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«Ich rede nicht gerne über mich»: Sandra Hüller ist die Schauspielerin der Stunde

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«Ich rede nicht gerne über mich»: Sandra Hüller ist die Schauspielerin der Stunde

Sandra Hüller erlebt mit ihren aktuellen Filmen «Anatomy of a Fall» und «The Zone of Interest» gerade einen absoluten Höhenflug – Oscar-Nomination inklusive. Ein Portrait über die deutsche Schauspielerin zwischen Hype und Hundespaziergang.

Kühl. Spröde. Mühsam. Immer so sachlich, so ernst, so beherrscht. Diesen Eindruck erweckt Sandra Hüller oft in Interviews. Dass Pressegespräche mit ihr Spass machen, kann man nicht gerade behaupten. Sie lockert nie die sprachliche Handbremse, ist immer kontrolliert, lässt sich nie aus der Reserve locken. Leider, seufzt man innerlich.

Dabei müsste Sandra Hüller vor Freude singen. Sie sahnt seit «Anatomy of a Fall» und «The Zone of Interest» einen Preis nach dem anderen ab, sodass die internationale Presse sie schon «The Awardist» titulierte. Und jetzt steht die 45-jährige Deutsche wirklich kurz davor, vielleicht den Oscar zu gewinnen, als beste Hauptdarstellerin.

Champagnerkorkenknallen hört man von ihr trotzdem nicht, eher lauwarme Antworten. «Ja, professionell gesehen erlebe ich wahrscheinlich die Zeit meines Lebens», sagte sie fast brav zum Filmstart von «Anatomy of a Fall» im Oktober. «Ich bin sehr dankbar für all die Dinge, die gerade passieren. Das ist definitiv aussergewöhnlich und wird sich wahrscheinlich auch nie wiederholen.»

Nicht mal mit Komplimenten lässt sie sich ködern – dass das Branchenblatt «The Hollywood Reporter» sie auf seinem Titel als «Actress of the Year» bezeichnet hat, korrigiert sie erst mal: «Mit Fragezeichen! Es ist nur eine Frage!»

Eine Kaskade an Trophäen

Für uns steht dahinter ein Ausrufezeichen – auch wenn sie selbst beim Thema Oscar-Nominierung noch immer etwas von «Spekulation», «PR-Maschinerie» und «festes Ritual in der amerikanischen Filmindustrie» faselt.

In «Anatomy of A Fall» von Justine Triet brilliert sie als Schriftstellerin, die angeklagt wird, als ihr Mann bei einem Fenstersturz stirbt. In Jonathan Glazers «The Zone of Interest», der dieser Tage bei uns anläuft, mimt sie die Frau eines KZ-Chefs, die direkt neben dem Lager Auschwitz lebt, Mauer an Mauer, mit Aussicht auf einen rauchenden Schornstein, aber das Geschehen ignoriert und sich als «Königin von Auschwitz» tituliert.

Beide Filme feierten im Wettbewerb von Cannes Premiere – was schon mal ein doppelter Ritterschlag ist. Bei Sandra Hüller löste es eine wahre Kaskade an Trophäen aus: im Dezember der Europäische Filmpreis und Film Critics Awards in Toronto, Los Angeles, Vancouver, New York, Berlin, um nur einige zu nennen. Und nun folgt am 11. März vielleicht das viel beachtete, ultrawichtige Goldmännchen. Bäm.

Hüllers erster grosser Kino-Coup war Hans-Christian Schmids «Requiem» 2006. Es war nicht nur ihre erste Hauptrolle, sondern gleich eine Tour de Force, als Epileptikerin, die zum Exorzisten geschleift wird. Damals erzählte die Debütantin noch freimütig, wie alles kam und woher sie kam: aus dem thüringischen Wald, aufgewachsen in Friedrichroda und Oberhof («das ist berühmt durch die Vierschanzentournee»), beides beschauliche, kleine Städtchen, «da kannte jeder jeden».

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«Mit dem Spielen will ich meine Zeit verbringen. Das bereichert mein Leben»

An ihrem Gymnasium wurde ein Schauspielkurs ins Leben gerufen – und es war um sie geschehen. «Mir war ziemlich langweilig, in Friedrichroda kann man nicht viel machen», berichtete sie. «Jedenfalls ging es da los. Ich habe schnell gemerkt, dass man mir das abnimmt, was ich da auf der Bühne mache. Vielleicht war es auch das Einzige, was ich je richtig gut konnte. Ich habe nie Sport gemacht, kein Instrument gespielt. Und ich bekam sehr viel positives Feedback – sonst hätte ich mich vielleicht nie getraut, weiterzumachen.» Bis irgendwann für sie feststand: «Mit dem Spielen will ich meine Zeit verbringen. Das bereichert mein Leben.»

Nach der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin mäanderte sie zwischen Theater und Filmen. «Requiem» landete nicht nur im Wettbewerb von Berlin, als Neuling gewann sie auch direkt mal den Silbernen Bären als Beste Schauspielerin. Wovon sich Hüller, damals 29, aber nur in Massen umhauen liess. «Ja, das ist total toll», sagte sie lachend. «Ich freue mich sehr drüber. Trotzdem weiss ich, dass das nicht das richtige Leben ist. So ne Berlinale ist irgendwann auch wieder vorbei, dann muss ich gucken, wie ich weiterlebe.»

Fliegende Herzen und Sachlichkeit

Da war sie schon, die Hüller’sche Nüchternheit. Auf meine damalige Interviewfrage, ob sie befürchte, nach «Requiem» und dem Festival eine öffentlichere Person zu werden, antwortete sie: «Falls das eintritt, werde ich sehen, wie ich damit umgehe. Zumal man immer die Möglichkeit hat, sich dem zu entziehen.»

Das tut sie noch heute: sich entziehen. Und es war auch schon ihre Strategie, die sie in Cannes 2016 an den Tag legte, als sie mit dem Vater-Tochter-Drama «Toni Erdmann» zum Festival-Darling wurde, wie sie so inbrünstig Whitney Houstons «The Greatest Love» auf der Leinwand schmetterte. Dass ihr die Herzen zuflogen, kommentierte sie gewohnt sachlich. «Es ist natürlich ein grosses Glück, wenn die Leute so ihre Begeisterung äussern und dabei persönlich werden.»

Auch der berühmteste Rote Teppich der Welt – selbst für gestandene Stars ein Nonplusultra der Eitelkeit und des Stylings, auf das sie sich Monate vorbereiten – beeindruckte Frau Hüller … null. Für ihr Outfit benötigte sie «sicherlich nicht mehrere Monate», erklärte sie damals streng.

Understatement statt Glamour

«Ich habe nur das Nötigste gemacht. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich gern in meinen Privatklamotten hierhergekommen. Ich war aber vorher unterwegs und nicht zu Hause. Daher war ich doch darauf angewiesen, dass Leute die Sachen zur Verfügung stellen. Was ich anhatte, hatte also eher etwas damit zu tun, dass es hier so gemacht wird, aber nicht mit meinem persönlichen Glücksgefühl.»

Understatement statt Glamour. Das ist selten in der Arena der Traumfabrik. Auch das bisschen, was man über Sandra Hüller privat weiss, ist geradezu schnöde öde: Sie hat ein Kind, einen Hund und wohnt nicht etwa am Berliner Prenzlauer Berg wie so ziemlich jede:r deutsche Schauspieler:in, sondern: in Leipzig. «Aus familiären Gründen», Punkt.

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«Der Beruf ist der Beruf, und das Leben ist das Leben, das sind zwei völlig verschiedene Dinge»

Dass man Sandra Hüller mal in einer Homestory das Sofakissen zurecht schütteln sieht, wird definitiv nicht passieren. Der Schauspielerin ist es wichtig, den Menschen Sandra Hüller hinter einer relativ verschlossenen Tür zu lassen. «Der Beruf ist der Beruf, und das Leben ist das Leben, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Als das Interesse an meiner Person gewachsen ist, habe ich gemerkt, dass ich das nicht befriedigen möchte. Ich rede gerne über die Arbeit, aber eben nicht so gerne über mich oder mein Leben.»

Glückwünsche beim Hundespaziergang

Aber dann gibt es rare Momente, wo mal etwas Leichtigkeit sichtbar wird, wo doch ihre Persönlichkeit sichtbar wird: Als sie in Cannes oberhalb der Treppe stehen blieb, auf die Menschenmasse heruntersah, nur den Moment genoss und zufrieden grinste. Oder bei der humorigen Preisverleihung «Palme Dog», einer Gaudi auf dem wichtigsten Festival der Welt, als Hüller tatsächlich den Preis an einen Vierbeiner vergab und in einer Laudatio auch noch seine Kollegialität und Genialität rühmte.

Oder als ihr gegenüber dem Branchenblatt «Hollywood Reporter» über ihr Sensations-Standing und die wachsende Aufmerksamkeit herausrutschte: «Ich ertappe mich morgens beim Kichern, weil es so schön ist. Wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, rufen mir die Leute Glückwünsche zu. Leute, die ich noch nie zuvor gesehen habe.»

Es gibt da eine Hüller hinter der Hüller, die ursympathisch, grosszügig und gewitzt ist. Sie blitzte auch durch, als der Star beim Europäischen Filmpreis im Dezember extra ein zweites Mal über den Roten Teppich ging, damit ein paar Fotograf:innen, die wegen der winterlichen Witterung zu spät dran waren, doch noch ihr Shooting bekommen.

«Wie man weiss, ist die Zukunft weiblich»

Diese Frau kann herumwitzeln und schlagfertig sein. Auf die Frage, was sich seit ihrem Film «Toni Erdmann» vor acht Jahren für Frauen in der Filmwirtschaft geändert habe, antwortet sie staubtrocken: «Wie man weiss, ist die Zukunft weiblich. Nach ‹Barbie› hat wohl jeder Produzent auf dieser Welt kapiert, dass Frauen grossartige Filme machen.»

Klar, auch in Berlin bekam sie eine Trophäe und ist nun offiziell die beste Schauspielerin Europas. In der Pressekonferenz nach ihrem Sieg lenkte sie aber das Scheinwerferlicht von sich weg, hin auf ihre «Anatomy of a Fall»-Regisseurin Justine Triet, schwärmte von ihrem «perfekten Drehbuch» und ihrem Humanismus. Diese Frau sei einfach, Achtung festhalten, «arschcool».

Ja, hat sie wirklich gesagt: «Arschcool». Und sie wiederholte es sogar auf Englisch,«fucking cool». Und genau das ist Sandra Hüller auch.

 

«The Zone of Interest» ist ab 29. Februar im Kino zu sehen.

«Anatomy of a Fall» läuft aktuell in den Schweizer Kinos.

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