  • Text: Line Numme; Fotos: Stephan Rappo

Sie sind ein kreatives Team und ein Liebespaar. Seit sie Bern verliessen und in ein Zürcher Bernoulli-Häuschen gezogen sind, leben Schauspielerin Ruth Schwegler und Filmemacher/Fotograf Martin Guggisberg auch unter einem Dach.

Ein Schritt, und schon steht man mitten im Wohnzimmer. Von dort sieht man durch die Küche in den Garten. Dorthin gelangt man aber nur durchs Bad im Souterrain. Die Raumaufteilung des dreistöckigen Reihenhauses in Zürich-West stammt aus dem Jahr 1925, als Architekt Hans Bernoulli die eng aneinandergereihten Arbeiterhäuser an der Limmat baute. Das Häuschen ist zauberhaft, gemütlich und eben – klein. Die Küche ist für Ruth Schwegler (53) («Die Herbstzeitlosen», «Der Kreis») und Martin Guggisberg (44) das Herz ihres Heims, dort sitzen sie am liebsten. Beide machen es sich auf dem Schlafenden Tier, der massgefertigten Küchenbank, gemütlich und fangen an zu erzählen.

annabelle: Was hat Sie von Bern nach Zürich geführt?
MARTIN GUGGISBERG: Es war eigentlich ein Experiment, dass wir hierherzogen …
RUTH SCHWEGLER: … hierherflogen.
GUGGISBERG: Genau! «Spick mi furt vo hie» sangen Patent Ochsner im Song «Belpmoos», das wollten wir quasi umsetzen. Nicht einfach mit dem Zug oder Auto ankommen, sondern mit dem Flugzeug. Ein Piper-Flug- schüler flog uns für den Preis des Kerosins von Bern nach Zürich. Eine Erinnerung an unsere alte Heimat, die uns für immer bleiben wird.

Und warum das Experiment?
GUGGISBERG: Ich bin eigentlich ein Wirtschaftsflüchtling. Fand in Bern einfach keine Arbeit mehr als Fotograf. Wenn sich nichts mehr bewegt, musst du dich bewegen.
SCHWEGLER: Bei mir war es ähnlich, obwohl ich eigentlich lieber nach Basel gegangen wäre. Ich war aber auch auf der Suche nach der grösstmöglichen beruflichen Challenge in der Deutschschweiz, und das war für mich Zürich.

Haben Sie sich in Bern durch die Arbeit kennen gelernt?
SCHWEGLER: Nicht direkt. Es war im Jahr 2000 an einer Kurzfilmnacht, und da lief ein Beitrag namens «Das Testament» über das Erbschleichen, der mit Kinderdarstellern realisiert war. Da dachte ich mir: Hmm, das muss ein cleverer Regisseur und ein spannender Typ sein, der dieses Thema so umsetzt. Als Martin mir dann vorgestellt wurde, erfuhr ich, dass es sein allererster Film war, den er mit 14 Jahren zusammen mit zwei Freunden gedreht hatte und in dem er auch gleich selbst mitspielte.
GUGGISBERG: Es hat dann aber noch einige Runden gebraucht, bis wir uns richtig kennen lernten.
SCHWEGLER: In Zürich, an einer Filmpremiere, trafen wir uns wieder. Bald darauf fragte ich ihn an, ob er mir bei einem Projekt helfen würde. Er fragte mich ganz professionell, wie viel es denn zu verdienen gäbe, und meinte dann: Nein, für diesen Lohn könne er es sich nicht leisten, für mich zu arbeiten. Ich war nun natürlich vollends davon überzeugt, dass Martin ein sehr spannender Mensch sein müsse. Von da an sah ich ihn mit etwas anderen Augen. Ich spürte, dass er für mich ein echtes Vis-à-vis sein könnte. Aber der Gedanke an ihn als potenzieller Ehemann war noch in weiter Ferne.
GUGGISBERG: Lange war das sozusagen ein Herantasten, nach vielen zufälligen Begegnungen. Ich fand sie natürlich sehr faszinierend. Erst mal ging ich dann regelmässig zum Tee zu ihr.
SCHWEGLER: Genau, so richtig proper english trafen wir uns monatelang täglich zum Nachmittagstee mit intensiven Gesprächen. Eigentlich war Martin mir ja viel zu jung, und ich wollte mir lange nicht eingestehen, dass mehr draus werden könnte.
GUGGISBERG: Ruth wohnte damals sehr unspektakulär in einem Wohnblock, aber ihre Wohnung versprühte eine Art Magie. Da war so gemütliches Licht, und sie konnte einen besonders mit ihren Kochkünsten regelrecht verzaubern. SCHWEGLER: Als ich bei einem Abendessen zu zweit merkte, dass Martin mir näherkommen wollte, liess ich im Hintergrund unromantische Jodelmusik laufen. Doch er liebte Jodel. Da dachte ich, okay, aber tanzen kann er bestimmt nicht, und legte einen Tango auf. Er packte mich aber zielstrebig und legte mit mir einen unglaublichen Freestyle-Tango aufs Parkett. Ich war hin und weg.

Hätten Sie sich so viel Nähe jemals vorstellen können? Liebe, Häuschen und Arbeit zu teilen?
GUGGISBERG: Im Gegenteil, wir sind das eigentlich ziemlich naiv angegangen. Es war für beide ein grosses Risiko, in Bern alles stehen und liegen zu lassen und alles auf eine Karte zu setzen. Die ersten Jahre unserer Beziehung lebten wir in separaten Wohnungen und hätten daran wohl auch nichts geändert, wären wir nicht nach Zürich gegangen.
SCHWEGLER: Es war vielleicht Fügung, dass wir zu diesem Bernoulli-Häuschen kamen. Martin hatte bei der ersten Besichtigung im Keller heimlich einen Kaugummi an den Boiler geklebt und ich im Garten ein Fränkli vergraben. Es nahm einfach seinen Lauf. Erst nach etwa zwei Jahren haben wir realisiert, was wir für ein Glück hatten.

Es scheint alles einfach so Hand in Hand zu gehen – wie schafft man das?
GUGGISBERG: Ich glaube, Ruth und ich haben eine ganz besondere Energie zusammen. Alles, was wir gemeinsam anpacken, entwickelt sich wie von selbst. Wir sind ein sehr gutes Team. Und jeder Tag ist anders.
SCHWEGLER: Wir ergänzen uns einfach sehr gut. Martin ist ein Trüffelschwein und Ideenfischer, er findet die Perlen und kann sie materialisieren, und ich bin eine gute Hebamme. Ich kann die Ideen auf die Welt holen.
GUGGISBERG: Ich glaube, es ist auch wichtig, dass man gemeinsame Meilensteine setzt. Sei es als Paar oder Arbeitspartner. Dass man sich immer wieder Zeit nimmt, sich zu fragen, ob man noch weiter zusammen gehen will und kann, sich aber auch gegenseitig auf die Schulter klopft und würdigt, was man gemeinsam geschaffen hat. Wir machen das konsequent an jedem Jahresende in einem feinen Restaurant.
SCHWEGLER: Boxenstopps sind auch im Alltag sehr wichtig. Und eine gute Gesprächs- und Streitkultur – dass man keine Angst vor der Konfrontation hat, sich gegenseitig stützen und dem anderen auch mal den Rücken freihalten kann. Auch in Ruhe lassen und Luft zum Atmen geben.
GUGGISBERG: Es gibt einen Kurzfilm von Roman Polanski, der heisst «Säugetiere», in dem laufen zwei Männer gemeinsam im Schnee und nehmen sich abwechselnd Huckepack, wenn der eine ein Wehwehchen hat. Etwa so funktionieren wir. Wir bringen uns immer irgendwie vorwärts.

Ihre gemeinsame Firma So & So ist ein Gefäss für Film-, Fotografie- und Theaterprojekte ohne strategisches Ziel. Für Martin Guggisberg ist es ein Netzwerk oder auch Instrument. Ruth Schwegler sieht darin eine Art Factory in Andy-Warhol-Manier, in der innovative Leute für einzelne Projekte zusammenfinden. Gemeinsam realisieren sie nebst Fremdproduktionen eigene Filmprojekte. Etwa den Spielfilm «Garten Afrika», in dem Ruth die Hauptdarstellerin in Martins Geschichte ist. Für diesen grossen Film – ein gemeinsames Herzensprojekt – holten sie eine externe Produktionsfirma an Bord. Ausserdem waren sie erstmals seit Jahren räumlich getrennt: Beide verliessen während der 27 Drehtage ihr Nest, lebten je für sich an einem anderen Ort und konzentrierten sich vollends darauf, Regisseur und Schauspielerin zu sein.

GUGGISBERG: «Garten Afrika» war eine Nummer zu gross, um Hauptdarstellerin und Produzentin mit einer Person zu besetzen. Dass Ruth die Rolle der Frau Gähwiler spielen musste, war für mich einfach klar. Eine Komödie zu drehen, ist enorm schwierig, und bei Ruth wusste ich, dass sie meinen Humor richtig transportieren kann. Ganz wichtig war auch, dass wir uns entschlossen, uns für die Drehzeit zu «trennen». Wir wollten keine privaten Gefühle oder potenzielle Konflikte in das Projekt tragen, was uns auch gelungen ist.
SCHWEGLER: Wir begrüssten uns morgens auf dem Set nur so (ihre Fingerspitzen berühren sich kurz). Es gab Leute im Team, die bis zum Schluss nicht gemerkt haben, dass wir ein Paar sind.

Wie haben Sie sich einander wieder angenähert?
SCHWEGLER: Alles kam ganz langsam wieder auf den Boden. Uns war immer bewusst, was für ein Risiko wir eingingen, dass wir uns auch hätten verlieren können. Wichtig war, dass wir alles auf den Tisch legen konnten. Auch die Vorstellung, wie es gewesen wäre, hätten wir es nicht geschafft; und dem Prozess die Zeit einräumten, die es brauchte, um wieder bei sich und beieinander anzukommen.

Würden Sie es wieder tun?
BEIDE: Absolut. Und jetzt sind wir bereit für die nächste Herausforderung.

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