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Priya Ragu: «Sein inneres Kind zu heilen – damit fängt für mich alles an»

Literatur & Musik

Priya Ragu: «Sein inneres Kind zu heilen – damit fängt für mich alles an»

Heute Freitag erscheint Priya Ragus Debütalbum «Santhosam». Wir haben mit der 37-jährigen Schweizerin über Senkrechtstarts, Selbstliebe und das Finden der eigenen Stimme gesprochen.

annabelle: Als Sie mitten in der Pandemie ihre erste Single «Good Love 2.0» und kurz darauf Ihr Mixtape «damnshestamil» veröffentlichten, legten Sie einen Senkrechtstart hin: Ihre Songs liefen auf BBC Radio 1, Sie wurden bei Warner Music in London unter Vertrag genommen, Ihre Debütsingle landete auf dem Soundtrack des Computerspiels «Fifa 21» und einer ihrer Songs schaffte es in den Netflix-Film «Wedding Season». Wie ist es Ihnen mit alldem ergangen?
Priya Ragu: Für mich geschah ein Wunder nach dem anderen. Dass ich überhaupt in England entdeckt wurde und als Schweizer Künstlerin unter Vertrag genommen wurde – das hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Plötzlich war ich mittendrin, es war crazy. Und definitiv ein Zeichen, dass es die richtige Entscheidung war, endlich auf die Musik zu setzen.

Haben Sie durch diesen schnellen Erfolg einen grossen Erwartungsdruck gespürt, als Sie anfingen, an Ihrem Debütalbum «Santhosam» zu arbeiten?
Als mein Mixtape so gut ankam, wollte ich den Moment erst einmal geniessen – gleichzeitig aber auch die Chance packen, gerade so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, und neue Songs releasen. Das hat mich schon unter Druck gesetzt. Aber dadurch, dass ich mich mittlerweile voll auf die Musik konzentrierte, hatte ich plötzlich einen Freiraum, um kreativ zu sein. Das kannte ich vorher nicht. Ich war den ganzen Tag im Büro und versuchte dann in der wenigen Freizeit, die abends blieb, noch kreativ zu sein.

Wie schnell fanden Sie in Ihren neuen Alltag als Musikerin?
2021 fing ich gleichzeitig an, neue Songs zu schreiben, auf Tournee zu gehen und Festivals zu spielen. Dazwischen nutzte ich die Zeit im Studio, um Musik zu machen. Das war schon viel aufs Mal, aber Musik gibt mir auch Kraft. Sie ist für mich sehr spirituell.

Haben Sie sich durchs Musikmachen selbst nochmals besser kennengelernt?
Definitiv. Durch Musik ist mein Geist gewachsen. Ich habe den direkten Vergleich – im Büro wurde mein Geist überhaupt nicht gefordert. Und mein Alltag besteht ja nicht nur daraus, Musik zu kreieren. Ich mag den ganzen kreativen Prozess, vom Videoshoot bis zu den Interviews. Das ist manchmal noch ungewohnt, da muss ich mich selbst etwas challengen. Aber ich wachse auch daran, was ich toll finde.

War Ihnen sofort klar: Ich habe mir meinen Platz in der Musikbranche erarbeitet, hier gehöre ich hin?
Ich glaube, ich bin erst jetzt mit meinem ersten kompletten Album richtig drin. Mit dem Mixtape war alles noch sehr neu und unbekannt, ein erster Schritt.

Was gibt Ihnen Kraft?
Ich bin zwar viel unterwegs, komme aber auch immer wieder heim in die Schweiz. Besonders als ich am Album arbeitete, war ich oft hier und habe Zeit mit Freund:innen und Familie verbracht. Dort hole ich mir meine Energie. Die Schweiz ist mein Rückzugsort.

Gibt es Themen, mit denen Sie sich besonders intensiv beschäftigen?
Es geht immer wieder um Selbstfindung und Selbstliebe bei mir. Das Durchbrechen sozialer Erwartungen. Das tun, worauf man Bock hat. Unsere Zeit hier ist begrenzt, umso wichtiger, dass wir sie wertschätzen.

Wie haben Sie sich selbst von gesellschaftlichen Erwartungen emanzipieren können?
Die Songs auf dem neuen Album haben mir sehr geholfen – sie zu schreiben, war regelrecht therapeutisch. Irgendwie macht alles Sinn, wie es jetzt gekommen ist. Man vergleicht sich automatisch, ich erwische mich auch immer wieder dabei. Damit steht man sich aber nur selbst im Weg, weil jede:r einen anderen Weg und ein anderes Timing hat. Ich musste zuerst herausfinden, was für eine Künstlerin ich sein will, was meine Message ist. Dafür habe ich Lebenserfahrung gebraucht.

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«Musik hat mir geholfen, herauszufinden, wer ich bin»

Was war Ihr grösster Aha-Moment?
Die Erkenntnis, dass ich am besten mit meinem Bruder Japhna Gold zusammenarbeite, mit dem ich meine Songs schreibe und der jetzt mein Musikproduzent ist. Um das herauszufinden, habe ich sehr lange gebraucht. Ich meinte zuerst, das sei uncool, und ich wollte meine eigenen Leute finden. Dabei war die Erfolgsformel die ganze Zeit in der Familie drin.

Ihr Bruder hat den Weg gewählt, von Anfang an auf die Musik zu setzen. Sie sind zuerst den sicheren Weg mit solider Ausbildung und Job gegangen – und jetzt haben Sie sich gefunden.
Wir haben uns generell als Familie neu gefunden. Beim Thema Musik blüht mein Vater richtig auf. Die Hierarchien lösten sich innerhalb unserer Familie auf, wir sind jetzt eher wie Freund:innen. Musik hat mir geholfen, herauszufinden, wer ich bin, wo meine Wurzeln sind. Das ist ein heilender Prozess.

Ihr Vater hat Sie damals zur Musik gebracht. Sie haben mit zehn Jahren angefangen, in seiner Band zu singen. Machen Sie heute noch Musik zusammen?
Er hat tatsächlich einen Song auf meinem Debütalbum geschrieben namens «Mani Osai». Das war ein sehr emotionaler Full-Circle-Moment für mich. Er war derjenige, der mir damals zeigte, dass ich eine Stimme habe. Ich habe sie genutzt, ging aber in eine andere Richtung als die, die er für mich vorgesehen hatte. Ich mochte westliche Musik; er hätte es lieber gesehen, dass ich traditionelle tamilische Lieder singe. Mittlerweile kombiniere ich beides. Und jetzt schliesst sich der Kreis, indem wir sogar zusammen an einem Song gearbeitet haben und er stolz auf mich ist.

Wie findet man zu sich?
Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Aber ich glaube, es hilft, zuerst einmal nach innen zu schauen. Mir half Therapie. Und das Buch «The Artist’s Way» von Julia Cameron hat mein Leben verändert. Es geht darum, sein inneres Kind zu heilen und Blockaden zu lösen. Damit fängt für mich alles an.

Würden Sie nochmals denselben Weg gehen?
Nein, ich würde nicht mehr den vermeintlich sicheren Weg wählen. Ich war sehr lange in dieser Komfortzone: solider Job, gutes Einkommen. Aber heute frage ich mich, was mir das wirklich gegeben hat. Deshalb würde ich wohl früher anfangen, an mir zu arbeiten und auf mich selbst zu setzen.

Ab heute Freitag ist Priya Ragus Debütalbum «Santhosam» überall erhältlich. Ab Frühling 2024 geht sie auf Europatournee und am 13. April 2024 spielt sie im Plaza in Zürich. Weitere Infos gibt es hier.

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