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Kommentar: Warum es beim Prozess Depp/Heard nicht nur um Gewalt, sondern auch um Geld ging

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Kommentar: Warum es beim Prozess Depp/Heard nicht nur um Gewalt, sondern auch um Geld ging

Geld spielt beim Prozess von Amber Heard und Johnny Depp genauso eine wichtige Rolle wie die Gewalt, schreibt unsere Autorin Jacinta Nandi. Wie sich Firmen und Privatleute an der Erniedrigung Amber Heards bereicherten.

Wenn es um den Prozess zwischen Amber Heard und Johnny Depp geht, kommt man am Thema Geld nicht vorbei. Geldscheine, Geldgier, Geldspenden: Geld spielt bei dieser Geschichte genauso eine wichtige Rolle wie die Gewalt.

Ein Beispiel: Am 26. April 2022 wurde ein Video bei Tiktok hochgeladen. Darin kann man sehen, wie eine junge Frau bei einer Drive-Through-Filiale von Starbucks Kaffee holt. Im Video sind zwei Behälter für das Trinkgeld zu sehen. Auf einem steht der Name «Amber Heard», auf dem anderen «Johnny Depp». Amber Heards Behälter bleibt leer, Depps aber ist ziemlich voll mit Geldscheinen. Die junge Kundin ruft fröhlich «One for Johnny!», sie klingt triumphierend, als sie noch einen Geldschein reinlegt. Im Hintergrund spielt Filmmusik aus «Pirates of the Caribbean».

Viele machten Geld mit der Erniedrigung von Amber Heard

Nicht nur bei Starbucks floss das Geld: Den Gerichtsprozess öffentlich zu besprechen, wurde ebenfalls lukrativ, als Menschen das Pro-Depp- und Anti-Heard-Narrativ pushten. Viele Menschen – Privatleute und Firmen – machten Geld mit der Erniedrigung von Amber Heard (übrigens Johnny Depps Worte, der Heard in einer SMS mit «totaler globaler Erniedrigung» drohte).

Bei vielen Expert:innen, die öffentlich über Recht und Gerichtsverfahren berichten, sorgte der Prozess für einen kräftigen Push, was Reichweiten angeht. Diese sogenannten «Lawtuber» geben mit ihren Videos vor, neutral zu sein – verteidigten aber vor allem Johnny Depp –, und verdienten damit Geld. Expert:innen wie die US-Youtuberin Emily D. Baker kassierten hunderttausende US-Dollars ein, indem sie in Live-Videos nach «Trinkgeld» fragten. Wer im Fall Heard vs. Depp tatsächlich neutral war oder sogar Heard verteidigte, verlor Follower:innen – und machte keinen Profit.

Sexspielzeughersteller vermarktete Vergewaltigung

Die Sprachlern-App Duolingo postete einen abwertenden Kommentar, die Make-up-Firma Milani Cosmetics verlor keine Zeit, um zu zeigen, dass sie zu «Team Johnny» gehört, nachdem Heards Anwältin im Gerichtssaal eine Milani-Palette als Requisite benutzte. Und, vielleicht am perversesten von allem: Nach dem Prozess brachte ein in Florida ansässiger Online-Sexspielzeughersteller, Twisted Fantasies, einen neuen Vibrator auf den Markt: modelliert nach der Waffe (einer Alkoholflasche), die in der potenziellen Vergewaltigung Heards durch Depp benutzt worden sein soll.

Um ihr neues Produkt zu promoten, benutzte die Erotikfirma den Hashtag #justiceforjohnnydepp und machte ein anzügliches Wortspiel über die Breite des Dildos: «Reach a new Depp-th with the new Amber’s Mark Liquor Bottle Dildo. Designed with a solid base and a girthy shaft with textured grips for extra pleasure!»

Twisted Fantasies promotet das Narrativ, dass Frauen es geniessen würden, sexuell angegriffen zu werden. Sie wollen Geld machen mit dem Narrativ, dass Amber Heard es genossen hätte, mit einer Flasche penetriert zu werden.

Geld kann man bei diesem Prozess nicht ignorieren

Amber Heard zu hassen und Johnny Depp zu lieben, ist profitabel und lukrativ. Und das hat auch finanzielle Unterstützer:innen: Die rechtskonservative Nachrichtenwebseite «The Daily Wire», gegründet von Ben Shapiro, bezahlte 35 000 – 47 000 US-Dollar für Werbung, die Artikel promoten sollte, die Depp lobten und Heard kritisierten.

Aber war diese finanzielle Unterstützung das Einzige, das Depps Narrativ promotete? Zweifel sind angebracht. Ein investigativer Reporter, Robert Evans, stellte bei Twitter fest: «Es gibt etwas Beunruhigendes an diesem Depp/Heard-Prozess, etwas, das wir nicht wirklich verstehen. Ich wurde nie in meinem ganzen Onlineleben so unaufhörlich gedrängt, ein Video zu einem bestimmten Thema zu gucken, obwohl ich nie auf ein einziges Video geklickt habe!»

Aber worum ging es eigentlich in dem Prozess? Was die Menschen, die das Ganze nicht so sehr verfolgt haben, überraschen könnte: Es ging um Diffamierung, nicht um Missbrauch. Amber Heard ist – anders als Depps Unterstützer:innen zu glauben scheinen – nicht wegen Gewalt oder Missbrauch schuldig gesprochen worden. Sondern wegen Diffamierung.

In diesem Prozess ging es darum, ob Amber Heard Johnny Depp diffamierte – die siebenköpfige Jury entschied, dass sie schuldig ist. Depp hatte seine Ex-Frau auf 50 Millionen US-Dollar Schadenersatz verklagt, nachdem die Schauspielerin einen Zeitungsartikel in der «Washington Post» veröffentlichte. Depp fand, dass dieser Artikel ihn diffamierte. Heard reichte Gegenklage ein, verlangte doppelt so viel Schadenersatz, und das Gericht sprach Depp eine Summe von zehn plus fünf Millionen US-Dollar zu. Die letztere Summe reduzierte die Richterin wegen der in Virginia geltenden Obergrenze auf 350 000 US-Dollar.

Interessant daran ist, dass Amber Heard in dem besagten Meinungsartikel den Namen «Johnny Depp» nicht erwähnte. Es geht um die drei folgenden Sätze:

• Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt ausgesprochen – und den Zorn unserer Gesellschaft auf mich gezogen. («I spoke up against sexual violence – and faced our culture’s wrath.»)

• Vor zwei Jahren wurde ich dann zu einer öffentlichen Figur, die für häusliche Gewalt steht, und ich bekam die ganze Wucht des Zorns unserer Kultur auf Frauen zu spüren, die ihre Stimme erheben. («Then two years ago, I became a public figure representing domestic abuse, and I felt the full force of our culture’s wrath for women who speak out.»)

• Ich hatte die seltene Gelegenheit, in Echtzeit mitzuerleben, wie Institutionen Männer schützen, die des Missbrauchs beschuldigt werden. («I had the rare vantage point of seeing, in real time, how institutions protect men accused of abuse.»)

Drei Sätze, acht Millionen US-Dollar

Diese drei Sätze sind die drei Sätze, für die Amber Heard 8 Millionen US-Dollar zahlen muss. Die Juror:innen waren nicht nur sicher, dass diese drei Sätze Depp diffamieren sollten, sondern dass Amber sie mit «bösartiger Absicht» schrieb.

Das Urteil der Jury ergibt nur Sinn, wenn alle der Überzeugung sind, dass diese drei Sätze bösartig gemeint sind. Und nur, wenn man der Überzeugung ist, dass Amber Heard die Täterin und Johnny Depp das Opfer ist. Wenn beide Gewalt oder Missbrauch ausgeübt haben, könnten diese drei Sätze nicht bösartig gemeint sein.

Kein PTSD, aber Borderline und histrionische Persönlichkeitsstörung

Eigentlich hat Heard viele Belege dafür, dass Depp gewalttätig war. Es gibt ihre Aussagen, Fotos, Zeugenaussagen und SMS-Nachrichten von Depp, die zeigen, dass er schon vor der Ehe sehr gewalttätige Fantasien ihr gegenüber hatte. Es gibt auch SMS-Nachrichten, die sie ihrer Mutter schickte, und Notizen, die ihre Therapeutin zur sexuellen Gewalt machte (die Richterin erlaubte diese Notizen als Beweise nicht).

Stattdessen wurde Amber Heards psychische Gesundheit gegen sie benutzt: Ihre medizinische Akte wurde als Beweismittel nicht erlaubt, dafür aber die Aussage der Psychologin Dr. Curry, von Depp vor Gericht präsentiert. Sie bestritt, dass Heard an PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung) litt – und diagnostizierte sie stattdessen mit Borderline und einer histrionischen Persönlichkeitsstörung.

Depp-Fans beharren darauf, dass sie Narzisstin sei – und Rache wolle

Obwohl die offizielle Aussage dieser Psychologin Borderline ist, beharren viele Depp-Fans auf einer anderen Diagnose: Amber Heard sei eine Narzisstin, die Rache wollte und nur Depps Ruf zerstören wollte. Einige glauben sogar, dass sie ihn nur heiratete, um ihn mit dem Plan, ihn der häuslichen Gewalt zu beschuldigen, zu zerstören.

Johnny Depp ist der Grund, warum dieser Prozess überhaupt stattfand. Seinetwegen werden so viele Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch diesen Prozess getriggert und traumatisiert. Er ist dafür verantwortlich, dass dieser Prozess stattfand. Und er hat es auch begrüsst, dass er live gefilmt und übertragen wurde. Denn die Wahrheit ist: Der Gerichtssaal ist kein neutraler Ort.

Salonfähig, auf eine Frau loszugehen

Das Justizsystem ist und bleibt ein System, das Weisse reiche Männer beschützt. Und die Opfer verhöhnt. Denn, wie die Feministin und Autorin Nadia Shehadeh sagt: «Es ist in unserer misogynen Welt immer noch salonfähig, wenn man auf eine Frau losgehen kann, um angeblich einen Mann zu retten. Und, was fast noch schlimmer ist: Viele finden es sogar unterhaltsam.»

Wenn Depp-Verteidiger:innen über den Prozess sprechen, sprechen sie so, als ob es etwas total Wissenschaftliches wäre. Dabei sind Gerichte so sexistisch, so frauenfeindlich wie unsere Gesellschaft. Im Prozess in Virginia musste Amber Heard an Demonstrant:innen, die Depp zujubelten, vorbeigehen – während sie sie ausbuhten. Sie trugen Plakate, auf denen stand «Verbrennt Amber!» oder «Amber ist eine Hexe». Im Gerichtssaal wirkte Depp arrogant und entspannt, die Juror:innen und Zuschauer:innen begeistert, die Gerichtsstenografin schwärmte, die Richterin erlaubte, dass er Witze machte und seine charmante Show ablieferte.

Sie konnte nicht mehr Geld überweisen, weil er sie verklagte

Es geht um Geld. Geldscheine bei Starbucks, die als Trinkgeld vom Team-Depp fliessen. Geldspenden von Amber, die für wohltätige Zwecke sein sollten. Die Tatsache, dass sie ihre sieben Millionen US-Dollar Scheidungssumme nicht direkt und sofort an die wohltätigen Zwecke überwiesen hat, wird benutzt, um zu beweisen, dass sie geldgierig ist und immer lügt. Aber sie hat schon 1 Million US-Dollar überwiesen – und sie konnte laut eigenen Aussagen nicht mehr überweisen, da Depp sie verklagte.

Es geht um Geld, aber ich denke an alle die Frauen, denen nicht geglaubt wird. An alle Frauen, deren Männer mehr Geld, mehr Macht, mehr Ansehen haben als sie selbst. Ich denke daran, wie Amber an Demonstrant:innen vorbeilaufen musste, um zum Gericht zu kommen, an das Geld, das mit ihrem Leid gemacht worden ist. Frauen haben ein Recht auf Geld, auf ein Zuhause und ein sicheres Leben. Auf Freiheit und Frieden. Sie haben auch das Recht, über ihre Gewalterlebnisse zu sprechen. Amber Heard ist einfach eine öffentliche Figur, die häusliche Gewalt repräsentiert. Und nichts von dem, was ihr in den letzten Monaten passiert ist, ist gerechtfertigt.

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Petra

Danke für den ehrlichen Bericht. Es ist wichtig, dass wir Frauen aufstehen, stark genug durch die vielen tausend Jahre der Unterdrückung, damit endlich ein Gleichgewicht zwischen Mann und Frau entstehen kann.