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Netflix-Review «365 Days: This Day»: unsexy trotz viel Sex

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Netflix-Review «365 Days: This Day»: unsexy trotz viel Sex

  • Text: Sonya Jamil
  • Alle Fotos: Netflix/Karolina Grabowska

Für das polnische Erotik-Drama «365 Days» hagelte es 2020 scharfe Kritik: Der Film sei frauenverachtend und sexistisch. Trotzdem ist die Fortsetzung «365 Days: This Day» zurzeit in den Top drei auf Netflix. Reportage-Praktikantin Sonya Jamil hat reingeschaut.

«Ich habe kein Höschen an», begrüsst Hauptdarstellerin Laura (gespielt von Anna Maria Sieklucka) ihren sizilianischen Don Massimo (Michele Morrone) mit monotoner Stimme. Der Mafiaboss lässt sich das nicht zweimal sagen und es geht im Hochzeitskleid zur Sache – innerhalb der ersten drei Minuten des Filmes. Wir erinnern uns: Im ersten Teil lauerte Massimo seiner polnischen Angebeteten während ihres Italien-Urlaubs mit der Frage «Are you lost, babygirl?» spätabends auf und liess sie entführen. Dabei gab er Laura 365 Tage Zeit, um sich in ihn zu verlieben.

Klar, ein dominanter Narzisst mit Traumata und Aggressionsproblemen wird wissen, was Frauen wollen. Laura, offensichtlich vom Stockholm-Syndrom betroffen, ist immer noch schwer verliebt in ihren neuen Ehemann – aber leider immer noch sehr «lost». Statt das Weite zu suchen, färbt sie ihre Haare von Blond auf Braun. Zugegebenermassen lasse ich stressige Situationen auch immer an meiner Mähne aus.

Popmusik statt Gespräche

Man braucht keinen Psychologieabschluss, um zu merken, dass sich Massimo und Laura nichts zu sagen haben. Ihre Dialoge kann man an zwei Händen abzählen. Bei so wenig Kommunikation kann es schon mal untergehen, den eigenen Zwillingsbruder zu erwähnen; ein zweiter Massimo, der angetrunken und rachesüchtig sein Unwesen treibt.

Wenn das frischvermählte Paar mit den eineinhalb Gesichtsausdrücken nicht gerade miteinander schläft, frisst es sich beim Knutschen beinahe auf. Mal abgesehen davon, dass Laura und Massimo noch nie etwas von Morgenatem oder Tischmanieren im Dasein der Familie gehört haben. Ich bin übrigens felsenfest davon überzeugt, dass Sextoy-Hersteller:innen den Streifen mitgesponsert haben: So viele Dildos und Handschellen können kein Zufall sein!

Im Gegensatz zum ersten Teil gehört die Fortsetzung des aneckenden Soft-Pornos nun voll und ganz Netflix. Damit wären sie grundsätzlich in der Lage gewesen, bezüglich der sexistischen Filmhandlung das Ruder rumzureissen. Ihre Lösung: die attraktiven Darsteller:innen gar nicht erst sprechen, aber dafür im Ferrari durch malerische, weichgezeichnete Landschaften flitzen zu lassen.

Selbstverständlich wird die Szenerie mit einem rhythmischen Pop-Song aufgepeppt – und davon gibt es mehr als genug: Mit einem Soundtrack von 23 Liedern wird jeder Mafioso-Überfall und jede BDSM-Aktion zu einem musikalischen Abenteuer. Hauptdarsteller Michele Morrone setzt für «365 Days: This Day» seine Gesangskünste unter Beweis – sehr klug, sich nebst der Schauspielerei ein zweites Standbein aufzubauen.

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Pseudo-Feminismus trifft auf alte Klischees

Der erste Film sei frauenverachtend und sexistisch, lautete das empörte Feedback der Zuschauer:innen. Die pseudo-feministische Antwort darauf ist nun eine leicht mürrische Hauptdarstellerin, die stets betont, dass sie mehr sein wolle als eine gelangweilte, arbeitslose Ehefrau und dass sie ihrem Entführer nicht gehöre. Die selbstbewussten Aussagen bekräftigt sie in der Hochzeitsnacht, indem sie sich vor Massimos Augen mit edlem Erwachsenen-Spielzeug selbst befriedigt. Lächerlich, wenn man bedenkt, dass er ihr tagsüber immer noch befiehlt, was sie zu tun und zu lassen hat. Laura bleibt lebens- und liebeshungrig. Kein Wunder, verguckt sie sich in den vermeintlichen Gärtner, der nach einem Snack benannt ist.

Natürlich muss die Produktion noch tiefer in die Klischee-Kiste greifen: Massimo kauft seiner Frau eine Edelboutique, um ihr einen Sinn im Leben zu geben. Diese hält sich inklusive bester Freundin mit exzessiven Shoppingtouren und alkoholischen Bubbles bei Laune. Olga (Magdalena Lamparska) ist seit klein auf Lauras engste Vertraute. Sie rät ihr nicht etwa, den toxischen Massimo schleunigst zu verlassen, sondern stiftet ihre Freundin dazu an, sich für ihn Reizwäsche zu kaufen – in Olgas Augen scheinbar das ultimative Heilmittel gegen emotionale Distanz. Währenddessen bändelt sie mit Massimos Verbündetem an, leckt ihm frisch fröhlich Schlagsahne vom Körper und hat innert Millisekunden einen Ring am Finger. Von Lauras Eltern, die ihre Tochter strahlend lächelnd einem Psychopathen überlassen, will ich gar nicht erst anfangen.

Gegen Ende des Filmes kommt unserer Hauptperson die Einsicht: «Ich war so naiv.» Ja, Laura, das bist du. Ich für meinen Teil muss das zweistündige Musikvideo mit unzähligen Zeitlupe-Sequenzen und Telenovela-Plot nicht nochmals sehen. Immerhin ist meine Playlist um einige Songs reicher. Die spiele ich ab, wenn ich … Nachos esse.

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Martina

Der Film ist wirklich unterirdisch. So viel nackte Haut und so wenig Intimität findet man nicht mal im professionellen Bereich.