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Sexologe Bachmann: «Andrew Tate sollte sich mal richtig ausheulen»

Zeitgeist

Sexologe Bachmann: «Andrew Tate sollte sich mal richtig ausheulen»

Influencer und Unternehmer Andrew Tate findet online mit misogynen Aussagen besonders bei jungen Männern Anklang. Wie kann das sein? Wir haben beim klinischen Sexologen und Paarberater Martin Bachmann nachgefragt.

«When you become a diamond, you’ll understand why life had to pressure you». Wider Erwarten blickt mir bei diesem Satz auf meinem TikTok-Feed kein 13-jähriges Mädchen entgegen, sondern ein erwachsener Mann mit Anzug und Sonnenbrille. Es handelt sich um den Mittdreissiger Emory Andrew Tate, einen britisch-amerikanischen Ex-Kickboxer. Irritiert scrolle ich durch unzählige Fan-Videos und sehe ihn als Gast in diversen Podcast-Shows.

Hier reiht er ohne Punkt und Komma wie ein aggressiver Duracell-Hase frauenverachtende Sprüche an überholte Lebensweisheiten, die ich das letzte Mal 2010 auf einer kitschigen Facebook-Pinnwand gesehen habe. Und damit erregt er immenses Aufsehen: Im Juli wurde er auf Google häufiger gesucht als Kim Kardashian oder Donald Trump. Mittlerweile haben Facebook, Instagram und YouTube seine Accounts gesperrt, nachdem Tates Kritiker:innen wiederholt dazu aufgefordert hatten.

Wer hat dir wehgetan, Tate?

Auf TikTok hat der Hashtag #andrewtate zurzeit etwa 15 Milliarden Aufrufe. Seinem Instagram-Profil «cobratate» folgten bis vor Kurzem über 4 Millionen Personen. Seine jungen, überwiegend männlichen Follower sahen ihm treu dabei zu, wie er Zigarre rauchend behauptete, dass Frühstück nur etwas für schwache Menschen und ein wahrer Mann ein traumatisierter sei – was mit unzähligen Feuer- und Herz-Emojis belohnt wurde.

Frauen sieht Tate als «precious creatures», die nicht in den Club, sondern hinter den Herd gehören und ihren Männern zu gehorchen haben. Tate selbst trage für sein «chick» die volle Verantwortung und würde sie bei einem Date nie die Rechnung bezahlen lassen. Als Gegenleistung sollte sie mit keinem anderen Mann ein Wort wechseln und ist am besten unter
20 Jahre alt: Im Gegensatz zu älteren Frauen wäre sie somit «reiner» und im Bett williger für seinen «Imprint».

«Andrew Tate benimmt sich wie ein Kind mit grosser Klappe», findet Martin Bachmann, Sexologe, Paarberater und langjähriger Gewaltberater. «Es würde mich sehr interessieren, mit welchen Erziehungsformen er aufgewachsen ist.» Als popkulturelle Inszenierung verkörpere Tate das sexistische Klischee eines Mannes und sei genau deswegen «einfach verständlich und attraktiv» für die Jugendlichen: «Er sagt den Männern schablonenhaft, wo es langgeht – und das in einem Zeitalter, in dem diese gerne auf polarisierende Anführer hören.» Das Jugendalter sei geprägt von Verunsicherung. «Man fragt sich, wie ein Mann zu sein hat.»

«Andrew Tate erinnert an eine Comicfigur»

«Andrew Tate erinnert mich an eine Comicfigur», meint Bachmann spitz. Dennoch kann auch er nicht einschätzen, ob der Influencer in Wirklichkeit nicht doch ein kluger Geschäftsmann sei: Tates Aussagen seien kurz, prägnant und provozierend – das klicke sich gut auf Social Media und fordere von den Zuschauer:innen eine geringe Aufmerksamkeitsspanne. Für die Frage «Was für ein Mann will ich sein?» brauche es jedoch Ruhe und Zeit. «Das Mannsein ist ja weitgehend erlernt.»

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«Er sagt den Männern, wo es langgeht.»

Mit Frauenhass zum grossen Geld

Nach seiner Karriere als Profisportler war Andrew Tate 2016 in der britischen Version der Reality-Show «Big Brother» zu sehen. Als Videos auftauchten, in denen zu sehen ist, wie er eine Frau mit dem Gürtel schlägt, musste er die Show verlassen. Da half es auch nicht, zu behaupten, es gehöre zum Liebesspiel und die Frau habe es so gewollt. 2017 sperrte Twitter seinen Account aufgrund rassistischer und homophober Aussagen.

Die Lage spitzte sich zu, als die Polizei aufgrund von Vergewaltigungsanschuldigungen gegen den selbsternannten «Top Gangster» ermittelte. Um die Klage zu umgehen, flüchtete er nach Rumänien, wo er zurzeit lebt. Dort seien die Gesetze für Sexualstraftaten lascher, wie er selbst sagte. Tate bezeichnet sich selbst nicht als Vergewaltiger, er mache einfach gerne, was er wolle – und überhaupt würden Frauen im Falle einer Vergewaltigung eine gewisse Mitschuld tragen.

Die Anschuldigungen an den Misogynisten gehen weiter: Wie der Guardian schreibt, soll in der Villa von Andrew Tate und seinem Bruder Tristan diesen April eine 21-jährige Amerikanerin gegen ihren Willen festgehalten worden sein. Einige Monate zuvor, im Januar, berichtete der Daily Mirror, wie die zwei Brüder ein Millionengeschäft mit Webcam-Girls machen.

Tate erinnert an den «meistgehassten Mann im Internet» Hunter Moore (36), der 2010 die erste Racheporno-Seite
«Is Anyone Up?» gründete. Der Amerikaner veröffentlichte auf der Plattform Nacktbilder von Frauen ohne deren Einwilligung. Männer wie Tate und Moore tragen auch aufgrund ihrer immensen Reichweite dazu bei, dass Frauen weiterhin in einer misogynen Welt leben müssen (den Artikel meiner Kollegin Vanja Kadic über geschlechtsspezifische Gewalt lest ihr hier).

Tate und seine «Soldiers»

Andrew Tate teilte seine Weisheiten jedoch nicht nur auf den sozialen Medien, sondern bis heute auch in seiner eigens gegründeten «Hustler University». Die nicht öffentlich anerkannte Bildungseinrichtung will für 50 Dollar im Monat jungen Männern – auch bekannt als Tates «Soldiers» – vermitteln, wie sie an Frauen, Geld und Macht kommen. Aber vor allem, wie sie Tates Videos auf TikTok streuen sollen. Und während wir die Köpfe schütteln, machen sich die Teenager fleissig Notizen.

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«Ich wünschte, er würde in meine Therapiestunde kommen und sich einmal richtig ausheulen.»

Ein surreales Männerbild

Wie kann man Jugendlichen klarmachen, dass Tates Bild eines Mannes surreal ist und ethische, moralische und soziologische Folgen haben kann? «Wir müssen mit ihnen über Stereotype sprechen und sie einordnen», sagt Bachmann. Für Jugendliche seien lebendige und alltagstaugliche Beispiele gelebter Männlichkeit mit allen Facetten wichtig. Diese sollen ihnen klar machen, dass sie sportlich, ehrgeizig und stark sein können – ohne aber gewalttätig oder respektlos sein zu müssen, und dass sie sich auch verletzlich zeigen dürfen.

Tate hingegen fehle der Zugang zu seinen Emotionen. Wie es ihm wohl an einem regnerischen Samstagabend gehe, an dem nichts rund laufe?, fragt sich Bachmann. Er sei zu bemitleiden, denn Tate könne nie seine verletzliche Seite zeigen. Das habe auch sexuelle Folgen: «Andrew Tate steht offensichtlich unter extremem Stress und Leistungsdruck – und ist deshalb ein Kandidat für Erektionsstörungen und Viagra. Ich wünschte, er würde mal in meine Therapiestunde kommen und sich einmal richtig ausheulen», so Martin Bachmann.

Es lässt sich darüber streiten, ob man Andrew Tate nicht noch mehr Aufmerksamkeit schenkt, indem man über ihn berichtet. Dass die Social-Media-Plattformen nun die bitter nötige Reissleine gezogen haben, zeigt jedoch, dass es sich gelohnt hat, das Phänomen Andrew Tate zu thematisieren – und damit seiner misogynen Guru-Karriere Abbruch zu verleihen.

Martin Bachmann (53) war 20 Jahre Sexologe und Gewaltberater im Mannebüro Zürich. Heute arbeitet der Vater von drei Teenie-Töchtern in einer eigenen Praxis als Sexologe in Luzern und als Paarberater und Mediator bei «Paarberatung und Mediation» im Kanton Zürich. Weitere Infos unter sexologik.ch

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Martin Wiedenmann

Da wird einem einfach nur schlecht, wenn man liest, was so ein Typ alles von sich gibt. Mir schwant Schlimmes für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Heidi

Naja, raus aus der Pubertät schalten die meisten Männer (und Frauen) wieder ihr Hirn, Herz und ihre Intuition ein. Spätestens dann wird diese arme Kreatur da oben für seine Follower uninteressant.
Viel prägender und besorgniserregender finde ich jedermans Kindheit. Genau dann in jungen Jahren stumpfen die meisten Menschen emotional ab, aufgrund von fehlender Liebe, Zuneigung, Kommunikation und Aufmerksamkeit von Eltern etc.!
Aber das haben nur die Eltern in der Hand.
Jeder sollte mal eine Therapie machen und sich kräftig ausheulen.
Repeat or repair <3

Tim

Was hier über Tate gesagt wird ist absolut und komplett falsch. Viele dieser Anklagen wegen Vergewaltigung etc. wurden schon lange aufgelöst.

Jede einzelne Person die Tate’s ganze Podcasts gesehen hat und nicht nur aus dem Kontext genommene Clips, weiss dass er niemandem etwas Böses will sondern unendlich vielen Männern aus Depression geholfen hat weil er Ihnen endlich klar machen konnte dass sie die Macher ihres Lebens sind.

Auch viele Frauen verfolgen die beiden Tate Brüder und stimmen dem was er predigt zu. Wenn dem so ist dann kann er ja nicht so frauenfeindlich sein.