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Autorin Jojo Moyes: «Viele Männer in meinem Alter wollen jüngere Frauen»

Literatur & Musik

Autorin Jojo Moyes: «Viele Männer in meinem Alter wollen jüngere Frauen»

Ü40 – kommt da noch was? Diese Frage erörtert die britische Bestseller-Autorin Jojo Moyes in ihrem Buch «Mein Leben in deinem». Und auch ganz persönlich.

In der Schweiz führt sie regelmässig die Jahresbestsellerlisten an, weltweit hat sie mehr als vierzig Millionen Bücher verkauft: Jojo Moyes (53) schreibt über Putzhilfen und Bibliothekar:innen, ihre Held:innen stehen mitten im Leben. Im Februar 2023 ist das neue Buch der früheren Journalistin erschienen, «Mein Leben in deinem» (22 Franken). Darin stellen sich zwei Frauen jenseits der vierzig die Frage, was sie noch vom Leben erwarten können. Jojo Moyes kennt dieses Problem, wie sie im Video-Interview enthüllt.

annabelle: In Ihrem neuen Roman geht es um Mut, den Frauen in ihren Vierzigern aufbringen, um ein neues Leben anzufangen. Mit dem Thema sind Sie vertraut. Nach 22 Jahren Ehe haben Sie sich kurz vor der Pandemie scheiden lassen.
Jojo Moyes: Einige Freund:innen haben gedacht, ich sei verrückt. Wenn du eine Frau in einem bestimmten Alter bist, wird erwartet, dass du mit deinem Mann zusammenbleibst und die Sicherheit einer Zweierbeziehung geniesst – ausser er misshandelt dich körperlich oder ist ein kompletter Idiot. Das traf beides nicht auf meinen Mann zu. Ich habe mich getrennt, wohl wissend, dass ich auf mich allein gestellt sein und mich in einer komischen Situation befinden werde.

Was meinen Sie damit?
Erst einmal wollen viele Männer in meinem Alter eine Frau, die zwanzig Jahre jünger ist. Ausserdem bin ich zu meinungsfreudig und erfolgreich – ich habe an Selbstvertrauen gewonnen, weiss, was ich erreicht habe. Wenn ich in eine neue Umgebung komme, verströme ich anscheinend subtil, jedoch bemerkbar diese Aura von Autorität.

Haben Sie erlebt, dass Sie Männer einschüchtern?
Einige haben noch traditionelle Ansichten, wie eine Partnerin zu sein hat. Ich bin sehr beschäftigt, eine Frau, die viel und lang aus dem Haus geht, um zu recherchieren, zu schreiben, zu arbeiten. Ausserdem habe ich drei Kinder, die an oberster Stelle auf meiner Prioritätenliste stehen. Das muss ein neuer Partner akzeptieren.

In Ihrem Buch erklärt eine Frau ihre Krankheit «in distanzierten Worten, wie Engländer es tun, wenn sie über emotionale Landminen schreiten». Ist Ihnen diese Art ebenfalls eigen? Haben Sie die Scheidung so Ihren Kindern vermittelt?
Nein, damit würde ich ihre Gefühle minimieren. Das wollte ich auf keinen Fall, ich bin selbst ein Scheidungskind. Damals bei meinen Eltern hat es mich so wütend gemacht, dass es plötzlich nur noch Konflikte gab. Mein Mann und ich hatten Angst, wir würden unseren drei Kindern einen irreparablen Schaden zufügen. Wir wussten, das ist eine riesige Umwälzung für sie, sie sollten jedoch wissen, dass wir auf ihrer Seite stehen und Entscheidungen, die sie betreffen, auch in Zukunft nur gemeinsam fällen. Weihnachten werden wir nach wie vor zusammen feiern, aber vielleicht zwei Mal anstatt ein Mal.

Wie haben Ihre Kinder das verkraftet?
Ziemlich gut. Weil sie sehen, dass ihr Vater und ich uns nicht hassen. Er ist immer noch ein Freund von mir, wir streiten nicht miteinander, trinken manchmal gemeinsam einen Kaffee bei mir. Unsere Scheidung war einvernehmlich, die Sache verlief so harmonisch, dass meine Anwältin mir danach ein E-Mail schickte: Ich wünschte, alle meine Klient:innen würden sich gegenseitig mit solcher Würde begegnen wie Sie beide.

Gestatten Sie den Einwurf: Wenn alles so toll läuft, wieso mussten Sie sich trennen?
Ich will nicht zu viel darüber sprechen, weil es nicht allein meine Geschichte ist. Ich kann nur sagen, dass wir feststellten, dass wir beide uns in unterschiedliche Richtungen entwickelten. Dass wir verschiedene emotionale Bedürfnisse hatten. Wir sind zu einem Paartherapeuten gegangen, um zu kapieren, was der andere wollte – und am Ende mussten wir einsehen, dass wir unsere Dynamiken nicht mehr verändern können. Es war so, als würde ich Polnisch reden und er Albanisch.

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«Ich dachte, ich hätte mein Leben schön vorgeplant»

Sie haben einmal gesagt, Sie brauchen stets einen Plan B im Leben. Wie sah der aus nach der Ehe?
Ich hatte keinen. Ich dachte, ich hätte mein Leben schön vorgeplant. Mit einem Mal fühlte ich mich, als würde ich am Rand eines Abgrunds stehen. Das war erschreckend. Mein ganzes Leben habe ich versucht, das Leben durch schieren Willen zu formen – ich arbeite härter, dann habe ich mehr Erfolg –, aber manchmal funktioniert es nicht. Auf eine gewisse Art war das befreiend für mich. Ich musste neu anfangen. Mein Therapeut hat mir über die Jahre immer wieder diese kleinen Sprüche mitgegeben, und einer lautete: Lass los, du kannst nichts mehr tun. Komischerweise hat mir der auch durch die Pandemie geholfen. Zum ersten Mal in meinem Leben sass ich zuhause fest, konnte nicht reisen, nicht meinem ersten Impuls nachgeben: aufzustehen und die Sache selbst in die Hand zu nehmen! Ging nicht, draussen war Lockdown, ich musste mich fügen.

Die Schriftstellerin Miranda Cowley Heller hat beklagt, dass Frauen ab fünfzig oft aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung verschwinden. Hatten Sie dieselbe Angst nach der Scheidung?
Ich habe darüber wenig nachgedacht. Auch weil im ersten Jahr nach der Trennung bei mir das komplette Gegenteil eintrat. Ich bekam ganz schön viel Aufmerksamkeit von Männern – und alle fünf Herren waren verheiratet.

Auf welcher Online-Plattform haben Sie die denn aufgegabelt?
Ich habe nie Online-Dating ausprobiert. Nach acht Monaten Singledasein habe ich einmal eine App runtergeladen, aber als ich sie öffnen wollte, bekam ich eine derartige Panikattacke, dass ich sie sofort gelöscht habe. Nein, ich habe diese Männer im echten Leben kennengelernt. Einer von ihnen war ein Anwalt, den ich wegen meiner Scheidung konsultierte und der mich nach der Besprechung sofort anmachte. Daraufhin habe ich mich dann für eine Scheidungsanwältin entschieden.

Haben Sie verstanden, warum diese Männer bei Ihnen anklopften?
Ich rede gern, öffne mich in Gesprächen, doch früher wurde ich durch den Umstand geschützt, dass ich verheiratet war. Als Single wurden meine Neugier und mein Interesse missverstanden. Ich fand das entsetzlich, weil ich dachte, diese Männer und ich hätten eine geistige Verbindung. Aber sie haben mich als Freiwild betrachtet, was mich verängstigte. Deshalb hörte ich für eine Weile komplett auf, auszugehen. Ich dachte, die Männer könnten meine Signale nur falsch deuten. Eines Abends vor zwei Jahren bin ich auf die Party eines guten Freundes gegangen, mit dem festen Vorsatz, höchstens zwei Stunden zu bleiben – und dort traf ich John wieder, einen alten Bekannten. Wir hatten uns zwanzig Jahre nicht gesehen, redeten den ganzen Abend. Er kennt mich noch als die Jojo von früher, wir haben eine gemeinsame Geschichte, ich bin für ihn eine andere Frau als die solvente Schriftstellerin. Und seitdem sind wir ein Paar.

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«Ich mache so lang weiter, bis mir jemand einen guten Grund gibt, aufzuhören»

Ihre Protagonistin Sam beschreibt an einer Stelle die abwertenden Blicke, die sie im Sportstudio von Männern bemerkt und ihr klar machen, dass sie nicht mehr sexuell begehrenswert wirkt. Haben Sie so etwas erlebt?
Nicht auf diese krasse Art. Ich kann mich jedoch ziemlich genau an ein Abendessen in einem italienischen Restaurant erinnern, irgendwann in meinen Vierzigern, als ich mit ein paar Freundinnen ausging, mit dem jungen italienischen Kellner plauderte und plötzlich feststellte: Ah, er flirtet nicht mehr mit mir, sondern toleriert mich nur noch als Kundin.

Das sind Lektionen, die man lernen muss. Was würden Sie heute Ihrem 18-jährigen Ich raten?
Ich würde ihr sagen, keine Sorge, es wird alles viel besser, als du es dir jemals erträumen könntest.

War die junge Jojo mutig?
Ich denke, ja. Damals habe ich in Hackney in London gewohnt, bin morgens um halb fünf aufgestanden, durch die halbe Stadt mit Bus und U-Bahn gefahren, nur um die Pferde von anderen Menschen zu betreuen.

Damit haben Sie Ihr Taschengeld aufgebessert?
Ich habe es umsonst gemacht! Weil ich Pferde geliebt habe. Nach zwanzig Stunden Ausmisten durfte ich eine Stunde auf einem der Tiere reiten. Hielt ich für einen tollen Deal. Daneben hatte ich jedoch immer Jobs, um etwas zu verdienen. Mit 14 Jahren begann ich als Putzhilfe, mit 17 wurde ich Vermittlerin in der Taxifunkzentrale und habe Touren an die Fahrer:innen verteilt. Danach arbeitete ich in einer Bar, an einem Stand auf dem Camden Market und schliesslich in einer Bank, wo ich für blinde Kund:innen Kontoauszüge in Brailleschrift erstellte.

Hackney war damals deutlich heruntergekommener als heute.
Ich kann mich gut daran erinnern, wie frühmorgens an der Bushaltestelle einige Male ein Mann anhielt und mich zu überreden versuchte, in sein Auto einzusteigen. Er kurbelte das Beifahrerfenster herunter und fragte: «Ich habe Hundewelpen zuhause, willst du sie dir mal ansehen?» Wenn ich zurückblicke, stellen sich bei mir alle Nackenhaare auf. Damals dachte ich nur: Mann, hau ab.

Das hätte schiefgehen können.
Ich möchte dem Eindruck entgegenwirken, dass ich gezielt ausgesucht wurde. Das war damals die komplett gängige Erfahrung eines Mädchens, das in Hackney aufwuchs. Ich habe das nie meinen Eltern erzählt, weil sie mir sonst den Nebenjob verboten hätten. Am nächsten Tag habe ich den Typen einfach erneut abgewiesen. Was war das: Mut oder Dummheit?

Vielleicht auch Durchhaltevermögen.
Da spielt wieder diese Willenskraft hinein. Ich mache so lang weiter, bis mir jemand einen guten Grund gibt, aufzuhören. Das ging mir bei meinen Büchern genauso. Den ersten Roman habe ich geschrieben, obwohl ihn niemand lesen oder veröffentlichen wollte. Drei Mal habe ich von vorne angefangen, bis sich bei Buch Nummer vier ein Verlag für mich interessierte. Aufgeben kam nicht infrage. Neulich habe ich ein altes Foto von mir gefunden, auf dem ich eine Wasserleitung repariere. Wir hatten kurz vor Weihnachten einen Rohrbruch unter dem Haus, doch kein Handwerker hatte vor den Feiertagen Zeit. Also habe ich gedacht: Ich lasse mir das Fest nicht verderben – wie schwer kann das schon sein? Und ich habe eine Leitung verlegt. Sie war nicht perfekt, hat aber funktioniert.

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